Nach den Entscheidungen des EuGH verkündete die deutsche Presse am Mittwoch das Ende des deutschen Glücksspielmonopols. Nicht nur verfrüht, sondern auch zu Unrecht, meint Dr. Manfred Hecker. In seinem Kommentar verweist er darauf, dass die Prüfung der Sach- und Rechtslage den Verwaltungsgerichten obliegt – und noch lange nicht beendet ist.
Nach Verkündung der Urteile des EuGH am 08.09.2010 wurde in der Presse das "Ende des Glücksspielmonopols" verbreitet. Das deutsche Modell des Glücksspielstaatsvertrages für Sportwetten und andere Glücksspiele habe mit sofortiger Wirkung seine Gültigkeit verloren, weil die bisherigen deutschen Regelungen gegen Europarecht verstießen, hieß es weiter sowohl in Print- als auch in Rundfunkmedien.
Ursache dieser vorschnellen und unrichtigen Schlüsse dürfte in erster Linie die Pressemitteilung des EuGH zu diesen Urteilen sein, die übertitelt ist:
"Mit dem im Rahmen der Organisation von Sportwetten und Lotterien in Deutschland errichteten staatlichen Monopol wird das Ziel der Bekämpfung der mit Glücksspielen verbundenen Gefahren nicht in kohärenter und systematischer Weise verfolgt."
Tatsächlich kann aber von einem Ende des staatlichen Monopols für bestimmte Glücksspielarten in Deutschland keine Rede sein. Die Medien verkennen mit ihrer fehlerhaften Schlussfolgerung, die den kommerziellen Glücksspielanbietern höchst willkommen ist und von ihnen mit großem Eifer weiterverbreitet wird, sowohl die Bedeutung als auch die Tragweite der Urteile des EuGH.
Was der EuGH entschied
Die vom EuGH angesprochenen Gesichtspunkte sind vielfältig, besonders bedeutsam sind aber unter anderem folgende Hinweise der europäischen Richter. Zwar bestätigt der EuGH erneut seine bereits in früheren Entscheidungen entwickelte Rechtsprechung, wonach keine einheitliche Regelung für alle Glücksspiele gefordert wird, sondern unterschiedliche Glücksspiele teilweise im Monopol, teilweise durch private Veranstalter betrieben werden dürfen (Az. C-46/08, Carmen Media, Rn. 68).
Nach Ansicht des EuGH kann allerdings das Ziel, Spielsucht zu bekämpfen und zu vermeiden, auch im Bereich der monopolisierten Glücksspiele unterlaufen werden, sofern der Mitgliedstaat bei den durch die privaten Veranstalter betriebenen Glücksspielen, die ein höheres Suchtpotential als die der monopolisierten Glücksspiele aufweisen, eine Politik der Angebotsausweitung und der Ermunterung zur Teilnahme betreibt, um die hieraus resultierenden Einnahmen zu maximieren.
Das vorlegende VG Schleswig hatte dies für die Automatenspiele angenommen. Ob allerdings eine solche Angebotsausweitung und Lockerung, und insbesondere die Absicht der Einnahmemaximierung tatsächlich vorliegen, ist äußerst streitig. Das OVG Nordrhein Westfalen sieht in der Neuregelung der SpielVO für Spielautomaten demgegenüber jedenfalls keine Lockerung (Beschl. v. 27.10.2010, Az. 4 B 1774/07, Rn. 47).
In der Sache Markus Stoss u.a. (verb. Rechtss. Az. C-316/07, Rn. 107) hat sich der EuGH zum zulässigen Umfang der Werbemaßnahmen geäußert, die für im Monopol veranstaltete Glücksspiele betrieben werden darf. Dieser muss auf das begrenzt bleiben, was erforderlich ist, um die Verbraucher zum Angebot des Monopolinhabers hinzulenken.
Zielt die Werbung allerdings darauf ab, den Spieltrieb der Verbraucher zu fördern und sie zu einer Teilnahme zu veranlassen, um die Einnahmen zu maximieren, können Zweifel daran begründet sein, dass das Glücksspielmonopol der Ausgabenvermeidung und Spielsuchtbekämpfung dient. Die vorlegenden Gerichte Gießen und Stuttgart hielten die Werbung der staatlichen Lotteriegesellschaften für zu weitgehend. Ob dies wirklich zutrifft, müssen nach entsprechender Entscheidung der Verwaltungsgerichte die zuständigen Oberverwaltungsgerichte bzw. das Bundesverwaltungsgericht klären.
