Bei der Neuwahl im Februar könnten Auslandsdeutsche in die Röhre gucken: Ihre Briefwahlunterlagen werde in vielen Fällen wohl nicht rechtzeitig ankommen. Warum das BVerfG dagegen wohl trotzdem nicht einschreiten wird, erklärt Patrick Heinemann.
Am 23. Februar 2025 soll Deutschland einen neuen Bundestag wählen. Wie die Bundeswahlleiterin am 18. Dezember mitteilte, dürfte die Zeitspanne für die Briefwahl relativ kurz ausfallen. Denn voraussichtlich erst am 30. Januar werden die Kreiswahlleitungen beginnen können, die Stimmzettel zu drucken. Logischerweise können die Kommunen erst danach beginnen, Briefwahlunterlagen zu verschicken. Das ist von zunehmender Bedeutung, denn in den letzten Jahren haben immer mehr Wählerinnen und Wähler von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, ihre Stimme postalisch abzugeben.
Besonders zeitkritisch dürfte es für die Auslandsdeutschen werden, die nach § 12 Abs. 2 Satz 1 Bundeswahlgesetz (BWG) den Bundestag mitwählen dürfen, wenn sie sich auf Antrag in das Wählerverzeichnis haben eintragen lassen (§ 16 Abs. 2 Nr. 2 Bundeswahlordnung (BWO)). Zuständig hierfür ist die Heimatgemeinde, in der die oder der jeweilige Auslandsdeutsche zuletzt gewohnt hat (§ 17 Abs. 2 Nr. 5 BWO). Der Antrag ist schriftlich spätestens bis zum 21. Tag vor der Wahl zu stellen (§ 18 Abs. 1 Satz 1 BWO). Die Auslandsdeutschen nehmen an der Bundestagswahl ebenfalls per Briefwahl teil. Eine Urnenwahl an den deutschen Auslandsvertretungen ist – anders als das andere Demokratien wie etwa Italien praktizieren – nicht möglich. Dies wäre nach Darstellung der Bundeswahlleiterin "mit einem unverhältnismäßig hohen Aufwand nicht nur für die Auslandsvertretungen, welche unter anderem Stimmzettel für alle 299 Wahlkreise in ausreichender Menge vorhalten müssten, sondern auch für die wahlberechtigten Auslandsdeutschen verbunden."
Auslandsdeutsche wählen per Briefwahl
Kommt es – wie jetzt – zu einer vorgezogenen Bundestagswahl, weil der Bundespräsident binnen 21 Tagen nach einer erfolglosen Vertrauensfrage des Bundeskanzlers den Bundestag auflöst (Art. 68 Abs. 1 Satz 1 GG), wird das Fenster, in dem die Auslandsdeutschen effektiv noch wählen können, sehr klein. Dies gilt erst recht, wenn der Bundespräsident die Auflösung des Bundestags recht früh innerhalb der 21-Tage-Frist anordnet. Für manche Deutsche, die fernab der Heimat leben, könnte es dann gar praktisch unmöglich werden, an der Bundestagswahl teilzunehmen. Ist die Wahl dann noch verfassungsgemäß?
Briefwahl und Wahlrecht für Auslandsdeutsche nicht im Grundgesetz vorgeschrieben
Das Grundgesetz selbst zwang den einfachen Gesetzgeber zunächst weder eine Briefwahl noch die Möglichkeit zu gewährleisten, dass Auslandsdeutsche an den Wahlen zum Deutschen Bundestag teilnehmen. Die Briefwahl wurde in Deutschland erst zur Bundestagswahl des Jahres 1957 eingeführt – allerdings mit dem Ziel, die Allgemeinheit der Wahl im Sinne von Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG zu fördern. Der Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl verbürgt nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) die aktive und passive Wahlberechtigung aller Staatsbürger. Dieses Prinzip ist im Sinne einer strengen und formalen Gleichheit bei der Zulassung zur Wahl des Deutschen Bundestages zu verstehen.
Das aktive Wahlrecht für Auslandsdeutsche führte der Gesetzgeber erst im Jahre 1985 ein. Niemand würde bezweifeln, dass sämtliche Bundestagswahlen davor verfassungsgemäß waren. Gleichwohl hat das BVerfG das einmal eingeführte Wahlrecht der Auslandsdeutschen in einer Entscheidung des Jahres 2012 am Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl gemessen. Und es stellte dann einen Verstoß insofern fest, als frühere Regelungen zu einer verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigten Ungleichbehandlung innerhalb der Gruppe der Auslandsdeutschen führten, indem sie die Auslandswahlberechtigung allein an einen früheren dreimonatigen Daueraufenthalt im Bundesgebiet knüpften.
