Die Forschung lobt, Medienhäuser laufen Sturm: Der Entwurf des UrhWissG will es erleichtern, urheberrechtlich geschützte Inhalte wissenschaftlich zu nutzen – und er ändert das Vergütungssystem, erläutert Robert Heine.
Nachdem die vorige Bundesregierung nicht durch übermäßige Aktivität im Urheberrecht aufgefallen ist, scheint das aktuelle Kabinett auf diesem Gebiet besonders engagiert vorzugehen: Seit Juni 2016 gilt das Verwertungsgesellschaftengesetz (VGG), das die Wahrnehmung von Urheberrechten durch GEMA, VG Wort und Co. auf eine neue rechtliche Basis stellt. Die Urhebervertragsrechtsreform II will Urheber vor sogenannten Rechte-Buy-Outs durch Verwerter schützen. Und mit dem am Mitte April beschlossenen Regierungsentwurf des "Entwurfs eines Gesetzes zur Angleichung des Urheberrechts an die aktuellen Erfordernisse der Wissensgesellschaft" (UrhWissG-E) nimmt die Bundesregierung nun ein drittes großes Thema in Angriff, das die Regierungsparteien im Koalitionsvertrag 2013 als reformbedürftig identifiziert haben: das Urheberrecht im Bildungs- und Wissensbereich.
Der Regierungsentwurf des UrhWissG hatte ein lautes Echo. Lob erhält der Entwurf von Vertretern der Forschung und Lehre. Doch vor allem die Verlage laufen gegen ihn Sturm. Von einer drohenden "Enteignung" und einem "Angriff auf die wirtschaftliche Grundlage der freien Presse" ist gar die Rede. Der Börsenverein des deutschen Buchhandels sieht den Wissenschaftsstandort Deutschland in Gefahr.
Hintergrund der der vehementen Kritik ist, dass der Entwurf einen für Rechteinhaber sehr sensiblen Gegenstand betrifft: Es geht um die Einführung einer neuen sogenannten Schranke im Urheberrechtsgesetz. Damit sind bestimmte Nutzungen urheberrechtlich geschützter Werke qua Gesetz zulässig, ohne dass die Rechteinhaber gefragt werden müssten oder diese vertragliche Lizenzgebühren einfordern könnten.
Mehr Klarheit und Auswertungsmöglichkeiten
Gesetzliche Schranken zugunsten von Bildung und Wissenschaft gibt es im Urheberrecht schon lange, nur sind die Vorschriften bislang verstreut. Hier liegt ein erstes Reformziel des Regierungsentwurfes: Ein eigener Unterabschnitt soll die Schrankenregelungen zugunsten von Bildung und Wissenschaft zusammenfassen. Die bislang geltenden Vorschriften sind mitunter unbestimmt. So ist es zum Beispiel gegenwärtig zulässig, "kleine Teile" von Werken zur Veranschaulichung im Unterricht zu verwenden, soweit dies "zu dem jeweiligen Zweck geboten" ist (§ 52a Abs. 1 UrhG).
Der Regierungsentwurf ist von einem bemerkenswert großen Ehrgeiz geprägt, solche Begriffe durch eindeutige Vorgaben zu ersetzen. Nach neuem Recht (§ 60a Abs. 1 UrhG-E) sollen Werke in einem Umfang von "bis zu 15 Prozent" im Unterricht genutzt werden dürfen. Es sollen also nicht mehr die Gerichte entscheiden müssen, was mit "kleinen Teilen" gemeint ist, die zulässige Grenze ergibt sich künftig vielmehr direkt aus dem Gesetz. Dieselbe Prozentvorgabe soll auch für die Nutzung von Werken in der wissenschaftlichen Forschung gelten.
Der UrhWissG-E beschränkt sich aber nicht auf handwerkliche Verbesserungen, die die Gesetzesanwendung erleichtern sollen. Er enthält auch eine Fülle inhaltlicher Änderungen. Völlig neu ist die in § 60d UrhG-E vorgeschlagene Regelung zum Text-und-Data-Mining. In der Sprachwissenschaft sind Textkorpora ein wichtiges Mittel, um etwa die Häufigkeit bestimmter Wörter oder Satzstrukturen zu analysieren. Dazu werden große Textmengen gesammelt, gespeichert und ausgewertet. Mit der Regelung in § 60d UrhG-E will die Bundesregierung klarstellen, dass solche Nutzungen zulässig sind, sofern sie nicht-kommerziellen Forschungszwecken dienen.
Die Textkorpora sind nach Abschluss der Forschung zu löschen, dürfen aber vorher Bibliotheken und Archiven übermittelt werden, um sie langfristig zu speichern und die wissenschaftliche Überprüfbarkeit der Ergebnisse zu ermöglichen. Nach derzeitiger Rechtslage ist zweifelhaft, ob das zulässig wäre, da es in die Vervielfältigungsrechte der Urheber der verwendeten Werke eingreift. In Großbritannien wurde eine Ausnahmeregelung für Text-und-Data-Mining bereits im Jahr 2014 eingeführt und auch die Europäische Kommission möchte es europaweit zulässig machen.
Neues Urheberrecht im Bildungs- und Wissensbereich: . In: Legal Tribune Online, 12.06.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/23165 (abgerufen am: 06.12.2024 )
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