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Neuwahl von drei Verfassungsrichtern: Gemeinsam mit den Linken?

von Dr. Christian Rath

14.04.2025

Der erste Senat des Bundesverfassungsgerichts - Josef Christ (l-r), Stephan Harbarth, Yvonne Ott und Ines Härtel, am 28. November 2024.

Verfassungsrichter Josef Christ (ganz links) muss noch einige Wochen oder Monate geschäftsführend im Amt bleiben. Foto: picture alliance/dpa | Uwe Anspach.

Im Jahr 2025 muss der Bundestag drei neue Bundesverfassungsrichter wählen. Da CDU/CSU, SPD und Grüne keine Zwei-Drittel-Mehrheit mehr haben, müssen sie die Linkspartei ins Boot holen. Wie realistisch das ist, prognostiziert Christian Rath.

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Bei der Lockerung der Schuldenbremse im Grundgesetz haben CDU/CSU, SPD und Grüne rechtzeitig gemerkt, dass sie die Zwei-Drittel-Mehrheit hierfür im neuen Bundestag wohl kaum erhalten können. Sie haben daher am 18. März noch in der Besetzung des alten Bundestags die Grundgesetzänderungen beschlossen.

Eine Zwei-Drittel-Mehrheit ist auch für die Wahl der Richter:innen am Bundesverfassungsgericht erforderlich. Hier gab es aber keinen Ehrgeiz, noch vor Konstituierung des neuen Bundestags zu wählen. Vielleicht auch deshalb, weil der Bundestag in diesem Jahr 2025 mehr als nur die Nachfolge von Josef Christ zu wählen hat. 

Josef Christ macht Überstunden

Die Amtszeit von Verfassungsrichter Josef Christ am Ersten Senat endete wegen Erreichens der Altersgrenze von 68 Jahren bereits am 30. November 2024. Als Nachfolger hatte die vorschlagsberechtigte CDU/CSU-Fraktion Robert Seegmüller vorgeschlagen, Richter am Bundesverwaltungsgericht und ziemlich konservativ (LTO-Portrait hier). Die Grünen zeigten sich skeptisch, weshalb Seegmüller im letzten Jahr zunächst nicht gewählt wurde. Da sich Merz für seinen Vorschlag auch nicht weiter engagierte, passierte in der alten Wahlperiode nichts mehr. Seegmüller blieb ungewählt. Josef Christ blieb geschäftsführend im Amt.

Ende Januar forderte der Bundestags-Wahlausschusses das Bundesverfassungsgericht auf, gem. § 7a Bundesverfassungsgerichtsgesetz (BVerfGG) drei Personalvorschläge für die Nachfolge von Josef Christ zu machen. Bisher liegen allerdings noch keine Karlsruher Personalvorschläge vor. Denn am 19. Februar, vier Tage vor der Bundestagswahl, beschloss das BVerfG-Plenum, dass es zunächst noch dem neuen Bundestag eine Chance zur Wahl einer Christ-Nachfolger:in geben will. Nur wenn die Neuwahl dem neuen Bundestag "nicht in überschaubarer Zeit" gelingt, werde man Personalvorschläge machen.

Ganz schnell wird es in Berlin sicher nicht gehen. Noch sind alle mit den Diskussionen um den Koalitionsvertrag beschäftigt. Erst wenn Friedrich Merz am 6. Mai zum Kanzler gewählt wurde und der Zuschnitt der Ministerien feststeht, werden die entsprechenden Bundestagsausschüsse eingerichtet. Auch der Wahlausschuss für die Bundesverfassungsrichter:innen soll erst dann konstituiert werden, wenn klar ist, wer welche Regierungs- und Parlamentsämter erhalten hat. 

