Jumen: NGO gegen Menschenrechtsverletzungen in Deutschland: Was nicht gerecht ist, kann nicht recht sein

von Tanja Podolski

17.10.2017

2/2: Prüfung: Abstrakte Fallstudie wird konkret

Der Ansatz von Jumen ist eine ausgesprochen humanitäre Perspektive: "Wir sehen zunächst einmal Ungerechtigkeiten", sagt Kessler. Zu diesen machen die Juristinnen sodann eine Fallstudie: Sie prüfen, wie ein Fall genau gelagert sein muss, damit Rechtsverletzungen festgestellt werden können. "Der Familiennachzug etwa ist mit dem Asylpaket II über die Regelung in § 104 Abs. 13 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) ganz pauschal für Menschen ausgesetzt worden, die subsidiären Schutz erhalten", sagt Kessler. Eine Einzelfallprüfung finde nicht statt. Die Regel sei unverhältnismäßig und verfassungswidrig.

Sobald die Juristinnen ermittelt haben, wie der Fall gelagert sein muss, um an seinem Bespiel die Verfassungswidrigkeit einer Regelung gerichtlich feststellen zu lassen, kommt das Netzwerk ins Spiel: Sie kontaktierten die Beratungsstellen, um den passenden Fall aufzuspüren. Und sie hätten einige haben können, erzählt Kessler.

Erste Entscheidung vom BVerfG

Sie wählen u.a. zwei aus: Den des 17-jährigen Syrers, der am vergangenen Freitag seinen 18. Geburtstag ohne seine engste Familie feierte und zwei Tage zuvor erfuhr, dass sich das bei seinen künftigen Geburtstagen nicht ändern wird – es sei denn, er kehrt nach Syrien zurück. Seine Familie jedenfalls darf nicht kommen, entschied das BVerfG im Eilverfahren (Beschl. v. 11.10.2017, Az. 2 BvR 1758/17). Das BVerfG hatte darauf abgestellt, dass es im Eilverfahren nicht entscheiden könne, die gesetzliche Regelung für verfassungswidrig zu erklären. Das Gericht müsse bei der Aussetzung von Gesetzen mit Blick auf die Gewaltenteilung die notwendige Zurückhaltung üben, hatten die Richter mitgeteilt.

"Immerhin hat das BVerfG durchblicken lassen, dass es die Frage der Verfassungswidrigkeit als rechtlich weiterhin ungeklärt ansieht", sagt Kessler. Mit diesem Fall hatte sich das BVerfG erstmals mit der Aussetzung des Familiennachzugs für minderjährige Geflüchtete mit subsidiärem Schutz befasst.

Jumen hat sich eines zweiten Falles angenommen, dem eines inzwischen zwölfjährigen Syrers, der vor über zwei Jahren unbegleitet nach Deutschland gekommen war. Seine Mutter ist in der Türkei. Die Karlsruher Richter werden sich also noch zur Rechtmäßigkeit der Norm äußern können. Entweder, bevor die Befristung Ende März 2018 ausläuft oder bevor die neue Bundesregierung eine Verlängerung beschließt.

Zitiervorschlag

Tanja Podolski, Jumen: NGO gegen Menschenrechtsverletzungen in Deutschland: Was nicht gerecht ist, kann nicht recht sein . In: Legal Tribune Online, 17.10.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/25057/ (abgerufen am: 25.04.2024 )

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