Joachim Witts Musikvideo Gloria: Truppenschutz unter dem Deckmantel des Jugendschutzes

von Dr. Philip Lüghausen

19.10.2012

Soldaten, die nach deutscher Bundeswehr aussehen, vergewaltigen und morden – all das verpackt in einem Musikvideo von Joachim Witt. Ist das Kunst- und Meinungsfreiheit oder jugend- und ehrschutzgefährdend? Bundesfamilienministerium und Soldatenverbände versetzte das Video jedenfalls in helle Aufregung. Ob die beantragte Indexierung erfolgversprechend ist, untersucht Philip Lüghausen.

Das Bundesfamilienministerium will das online verfügbare Musikvideo Gloria von Joachim Witt auf den Index setzen und hat einen entsprechenden Antrag bei der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPjM) gestellt. Sollte dem Antrag stattgegeben werden, dürfte das Video nur noch Volljährigen zugänglich gemacht werden. Damit geht das Ministerium nach eigenen Angaben etlichen Beschwerden von Bürgern nach, die den Inhalt als wenig künstlerisch, dafür umso mehr – ja was eigentlich – einstufen.

Die Macher zeichnen ein pathetisches, endzeitliches Kriegsszenario. Sie zeigen Soldaten, die eine Vergewaltigung und den Mord an einer jungen Frau begehen. Explizite Gewaltdarstellungen enthält das Video zwar nicht, wohl aber die angedeutete Szenerie in zugegebenermaßen unappetitlichen Bildern. Die Soldaten tragen Uniformen, die dem Kampfanzug der Bundeswehr gleichen und das schwarz-rot-goldene Hoheitsabzeichen tragen.

Vertreter von Soldatenverbänden und der Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages, Hellmut Königshaus, begrüßen den Antrag des Ministeriums. Sie haben sich öffentlich wenig amüsiert über das Video geäußert und sehen die Ehre deutscher Soldaten, die für das Land den Kopf hinhielten, verletzt.

Im Fernsehen wird man schnell auf ähnliche Szenen stoßen

Das Jugendschutzrecht ist sowohl Länder- als auch Bundessache. Während die Länder für den Jugendschutz in Telemedien und im Rundfunk zuständig sind, kümmert sich der Bund mit dem Jugendschutzgesetz (JuSchG) eigentlich um offline verfügbare Inhalte und nur eingeschränkt und mit weitreichenden Mitwirkungsbefugnissen der Länder um Telemedien. Geht es, wie hier, um reinen Online-Content, und hat  eine Stelle des Bundes die Indexierung beantragt, muss die BPjM die Kommission für Jugendmedienschutz anhören und ist an deren Stellungnahme gebunden. Das Anhörungsverfahren im Fall Witt läuft noch.

Ein Medium kommt dann auf den Index, wenn es jugendgefährdend ist. Dazu muss es geeignet sein, "die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen oder ihre Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit zu gefährden". Das Witt-Video müsste also etwa "verrohend wirken" und "Gewalthandlungen wie Mord- oder Metzelszenen selbstzweckhaft und detailliert" darstellen.

Die Szenen sind aber weder explizit noch selbstzweckhaft dargestellt, sondern nur angedeutet und bewegen sich im Rahmen der audiovisuellen durchaus kritischen Auseinandersetzung mit Kriegsgreueln. Suchte man im täglichen Fernsehprogramm ähnliche Szenen, man müsste den Fernseher nicht lange eingeschaltet lassen. Jugendschutzrechtlich ist das Video nicht zu beanstanden und sollte daher nicht auf den Index gesetzt werden.

"Soldaten sind Mörder"

Soldaten vor Ehrverletzungen zu schützen ist dagegen nicht Aufgabe des JuSchG, das selbstverständlich nicht davon ausgeht, dass Szenen, die die Ehre von "Staatsbürgern in Uniform" verletzen, die Entwicklung oder Erziehung von Kindern und Jugendlichen gefährden können.

Soldaten genießen kein Sonderrecht. Sie sind, wie jeder andere Bürger auch, über den zivil- und strafrechtlichen Ehrschutzregeln vor Angriffen geschützt. Trotzdem sind sie Teil der Bundeswehr. Ein einzelner Soldat, der sich durch die Szenen des Videos in seiner Ehre gekränkt fühlt, könnte daher versuchen über die Grundsätze der Kollektivbeleidigung vor Gericht gegen das Video vorzugehen.

Die Frankfurter Soldatenurteile endeten jedoch mit Freisprüchen. Das Bundesverfassungsgericht entschied in den Verfahren um das Tucholsky-Zitat "Soldaten sind Mörder" zugunsten der Meinungsfreiheit. Auch damals erhob sich ein Sturm der Entrüstung in Bevölkerung und Politik. Es wurde der Ruf nach einem gesetzlichen Ehrschutz von Soldaten laut. Daraus – das wissen wir heute – wurde nichts.

Da es sich bei dem Witt-Video wohl um eine anerkannte Kunstform handeln dürfte, können sich die Urheber des Videos neben der Meinungsfreiheit auch auf die Kunstfreiheit berufen.

Der Autor Dr. Philip Lüghausen ist Rechtsanwalt in der Kölner Medienrechtssozietät Frey Rechtsanwälte Partnerschaft.

Zitiervorschlag

Joachim Witts Musikvideo Gloria: . In: Legal Tribune Online, 19.10.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/7351 (abgerufen am: 09.10.2024 )

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