Neben guten Ansätzen weist der überarbeitete Entwurf zum NetzDG weiter konzeptionelle Schwächen auf: Im Rahmen privatisierter Rechtsdurchsetzung bleiben Rechtsschutz und Grundrechte der Nutzer auf der Strecke, meint Antonia Schnitzler.
Am 5. April 2017 hat das Kabinett den Entwurf des Bundesjustizministeriums zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken (NetzDG) beschlossen. Das geplante Gesetz will Betreiber sozialer Netzwerke zur Bekämpfung strafrechtlich relevanter Hasskommentare und Falschnachrichten künftig effektiver in die Pflicht nehmen.
Der eilig in Form gebrachte Entwurf kann auf eine rasche Verabschiedung noch vor der Sommerpause hoffen. In der kurzen Zeit seit der Veröffentlichung des ersten Referentenentwurfs Mitte März 2017 ist das Vorhaben teilweise heftig kritisiert worden, von "Zensurinstrument" und kommenden "Löschorgien" war die Rede. Dabei erscheint ein differenzierter Blick angebracht: Das Ziel des Entwurfs ist ebenso wie die Einbeziehung des Netzanbieters grundsätzlich zu begrüßen. Der Fokus auf die Einrichtung eines wirksamen Beschwerdeverfahrens verspricht zudem eine effektive Rechtsdurchsetzung.
Eine proaktive Prüfungspflicht des Netzwerkanbieters kennt zwar auch das geplante Gesetz nicht. Wie bisher hat der Anbieter also nur auf eine Beschwerde hin tätig zu werden. Der Entwurf erlegt den Betreibern sozialer Netzwerke jedoch eine Löschungspflicht für sämtliche Kopien eines gemeldeten rechtswidrigen Inhalts auf. Insoweit schafft der Entwurf erstmals eine Pflicht zur Suche nach rechtswidrigen Inhalten. Damit schließt das geplante Gesetz eine Rechtsschutzlücke, an der jüngst der Antrag eines Asylbewerbers gegen Facebook vor dem LG Würzburg gescheitert war, der die Löschung vielfach geteilter verleumderischer Fotos begehrte.
Nachbesserungen sollen Kritik entkräften
Einigen Kritikpunkten ist im Regierungsentwurf bereits Rechnung getragen worden:
Der Befürchtung, dass die scharfen Bußgeldsanktionen Netzwerkbetreiber zu einer überobligatorischen Löschpraxis verleiten könnten, wirkt der aktuelle Entwurf entgegen. Er stellt beispielsweise klar, was aus Gründen der Verhältnismäßigkeit geboten ist: nämlich, dass ein einmaliges Verfehlen der gesetzlichen Löschfristen regelmäßig kein Bußgeld rechtfertigt.
In der Neufassung des Entwurfs wurde zudem die Pflicht der Netzwerkanbieter gestrichen, Upload-Filter einzusetzen, um zu verhindern, dass als rechtswidrig identifizierte Inhalte erneut hochgeladen werden. Gegen den Einsatz solcher Filter bestehen große Vorbehalte, weil es sich dabei um ein besonders effektives Mittel der (Vor-)Zensur handelt.
Allerdings weist auch der Regierungsentwurf neben handwerklichen Schwächen einige gravierende konzeptionelle Mängel auf. Dies gilt insbesondere für die Folgen einer privatisierten Rechtsdurchsetzung: Durch einseitige Konzentration auf eine effektive Löschpraxis wird individueller Rechtsschutz verkürzt.
Staatliche Aufgabe an Private abgegeben
Dabei kreist die öffentliche Diskussion vor allem um das Verhältnis der Anbieterpflichten zum Strafrecht. Insofern wäre es rechtssystematisch überzeugend, wenn der Entwurf um Regelungen zur Verbesserung der Strafverfolgung ergänzt würde, wie sie etwa der Deutsche Richterbund angeregt hat.
Kaum thematisiert wird bislang, dass das Gesetz in erster Linie keine repressive, sondern eine präventive Zielsetzung verfolgt. Die Beseitigung von Rechtsverletzungen, die den objektiven Tatbestand von Strafgesetzen erfüllen, ist Bestandteil der Gefahrenabwehr. Anstatt diese staatliche Aufgabe hoheitlich wahrzunehmen, wälzt das geplante Gesetz die Aufgabenwahrnehmung in Form einer Indienstnahme auf den privaten Netzwerkbetreiber ab.
Die Einbindung Privater ist dabei nicht per se zu kritisieren. Im Gegenteil: Eine Delegierung auf den Netzwerkanbieter ist sachgerecht, weil nur er über das für die Entscheidungsfindung notwendige Wissen und die tatsächlichen Zugriffsmöglichkeiten verfügt. Der Entwurf ist ersichtlich bemüht, den Gedanken an eine Zensurbehörde nicht aufkommen zu lassen.
2/2: Kein Rechtsschutz gegen private Meinungspolizei?