Allgemeinheit der Wahl faktisch eingeschränkt
Dass das Wahlrecht etlicher Auslandsdeutscher bei der kommenden Bundestagswahl im Verhältnis zum Wahlrecht der Inlandsdeutschen (oder auch im Verhältnis zu Auslandsdeutschen, deren Postlaufzeiten nach Deutschland kürzer sind) voraussichtlich erheblichen faktischen Einschränkungen unterliegen wird, könnte also durchaus den Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl berühren. Allerdings dürften diese Einschränkungen durch die Verfassung selbst legitimiert sein, was nach der Rechtsprechung des BVerfG einen hinreichenden Diskriminierungsgrund bilden kann. Denn ursächlich für die faktischen Beschränkungen ist vor allem die Sechzig-Tage-Frist, innerhalb der nach Art. 39 Abs. 1 Satz 4 GG im Fall der vorzeitigen Auflösung des Bundestags die Neuwahl stattzufinden hat.
Fabian Michl, Professor an der Universität Leipzig für das Recht der Politik, erklärt, was es mit dieser Vorschrift auf sich hat, so: "Ursprünglich stammt die Frist von sechzig Tagen aus der revidierten preußischen Verfassung von 1850." Damit sollte verhindert werden, dass der Monarch das Parlament auflöst und die Neuwahl auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschiebt, um es faktisch auszuschalten. "Diese Frist ist dann sowohl in die Reichsverfassungen von 1871 und 1919 als auch ins Grundgesetz weitgehend unreflektiert übernommen worden", so Michl. Er weist allerdings darauf hin, dass dem Parlamentarischen Rat bei seinen Beratungen über die künftige Verfassung der Bundesrepublik die heutige Konstellation zur Jahreswende 2024/25 nicht vor Augen stand – immerhin gab es damals noch keine Briefwahl, erst recht lag das Wahlrecht für Auslandsdeutsche noch in weiter Ferne. Verfassungshistoriker Michl sieht wenig Chancen für Auslandsdeutsche, erfolgreich gegen die Durchführung der anstehenden Bundestagswahl vorzugehen.
Bundesverfassungsgericht hält sich zurück
In der Tat gibt sich das BVerfG bislang sehr zurückhaltend, was die Organisation der kommenden Bundestagswahl angeht. Eine jüngst veröffentlichte Entscheidung lehnte eine bereits im Dezember 2023 erhobene Organklage der Ökologisch Demokratischen Partei (ÖDP) gegen Unterschriftenerfordernisse für Wahlvorschläge zur Bundestagswahl ab. Auch hier ging es ein Stück weit um den Faktor Zeit: Einen mit Blick auf die nun kurzfristig anstehende Wahl gestellten Eilantrag lehnten die Karlsruher Richterinnen und Richter aber ebenfalls ab. Die ökologische Kleinpartei, die bislang nicht im Bundestag vertreten ist, konnte sich nicht mit ihrem Argument durchsetzen, dass sie die vorgeschriebenen Unterschriftenquoren (200 Unterstützungsunterschriften für jeden Kreiswahlvorschlag und bis zu 2.000 Unterstützungsunterschriften für ihre jeweiligen Landeslisten) vorrausichtlich kaum rechtzeitig wird erfüllen können.
Es mag gute verfassungspolitische Gründe geben, die bisherige Sechzig-Tage-Frist zu überdenken, um mehr Zeit für die Organisation der Wahl zu gewinnen. Aber wäre die Bundestagswahl allein wegen der praktischen Konsequenzen, die sich aus der Einhaltung dieser verfassungsrechtlichen Frist notwendig ergeben, nicht mehr verfassungskonform, könnte sie es unter den gegebenen Umständen wohl überhaupt nicht sein. Diese Aporie wäre für ein demokratisches Gemeinwesen nicht hinnehmbar. Viel spricht für die Annahme, dass das Grundgesetz eine Bundestagswahl bevorzugt, die zwar unter unvermeidbaren Einschränkungen leidet, Deutschland aber politisch handlungsfähig erhält.
Lage für Auslandsdeutsche verfassungsgemäß?: . In: Legal Tribune Online, 23.12.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/56184 (abgerufen am: 08.02.2025 )
Infos zum Zitiervorschlag