Neues Urheberrecht im Bildungs- und Wissensbereich: Ver­lage fürchten herbe Ver­luste

von Dr. Robert Heine, LL.M.

12.06.2017

2/2:  Ein neues Vergütungssystem

Abgesehen von wenigen Ausnahmen sieht der Regierungsentwurf für die geregelten Nutzungen eine Vergütungspflicht vor. Das bedeutet: Die Nutzer müssen die Rechteinhaber zwar nicht um Erlaubnis bitten und auch keine Lizenz erwerben. Sie müssen die Nutzung aber gleichwohl vergüten. Das ist nicht neu, schon jetzt ist etwa für die Verwendung kleiner Teile geschützter Werke für den Unterricht eine angemessene Vergütung zu zahlen.

Die Bundesregierung geht davon aus, dass der Betrag der gezahlten Vergütung für die Nutzung im Bildungs- und Wissenschaftsbereich insgesamt steigen würde. Das ist plausibel, da der Regierungsentwurf mehr Nutzungen erlaubt als das geltende Recht. Dass diese Nachricht bei den Rechteinhabern dennoch keinen Jubel auslöst, hat mehrere Gründe:

Erstens schreibt der Entwurf für die Vergütung abgesehen von eingegrenzten besonderen Fällen keine Einzelabrechnung vor. Stattdessen sollen die Zahlung von Pauschalen oder eine auf repräsentativen Stichproben beruhende Berechnung genügen. Es wird also nur eingeschränkt danach differenziert, welcher Text wie oft genutzt wird. Die Vergütung – und dementsprechend auch die anschließende Verteilung unter den verschiedenen Rechteinhabern – erfolgt nach dem Gießkannenprinzip. Dies ist wohl eine Erklärung, warum gerade die Vertreter einiger Qualitätsmedien besonders vehement gegen den Gesetzesentwurf zu Felde ziehen.

Zusätzliche Einnahmequelle der Verlage fällt weg

Zweitens haben die Rechteinhaber für Nutzungsformen, die der Regierungsentwurf in das Schrankensystem überführen will, funktionierende Lizenzsysteme etabliert, etwa für den digitalen Vertrieb von Presseprodukten an Bibliotheken. Fallen diese Lizenzmärkte weg, befürchten Verlagshäuser erhebliche Einnahmenverluste.

Diese Verluste werden – drittens – für die Verlage auch nicht durch die Vergütungspflichten kompensiert, die der Regierungsentwurf vorsieht. Nach der dortigen Regelung würde die Vergütung nämlich nicht mehr durch die Rechteinhaber selbst abgerechnet, sondern durch Verwertungsgesellschaften.

Um ein Beispiel zu nennen: Heute vertreiben Presseverlage ihre Beiträge aus Altausgaben über digitale Archive. Das ist für viele Verlage ein wichtiges Zusatzgeschäft. Der Regierungsentwurf will künftig Bibliotheken unter anderem gestatten, ganze Zeitungs- und Zeitschriftenartikel auf Einzelabruf an Nutzer per E-Mail zu versenden. Die Bibliotheken müssen diese Nutzung dann bezahlen, die Vergütung wird aber von Verwertungsgesellschaften eingezogen und nicht mehr über die digitalen Archive der Presseverlage. Etwas anderes würde nur gelten, wenn sich die Bibliotheken entschieden, mit Verlagen Nutzungsverträge abzuschließen. Dazu kann sie aber niemand zwingen.

BGH-Urteil zur VG Wort wirkt sich negativ aus

Gegen die Abrechnung über Verwertungsgesellschaften wie die VG Wort ist an sich nichts einzuwenden. Jahrzehntelang hat die VG Wort ihre Erlöse gemäß ihrem Verteilungsplan nach festen Schlüsseln zwischen Autoren und Verlegern verteilt. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat dieser pauschalen Verteilung aber einen Riegel vorgeschoben (Urt. v. 21.04.2016, Az. I ZR 198/13). Seitdem dürfen Verwertungsgesellschaften ihre Einnahmen aus gesetzlichen Vergütungsansprüchen nur dann an Verlage ausschütten, wenn die betreffenden Autoren gesondert zustimmen.

Die Beteiligung der Verlage an den Ausschüttungen der VG Wort ist dadurch erheblich erschwert worden. Eine Lösung dieser auch von der Bundesregierung als misslich angesehenen Situation ist letztlich nur auf europäischer Ebene möglich, da sich der BGH zu seinem oben genannten Urteil durch eine europäische Richtlinie und die Rechtsprechung des EuGH genötigt gesehen hat.

Verleger sind mit den aktuellen Rechtsentwicklungen somit gleich doppelt gestraft. Ihnen droht mit den im Regierungsentwurf vorgeschlagenen Regelungen ein Verlust von Lizenzeinnahmen. Gleichzeitig ist nicht sichergestellt, dass sie an der Kompensation, die der Gesetzesentwurf hierfür vorsieht, teilhaben. Vertreter der Unionsparteien haben vor diesem Hintergrund schon erklärt, den Gesetzesentwurf noch intensiv beraten zu wollen. Doch bis zum Ende der Legislaturperiode verbleibt nicht mehr viel Zeit.

Der Autor Dr. Robert Heine, LL.M. (Chicago) ist Rechtsanwalt bei Raue LLP in Berlin. Er ist unter anderem auf das Urheber- und das Medienrecht spezialisiert.

Zitiervorschlag

Dr. Robert Heine, LL.M., Neues Urheberrecht im Bildungs- und Wissensbereich: Verlage fürchten herbe Verluste . In: Legal Tribune Online, 12.06.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/23165/ (abgerufen am: 23.04.2024 )

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