Die SPD gibt auf: Angesichts der Blockade der CDU/CSU zieht die SPD den rheinland-pfälzer Richter Lars Brocker als Vorschlag zurück. Nun könnte auch die Parität am BVerfG gewahrt werden. Christian Rath kennt die aktuellen Entwicklungen.
Die Amtszeit von Verfassungsrichterin Gabriele Britz endete bereits am 1. Februar 2023. Für ihre Nachfolge ist der Bundesrat zuständig, das Vorschlagsrecht hat die SPD. Doch statt rechtzeitig eine Nachfolger:in zu wählen, sind schon drei Bundesratssitzungen ohne Neuwahl vergangen. Britz ist also weiterhin im Amt. Der Erste Senat, an dem Britz tätig ist, beginnt aber keine neuen Verfahren mehr und wartet auf die Nachfolger:in. Intern wird er deshalb als "Schwebesenat" bezeichnet.
Inzwischen ist die Sache aber einen entscheidenden Schritt vorangekommen: Die SPD hat ihren personellen Vorschlag Lars Brocker zurückgenommen. Brocker ist Präsident des Oberverwaltungsgerichts Koblenz und des Verfassungsgerichtshofs von Rheinland-Pfalz. Die CDU/CSU-mitregierten Länder hatten ihm jedoch die Zustimmung verweigert. Denn eine politische Vereinbarung von 2018, die von CDU/CSU, SPD, Grünen und FDP geschlossen wurde, sieht vor, dass auf diese Stelle nur Richter:innen eines Bundesgerichts gewählt werden können.
Die neue Lage zeigte sich vorige Woche bei einem Video-Call, an dem vier Personen teilnahmen: Der hessische Justizminister Roman Poßeck (CDU), der Bundestagsabgeordnete und Fraktions-Justiziar Ansgar Heveling (CDU), der Bevollmächtigte Bremens beim Bund Olaf Joachim (SPD) und der stellvertretende Bundestagsfraktions-Vorsitzende Dirk Wiese (SPD). Hessen und Bremen koordinieren im Bundesrat die CDU/CSU- bzw SPD-regierten Länder. Heveling und Wiese gelten im Bundestag als die Verfassungsrichter-Macher ihrer jeweiligen Fraktion.
Bei diesem Video-Treffen bekräftigte die CDU/CSU-Seite, dass sie an ihrem Veto festhalte, und betonte, dass dies nichts mit der Person Brockers zu tun habe. Darauf zog die SPD-Seite den Vorschlag zurück und kündigte an, dass sie nun vereinbarungsgemäß einen Bundesrichter oder eine Bundesrichterin vorschlagen werde. Angestrebt werde die Wahl auf der nächsten Bundesratssitzung am 31. März. Das Video-Gespräch soll nicht lange gedauert haben.
Zunächst gingen anderslautende Gerüchte um
Zwischenzeitlich gab es allerdings auch ganz andere Gerüchte. Danach habe sich die CDU/CSU für die Wahl Brockers offen gezeigt, wenn zugleich eine neue politische Vereinbarung für die Wahl der Verfassungsrichter:innen ab 2026 abgeschlossen wird, die den Interessen der Union entspricht. Für die Plausibilität dieses Gerüchts sprach nicht nur, dass der eher konservative Brocker als Nachfolger der grün-nahen Britz der Union eigentlich gut gefallen haben müsste. Auch dass sich die Bundestagsabgeordneten Wiese und Heveling in die Verhandlungen einschalteten, sprach dafür, dass hier über eine große Lösung beraten werden sollte.
Offensichtlich kam nun aber keine neue Vereinbarung zustande. Vermutlich war es einfach noch zu früh, über Verfassungsrichterwahlen zu reden, die erst nach der nächsten Bundestagswahl 2025 stattfinden. Denn wer weiß, ob zum Beispiel die FDP den Wiedereinzug ins Parlament schafft und ob die Grünen weiterhin deutlich kleiner sind als die SPD.
Laut Vereinbarung von 2018 gilt für die Vorschlagsrechte die Formel 3-3-1-1. Das heißt: in beiden BVerfG-Senaten haben CDU/CSU und SPD je drei Vorschlagsrechte, Grüne und FDP je eines. Solche Absprachen gibt es, weil das Bundesverfassungsgerichtsgesetz für die Wahl der Verfassungsrichter:innen im Bundestag und im Bundesrat jeweils eine Zwei-Drittel-Mehrheit verlangt und so für eine pluralistische Besetzung des BVerfG sorgt. Eine neue politische Vereinbarung wird nun wohl erst nach der Bundestagswahl angegangen.