Allerdings führt die Einbindung der Privaten dazu, dass der Rechtsschutz gegen eine Beeinträchtigung der Meinungsfreiheit abgeschnitten wird. Die sozialen Netzwerke werden eingeschaltet, um auf fremde Rechtspositionen einzuwirken. Löschen sie einen Inhalt zu Unrecht, ist der Schutzbereich der Meinungsfreiheit des Verfassers berührt, an diese sind sie als private Unternehmen aber nicht direkt gebunden. Ein zivilrechtlicher Anspruch auf erneute Freischaltung besteht häufig nicht oder kann vertraglich ausgeschlossen werden.
Würde die Löschung dagegen aufgrund behördlicher Anordnung erfolgen oder wäre sie einem Hoheitsträger zurechenbar, könnte der Verfasser des gelöschten Inhalts vor dem Verwaltungsgericht Rechtsschutz gegen eine Verletzung der Meinungsfreiheit suchen.
Entsprechendes gilt für den Rechtsschutz des Beschwerdeführers gegen eine ablehnende Entscheidung des Anbieters. Auch hier kommt ausschließlich zivilrechtlicher Rechtsschutz in Betracht. An dieser Stelle bringt die sekundäre Suchpflicht, die das NetzDG einführt, immerhin einen entscheidenden Vorteil: Zwar kann der Betroffene unmittelbar nur Löschung des beanstandeten Inhalts verlangen. Hat er die Löschung erstritten, ist der Anbieter aufgrund des Gesetzes jedoch verpflichtet, auch sämtliche Kopien zu löschen.
Vorgehen sozialer Netzwerke gegen Bußgelder problematisch
Auch der Rechtsschutz des Netzwerkanbieters gegen Bußgelder ist im Regierungsentwurf modifiziert worden. Anders als im regulären Bußgeldverfahren holt das Ministerium den neuen Plänen nach eine richterliche Vorabentscheidung über die Rechtswidrigkeit ein. Was auf den ersten Blick vorteilhaft klingt und dem Eindruck einer Zensurbehörde vorbeugen soll, kann sich faktisch leicht zulasten des Anbieters auswirken. Denn zuständig ist das Gericht, das anschließend auch über einen Einspruch gegen den Bescheid entscheidet.
Da der Betreiber eines sozialen Netzwerks am Vorabentscheidungsverfahren nicht teilnimmt und eine mündliche Verhandlung nicht stattfinden muss, droht eine Vorfestlegung des Gerichts ohne angemessene Beteiligung des Betroffenen.
Aufhebung der Anonymität schafft weitere Risiken
Als Kompensation für den verkürzten Rechtsschutz des Nutzers im Verhältnis zum Betreiber sozialer Netzwerke gestattet der Entwurf in seiner Neufassung die Preisgabe der Identität von Nutzern. Damit findet eine Verlagerung auf das Verhältnis zwischen Täter und Opfer statt. Im Ausgangspunkt ist dies auch verständlich, geht doch die Störung vom Äußernden aus. Allerdings wird das Vorgehen gegen Einzelne angesichts der Ubiquität der Störungen in der Praxis nur selten zum Erfolg führen: Zivilrechtlicher Rechtsschutz gegen den Täter ist angesichts der speziellen Gefahrensituation unzureichend.
Die Voraussetzungen für die Preisgabe persönlicher Daten sind sehr weit gefasst: Zur Offenlegung der Identität berechtigt nicht nur die Verletzung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts, sondern auch eines jedes anderen absoluten Rechts. Es kommt nicht darauf an, ob die Rechtsverletzung einen Straftatbestand erfüllt.
Der Gesetzgeber hat insofern grundrechtliche Implikationen im Blick zu behalten. Ob der Schutzbereich der Meinungsfreiheit das anonyme Äußern einer Meinung umfasst, ist zwar nicht abschließend geklärt. Jedenfalls steht dem Äußernden aber das Recht auf informationelle Selbstbestimmung zur Seite. Der Entwurf lässt vor diesem Hintergrund einen ausdrücklichen Richtervorbehalt vermissen. Hinzu kommt, dass einmal preisgegebene Daten leicht über den Gesetzeszweck hinaus missbräuchlich verwendet werden können.
Umfangreiche Löschungen wegen Zeitdrucks drohen
Schließlich wirkt auch das Verfahren defizitär. Dies zeigt sich zum Beispiel an der 24-Stunden-Frist, innerhalb der offensichtlich rechtswidrige Inhalte zu löschen sind. Hier droht eine willkürliche Löschkultur oder gar der Einsatz automatisierter Grobfilter anstelle sachkundiger Einzelfallprüfung.
Die Änderungen am Entwurf und die jüngsten Äußerungen des Bundesjustizministers lassen darauf schließen, dass mit dem Gesetz eine Drohkulisse aufgebaut werden soll. Ausufernde Löschtätigkeit scheint das Justizministerium dabei nicht zu erwarten. Auch wenn diese Einschätzung zutreffen sollte, ändert das noch immer nichts an den konzeptionellen Rechtsschutzdefiziten.
Die Autorin Antonia Schnitzler, LL.M. (LSE) ist Rechtsanwältin bei der Kanzlei lindenpartners in Berlin und berät unter anderem zum Datenschutzrecht
Antonia Schnitzler, LL.M., Regierungsentwurf zum NetzDG: Probleme privater Meinungspolizei . In: Legal Tribune Online, 07.04.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/22613/ (abgerufen am: 03.12.2023 )
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