Der neue Engpass

Die CDU/CSU schlägt weiterhin Robert Seegmüller für die Nachfolge von Josef Christ vor. Nach einer vorbereitenden Beschlussfassung im 12-köpfigen Wahlausschuss müsste er einige Tage später dann auch eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Bundestag erhalten. Allerdings haben CDU/CSU (208 Sitze), SPD (120 Sitze) und Grüne (85 Sitze) zusammen keine Zwei-Drittel-Mehrheit. Diese liegt derzeit bei 420 Sitzen, es fehlen also sieben Stimmen.

Erforderlich ist für die Zwei-Drittel-Mehrheit deshalb entweder die Zustimmung auch der AfD (152 Sitze) oder der Linken (64 Sitze). Absprachen mit der AfD werden derzeit von allen Parteien der Mitte ausgeschlossen. Es ist also am wahrscheinlichsten, dass für die Zwei-Drittel-Mehrheit eine Einigung mit der Linken versucht wird.

Möglich wäre zwar auch, den neuen Ersatzwahlmechanismus zu nutzen, der in Erwartung derartiger Engpässe im Dezember 2024 im Grundgesetz und im BVerfGG verankert wurde. Nach § 7a Abs. 5 BVerfGG könnte die Christ-Nachfolge auch im Bundesrat gewählt werden, wenn im Bundestag drei Monate nach Vorlage der Karlsruher Personalvorschläge noch keine Wahl gelungen ist.

Allerdings ist nicht wahrscheinlich, dass der Bundestag sofort diesen Weg gehen wird. Denn er gäbe dabei ja eigene Gestaltungsmöglichkeiten auf - und zwar nicht nur einmal. Allein im Jahr 2025 hat der Bundestag zufälligerweise drei Verfassungsrichter:innen zu wählen. 

Drei Wahlen im Bundestag

Am dringendsten ist natürlich die Nachfolge von Josef Christ, der inzwischen schon viereinhalb Monate lang nur noch geschäftsführend im Amt ist.

Hinzu kommt die Nachfolge von Doris König im Zweiten Senat, deren Amtszeit am 30. Juni endet. Das Vorschlagsrecht liegt hier bei der SPD. Dies dürfte eine besonders wichtige Personalie sein. Doris König ist nicht nur Senatsvorsitzende. Ihre Nachfolger:in wird voraussichtlich auch Präsident:in des Bundesverfassungsgerichts, wenn Ende November 2030 die Amtszeit des jetzigen Präsidenten Stephan Harbarth endet.

Außerdem will Richter Ulrich Maidowski (ebenfalls im Zweiten Senat) am 30. September aus gesundheitlichen Gründen vorzeitig ausscheiden. Er kann dies durch einen Antrag auf vorzeitige Versetzung in den Ruhestand gem. § 98 BVerfGG erreichen. Vorschlagsrecht hat auch hier die SPD. Nach einer alten Absprache der Parteien kann auf dieser Stelle nur ein Bundesrichter oder eine Bundesrichterin gewählt werden, aber keine Rechtsprofessor:in und keine Anwält:in. Rechtlich zwingend ist dies aber nicht. Die gesetzliche Mindestquote von drei Bundesrichter:innen pro achtköpfigem Senat gem. § 2 Abs. 3 BVerfGG wäre im Zweiten Senat bereits mit den drei ehemaligen Bundesrichter:innen Rhona Fetzer, Thomas Offenloch und Holger Wöckel erfüllt. 

Im Bundesrat, der die Hälfte der 16 Bundesverfassungsrichter:innen wählt, finden 2025 keine Wahlen statt. Die Länderkammer ist erst 2028 wieder dran, wenn es um die Nachfolge von Yvonne Ott im Ersten Senat und Christine Langenfeld im Zweiten Senat geht.

Die mögliche Paketlösung

Wenn alle drei Wahlen im Bundestag gemeinsam stattfinden, erleichtert das Kompromisse, mit denen alle zufrieden sind. Eine gemeinsame Wahl ist ab dem 1. Juli möglich. Denn die Verfassungsrichter:innen können gem. § 5 Abs. 3 BVerfGG "frühestens drei Monate vor Ablauf der Amtszeit ihrer Vorgänger" gewählt werden. Zumindest können gemeinsame Absprachen über die drei Richterposten getroffen werden. 