Parität droht zu kippen
Die SPD muss sich nun also intern auf eine Bundesrichterin bzw. einen Bundesrichter einigen. In Frage kommen nicht nur Richter:innen des Bundesgerichtshofs, sondern auch von Bundesarbeitsgericht, Bundessozialgericht, Bundesverwaltungsgericht oder Bundesfinanzhof.
Die Neue Richtervereinigung (NRV) setzte sich in der Vorwoche nachdrücklich dafür ein, dass als Nachfolgerin von Britz wieder eine Frau benannt wird. Sonst gehe die derzeit bestehende Geschlechterparität am BVerfG verloren; dies wäre ein "fatales Signal", so die NRV. Aktuell besteht das Gericht aus je acht Richterinnen und Richtern. Schon Ende Februar hatte der Deutsche Juristinnenbund (DJB) gefordert: "Es muss bei einer paritätischen Besetzung des Bundesverfassungsgerichts bleiben!"
Als mögliche Kandidatinnen werden vor allem zwei Namen genannt: Miriam Meßling und Christiane Schmaltz. Meßling ist seit 2016 Richterin am Bundessozialgericht (BSG) und derzeit Vizepräsidentin. Sie hat gute Chancen, im kommenden Februar dem jetzigen BSG-Präsidenten Rainer Schlegel nachzufolgen.
Wohl deshalb machte sich der NRV ausdrücklich für Christiane Schmaltz stark, die seit 2018 am BGH tätig ist. 2019 war sie von der Bundesregierung als deutsche Richterin am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg vorgeschlagen worden. Doch die parlamentarische Versammlung des Europarats wählte unter den drei deutschen Vorschlägen dann die Heidelberger Rechtsprofessorin Anja Seibert-Fohr. Schmalz ist auch Landesverfassungsrichterin in Schleswig-Holstein.
SPD verweist auf die anderen Parteien
Doch die SPD, die das Vorschlagsrecht hat, sieht sich nicht in der Pflicht, die Parität am Bundesverfassungsgericht zu bewahren. Sie verweist darauf, dass aktuell fünf der sechs Verfassungsrichter:innen, die sie vorgeschlagen hatte, Frauen sind (Gabriele Britz, Yvonne Ott, Ines Härtel, Doris König und jüngst Rhona Fetzer). Der einzige von der SPD nominierte Mann ist Ulrich Maidowski am Zweiten Senat. Würde die SPD als Nachfolger von Britz also einen Mann präsentieren, wäre ihre Bilanz mit vier zu zwei vorgeschlagenen Frauen immer noch überobligatorisch.
Auch die Grünen (ein Mann, eine Frau) stehen derzeit nicht besser da. Die CDU/CSU hat mit Sibylle Kessal-Wulf und Christine Langenfeld bei sechs Vorschlagsrechten nur zwei Frauen nominiert. Gleichstellungsschlusslicht ist aber die FDP, die zwei Männer vorgeschlagen hat und in all den Jahrzehnten noch nie eine Frau nominierte.
Falls die SPD nun also tatsächlich einen Mann vorschlägt, dürfte dies zu Forderungen an die CDU/CSU führen, die die nächsten drei Vorschlagsrechte für die Nachfolger:innen von Peter Müller (September 2023), Sybille Kessal-Wulf (Dezember 2023) und Josef Christ (November 2024) innehat.
Die Parität am Bundesverfassungsgericht ist allerdings weder verfassungsrechtlich noch einfachgesetzlich vorgeschrieben. Das Bundesverfassungsgericht hat vor rund zwei Jahren sogar ausdrücklich Zweifel an Paritätsvorgaben für Parlamentswahlen geäußert (Beschluss vom 15. Dezember 2020 2 BvC 46/19). Abgeordnete seien "Vertreter des ganzen Volkes" und nicht nur eines Wahlkreises oder einer Bevölkerungsgruppe. Der Zweite Senat entschied dies in der Besetzung mit fünf Frauen und drei Männern.
Parität kommt am Bundesverfassungsgericht also nur zustande, wenn sich die Parteien mit ihren Vorschlägen an diesem Ziel orientieren. Wenn nicht alle Parteien dieses Ziel teilen, ist es natürlich um so schwerer zu erreichen.
Nachfolge für Verfassungsrichterin Britz: . In: Legal Tribune Online, 20.03.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/51355 (abgerufen am: 07.11.2024 )
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