Keine Wiederaufnahme im Fall Mollath: "Ich bin nach wie vor ziemlich betroffen"

Interview mit Prof. Dr. Henning Ernst Müller

25.07.2013

Es scheint, als wollten die bayerischen Behörden Gustl Mollath einfach nicht freilassen. Am Mittwoch lehnte das LG Regensburg die Wiederaufnahme des Verfahrens ab, die sogar Justizministerin Merk fordert. Im Interview erklärt der Strafrechtler Henning Ernst Müller, der regelmäßig über den Fall bloggt, warum ihn der Beschluss nicht überzeugt und er hofft, dass das BVerfG eingreifen wird.

LTO: Herr Professor Müller, in Ihrem Blog hatten Sie in der Nacht auf Mittwoch noch die Hoffnung geäußert, dass der Beschluss des Landgerichts (LG) Regensburg anders ausfallen würde. Hatten Sie trotzdem irgendwie mit der Ablehnung des Wiederaufnahmeantrags gerechnet?

Müller: Es gab ja leider schon ein paar negative Signale. Aber ich bin nun mal ein optimistischer Mensch und nach dem, was ich in den Akten gelesen hatte, konnte ich mir einfach nicht vorstellen, dass ein Gericht keinen einzigen Wiederaufnahmegrund zulässt. Ich bin nach wie vor ziemlich betroffen von der Entscheidung.

LTO: Nach der § 359 Nr. 1 Strafprozessordnung (StPO) kann ein Verfahren dann wieder aufgenommen werden, wenn in der Hauptverhandlung zu Ungunsten des Verurteilten eine als echt vorgebrachte Urkunde unecht oder verfälscht war. Lag dieser Wiederaufnahmegrund Ihrer Meinung nach in Mollaths Fall vor?

Prof. Dr. Henning Ernst MüllerMüller: Ja, ich halte das ärztliche Attest für unecht, das dokumentieren soll, dass Mollath seine Frau geschlagen hat. Ich denke, dass dieses Attest und die darin gemachten Feststellungen nicht von der Ärztin stammen, deren Name darunter steht und die damit als Ausstellerin der Urkunde ausgewiesen wird, sondern von ihrem Sohn, der Frau Mollath untersucht hat. Identität des wahren und des vermeintlichen Ausstellers ist also nicht gegeben.

Das Gericht hat aufwändig begründet, warum es nicht dieser Auffassung ist. Es lässt aber unerwähnt, dass die Unterschrift nicht nur mit dem Stempel der Mutter versehen war, sondern dass direkt unter der Unterschrift "Dr. med. Madeleine R." in Textform stand. Es ist aber doch schon sehr untypisch, ein Attest als Stellvertreter auszustellen und dabei nicht den eigenen Namen unter die Unterschrift zu setzen, sondern den Namen des Vertretenen. Das Gericht hat das völlig unberücksichtigt gelassen.

"Regensburger Beschluss verfolgt eine eindeutige Tendenz"

LTO: Ein Grund für eine Wiederaufnahme liegt auch vor, wenn bei dem Urteil ein Richter mitgewirkt hat, der seine Amtspflichten verletzt hat – Rechtsbeugung ist das Stichwort. Eine Straftat, die dem damaligen Vorsitzenden Richter Otto Brixner etwa von der Verteidigung vorgeworfen wird. Das LG Regensburg sieht das nicht so. Es hält den Vorwurf, dass der Vorsitzende den Sachverhalt bewusst verfälscht hätte, für reine Spekulation. Überzeugt Sie das?

Müller: Nein, ich halte den Verdacht einer Rechtsbeugung nach wie vor für begründet. Brixner hat Mollath den Unterbringungsbefehl entgegen sämtlichen Vorschriften nicht in der gebührenden Eile eröffnet. Das wäre spätestens am Tag nach der Festnahme erforderlich gewesen. Das LG Regensburg argumentiert jetzt, dass zu dem Zeitpunkt, zu dem Brixner erfahren hat, dass Mollath bereits einsitzt, die gesetzlichen Anforderungen sowieso nicht mehr erfüllt werden konnten – dass die weitere Verzögerung also eine lässliche Sünde war.

Mir leuchtet das überhaupt nicht ein. Der Regensburger Beschluss ist insoweit nicht dumm, aber er verfolgt die eindeutige Tendenz, eine Rechtsbeugung im Ergebnis abzulehnen, indem bei jedem einzelnen der Verfahrensfehler der notwendige "eklatante" Rechtsbruch verneint wird, aber die Summe der Fehler nicht berücksichtigt wird.

LTO: Das LG hält auch den zwischenzeitlich bekannt gewordenen Bericht der Hypovereinsbank nicht für geeignet, die Verurteilung Mollaths zu erschüttern. Das Gericht habe es damals ausdrücklich für möglich gehalten, dass es Schwarzgeldverschiebungen gegeben hatte.

Müller: Wenn der Bericht in der Hauptverhandlung auf dem Tisch gelegen hätte, dann hätte der Gutachter kaum etwas von "Schwarzgeldwahn" schreiben können. Denn ein Wahn setzt ja voraus, dass es um realitätsfremde Behauptungen geht. Das Gericht hätte sich also damit auseinandersetzen müssen, in welchem Umfang es die behaupteten Schwarzgeldgeschäfte tatsächlich gegeben hat und inwiefern die Ehefrau von Mollath daran beteiligt gewesen ist.

Indem man das als fixe Idee bezeichnete, hat man vermieden, sich damit überhaupt auseinanderzusetzen. Das LG Regensburg macht das im Grunde jetzt auch.

Ich bin schwer enttäuscht davon, dass hier die Gelegenheit nicht genutzt wurde, sich mit einer Reihe von ungeklärten Dingen auseinanderzusetzen.

Zitiervorschlag

Keine Wiederaufnahme im Fall Mollath: . In: Legal Tribune Online, 25.07.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/9214 (abgerufen am: 13.12.2024 )

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