Für die Linke hat Parteichefin Ines Schwerdtner Ende März gegenüber dem Spiegel erklärt, dass sie für Gespräche offen sei. Als Bedingung für eine linke Zustimmung zu den Vorschlägen von CDU und SPD nannte Schwerdtner: "Es muss unter allen demokratischen Parteien eine schriftliche Vereinbarung geben, dass es keine Mehrheiten mit der AfD geben wird." 

Das dürfte wohl nicht das letzte Wort der Linken sein. Üblicherweise werden für die Zustimmung zu Verfassungsrichter-Vorschlägen anderer Fraktionen keine sachfremden Gegenleitstungen verlangt. Normalerweise fordert eine Fraktion, auf deren Stimmen es für die Zwei-Drittel-Mehrheit ankommt, ein eigenes Vorschlagsrecht. 

Seit 2018 gilt für die Vorschlagsrechte die Formel 3 : 3 : 1 : 1. Das heißt, dass CDU/CSU und SPD je drei Verfassungsrichter:innen pro Senat vorschlagen können, Grüne und FDP haben je ein Vorschlagsrecht.

Die Aushandlung einer neuen Formel, bei der auch die Linke ein offizielles Vorschlagsrecht hat, ist eher unwahrscheinlich. Denn dann müsste die CDU/CSU im Bundestag auch einem Personalvorschlag der Linken zur Zwei-Drittel-Mehrheit verhelfen. Das aber verstöße gegen den Unvereinbarkeitsbeschluss der Union, der Zusammenarbeit mit der Linken ausschließt.

Auch die marode Situation der FDP, die nicht mehr im Bundestag sitzt und nur noch an zwei Landesregierungen beteiligt ist, zwingt nicht zu einer Neuaushandlung der Formel. Denn die beiden von der FDP nominierten Richter, Heinrich Amadeus Wolff im Ersten Senat und Thomas Offenloch im Zweiten Senat, scheiden erst 2033 bzw. 2035 aus. Bis dahin hat sich die FDP möglicherweise wieder erholt.

Einbindung der Linken

Wahrscheinlicher ist eine andere Form, die Linke in die Verfassungsrichterwahl einzubinden. Bei der Nachfolge Maidowski könnte sich die SPD mit der Linken auf einen Personalvorschlag einigen. Das Vorschlagsrecht bliebe zwar formell bei der SPD, so dass die Union kein Problem mit ihrem Unvereinbarkeitsbeschluss bekommt. Die Linke hätte aber ein Vetorecht für den SPD-Vorschlag. Da die SPD bei der Bundestagswahl nur noch 16,4 Prozent der Stimmen erhielt, liegt es auch proportional nahe, dass sie ein Nominierungsrecht mit der Linken teilt.

Allzu stark ist die Verhandlungsposition der Linken allerdings nicht. Wenn sie unerfüllbare Forderungen stellt, müsste eben doch der Ersatzwahlmechanismus genutzt und die Wahl der drei Richterposten dem Bundesrat überlassen werden.

Bisher gibt es ohnehin noch keine konkreten Pläne, da zum Teil in den Fraktionen noch nicht klar ist, wer das Mandat für derartige Verhandlungen hat. Es handelt sich bislang nur um plausible Spekulationen.

Josef Christ muss also noch einige Wochen oder Monate geschäftsführend im Amt bleiben. Aber warum nicht? Er hatte eh nur eine relativ kurze Amtszeit von sieben Jahren, weil er erst in höherem Alter zum Verfassungsrichter gewählt wurde und deshalb ungewohnt schnell die Altersgrenze von 68 erreichte. So gesehen macht er eigentlich gar keine Überstunden…

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Neuwahl von drei Verfassungsrichtern: . In: Legal Tribune Online, 14.04.2025 , https://www.lto.de/persistent/a_id/57002 (abgerufen am: 20.05.2025 )

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