Regelung der Netzneutralität durch EU-Verordnung: Ein Stolperstein für die Meinungsvielfalt

von Dr. Vyacheslav Bortnikov

18.09.2013

2/2: Verzerrung des publizistischen Wettbewerbs

Die großzügige Haltung der Kommission gegenüber Geschäftsmodellen im Internet erscheint vor dem Hintergrund ihres Ziels der Vollendung des Binnenmarktes durch die Einführung unionsweiter Dienste plausibel. Endnutzer sollen in die Lage versetzt werden, Dienstleistungen von hoher Qualität zu nutzen und das beste auf dem Markt erhältliche, ihren jeweiligen Präferenzen entsprechende Angebot zu wählen.

Aus Sicht der durch Art. 11 Abs. 2 der Grundrechtecharta (GRCh) und Art. 10 Abs. 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) geschützten Meinungsvielfalt sieht das Ganze aber völlig anders aus. Das in diesen Vorschriften angelegte Gebot der kommunikativen Chancengleichheit verlangt, dass Verbreitungschancen von Inhalte-Anbietern nicht durch technische oder wirtschaftliche, sondern möglichst nur durch kommunikationsbezogene Charakteristika beeinflusst werden.

Absprachen zwischen Inhalte-Anbietern und Netzbetreibern hinsichtlich der Dienstqualität lassen sich damit schwerlich vereinbaren. Denn sie versprechen großen finanzstarken Inhalte-Anbietern eine verbesserte Position im Kampf um die Aufmerksamkeit der Nutzer. Publizistische Bemühungen kleiner, aufstrebender oder nichtkommerzieller Inhalte-Anbieter werden hingegen durch die Finanzkraft der Konkurrenz stark relativiert. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Priorisierung der Spezialdienste die Qualität der Übertragung der nichtprivilegierten Angebote beeinträchtigt. Die damit einhergehende Verzerrung des publizistischen Wettbewerbs ist der Meinungsvielfalt abträglich und steht der Legalisierung solcher Geschäftsmodelle entgegen.

Finanzierungsbedarf der Netzbetreiber kann auch anderweitig gedeckt werden

Ein Verbot der Priorisierung bestimmter Inhalte-Angebote ist Netzbetreibern auch zuzumuten. Ihrem Interesse an der Refinanzierung der in den Ausbau der Netze bereits investierten oder noch zu investierenden Kosten kann etwa durch eine volumenabhängige Tarifierung großer kommerzieller Inhalte-Anbieter hinreichend Rechnung getragen werden.

Da der Schutz der Meinungsvielfalt den Mitgliedstaaten obliegt, stellt der Verordnungsentwurf der Kommission sie nun vor das Problem, wie sie ihren – insbesondere gegebenenfalls nationalverfassungsrechtlichen – Schutzauftrag erfüllen sollen. Etwaige nationale Verbote der Priorisierung bestimmter Inhalte-Anbieter würden dem Regelungskonzept der Verordnung widersprechen. Sollte die Verordnung also in der jetzigen Form in Kraft treten, wären die Mitgliedstaaten aufgrund des Anwendungsvorrangs des EU-Rechts daran gehindert, entsprechende Verbotsregelungen zu erlassen und anzuwenden.

In diesem Fall dürften die Mitgliedstaaten schutzrechtlich gehalten sein, den Weg einer Nichtigkeitsklage (Art. 263 AEUV) unter Berufung auf Art. 11 Abs. 2 GRCh und Art. 10 Abs. 1 EMRK zu beschreiten. Allemal vorzugswürdig erscheint da eine Nachbesserung vor Inkrafttreten des Entwurfes.

Der Autor Dr. Vyacheslav Bortnikov ist wissenschaftliche Hilfskraft am Institut für Medien- und Kommunikationsrecht an der Universität zu Köln und Rechtsreferendar im Landgerichtsbezirk Köln. Er hat zum Thema "Netzneutralität und Bedingungen kommunikativer Selbstbestimmung" promoviert.

Zitiervorschlag

Dr. Vyacheslav Bortnikov, Regelung der Netzneutralität durch EU-Verordnung: Ein Stolperstein für die Meinungsvielfalt . In: Legal Tribune Online, 18.09.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/9577/ (abgerufen am: 25.04.2024 )

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