Und was der EuGH nicht entscheiden konnte
Entgegen der vielfältig geäußerten Ansicht hat der EuGH nicht über das Staatsvertragsmodell in Deutschland entschieden. Der EuGH kann eine solche Entscheidung auch gar nicht treffen, dafür fehlt ihm schlicht die Kompetenz. Die Luxemburger Richter können den nationalen Gerichten lediglich Auslegungshilfen geben, nach denen diese – und zwar im ordentlichen Instanzenweg - selber entscheiden müssen, ob nationales Recht mit den Grundsätzen des Europarechts übereinstimmt.
Der EuGH hat daher nur konkrete Einzelfragen bezüglich einzelner Regelungen des Glücksspielstaatsvertrages beantwortet, die ihm die deutschen Verwaltungsgerichte erster Instanz vorgelegt haben. Auch teilt der EuGH nicht alle Bedenken dieser Gerichte, wie etwa jene gegen das Internet-Verbot aus § 4 Abs. 4 GlüStV, das er ausdrücklich als geeignet ansieht, die legitimen Ziele des Glücksspielstaatsvertrages zu verfolgen.
Bei seiner Entscheidung war der EuGH an die – zum Teil veralteten und sogar falschen – Schilderungen der Sach- und Rechtslage durch die deutschen Verwaltungsgerichte gebunden, ohne selber prüfen zu können, ob deren Einschätzung zutreffend ist oder gar von der obergerichtlichen Rechtsprechung geteilt wird. Entsprechend betont der EuGH in dem Urteil "Winner Wetten" (C-409/06, Rn. 68), dass das vorlegende Gericht "allein für die Würdigung des Sachverhalts des bei ihm anhängigen Rechtsstreits zuständig ist".
Wie es weiter geht: Alles eine Frage der Voraussetzungen
Nunmehr müssen die Verwaltungsgerichte unter Beachtung dieser vom EuGH erteilten "Leitlinien" beurteilen, ob die Sach- und Rechtslage in Deutschland wirklich die Grenzen überschreitet, die der EuGH aufgezeigt hat. Und das steht keineswegs bereits fest, wie die voreiligen Stellungnahmen der an einer Kommerzialisierung des Glücksspiels interessierten Kreise glauben machen wollen.
Sollten die Verwaltungsgerichte im Zuge des nunmehr fortzusetzenden verwaltungsgerichtlichen Verfahrens zu dem Ergebnis kommen, dass die von ihnen zuvor angenommenen Voraussetzungen (jedenfalls zum heutigen Zeitpunkt) tatsächlich nicht (mehr) vorliegen oder heben die Berufungs- bzw. Revisionsgerichte die erstinstanzlichen Entscheidungen der Verwaltungsgerichte auf, weil sie den Sachverhalt anders beurteilen als diese, ist die europarechtliche Sachlage möglicherweise gänzlich anders zu beurteilen.
Vor der Feststellung einer Europarechtswidrigkeit des deutschen Glücksspielmonopols steht demnach zunächst der Instanzenweg, gegebenenfalls bis hin zum Bundesverwaltungsgericht. Und es ist aufgrund der bisherigen Rechtsprechung der Obergerichte, die in vielen Fällen durchaus erheblich von jener der Unterinstanzen abweicht, keineswegs unwahrscheinlich, dass dort die Voraussetzungen, unter denen der EuGH von einer Europarechtswidrigkeit der deutschen Rechtslage ausgeht, nicht als gegeben angesehen werden.
Es bleibt also mit Spannung abzuwarten, welche Schlüsse die deutschen Gerichte aus den Hinweisen des EuGH ziehen werden, wenn sie die von ihnen festzustellende Sach- und Rechtslage zugrunde legen. Der vorschnelle Abgesang auf das deutsche Modell des ausschließlich staatlichen Angebotes und erst recht auf den geltenden Glücksspielstaatsvertrag kommt daher nicht nur zu früh. Es ist auch gänzlich falsch, wenn man ihn dem EuGH andichtet.
Der Autor Dr. Manfred Hecker ist Partner in einer überörtlichen nationalen Sozietät am Standort Köln. Er ist Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht, Schwerpunkt seiner Tätigkeit ist neben dem Gewerblichen Rechtschutz u.a. das Glücksspielrecht. In den Verfahren, die nun dem EuGH zur Vorabentscheidung vorlagen, vertraten er und Kollegen der Sozietät die betroffenen Bundesländer Baden-Württemberg, Schleswig Holstein sowie die Stadt Bergheim.
Manfred Hecker, Nach den EuGH-Entscheidungen: . In: Legal Tribune Online, 10.09.2010 , https://www.lto.de/persistent/a_id/1424 (abgerufen am: 06.10.2024 )
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