Die Bedrohung durch Piraten-Banden in afrikanischen oder asiatischen Gewässern nimmt seit Jahren zu. Erstmals ist nun die Justiz in Deutschland einiger Täter aus Somalia habhaft geworden. Ob das Verfahren Kriminelle vor weiteren Kaperungen abschrecken wird, ist allerdings fraglich. Dazu können Reeder auf hoher See nur begrenzt auf staatliche Hilfe setzen.
In Hamburg beginnt der Prozess gegen zehn mutmaßliche somalische Seeräuber. Der jüngste von ihnen ist sechzehn Jahre alt. Die Staatsanwaltschaft legt den Angeklagten zur Last, am Ostermontag 2010 rund 500 Seemeilen vor der Küste Somalias den deutschen Frachtcontainer "Taipan" gekapert und seine Besatzung vier Stunden lang in ihrer Gewalt gehabt zu haben.
Ein niederländisches Marinekommando hatte die Geiseln befreit und die Piraten festgenommen, bevor diese von den Niederlanden an Deutschland überstellt wurden.
Ein Novum in der deutschen Justizgeschichte, handelt es sich doch um den ersten Fall dieser Art und um den ersten Seeräuberprozess in Deutschland seit 400 Jahren. Es steht zu befürchten, dass es nicht der letzte sein wird.
Waffen des Völkerrechts mit bislang bescheidenem Erfolg
Auf den Ozeanen lauern Gefahren aller Art. Eine davon ist die seit Jahren anhaltende Bedrohung durch Piraten an den Küsten Nigerias, Ostafrikas und Teilen Asiens. Besonders kritisch ist die Lage im Indischen Ozean, etwa rund um das Horn von Afrika, vor den Küsten des Jemen, Äthiopiens, Somalias und Kenias sowie am Golf von Aden, aber auch in den Gewässern, die Indonesien, Singapur, Malaysia und die Philippinen umgeben.
Die Piraten der Moderne haben sich darauf spezialisiert, Schiffe und Besatzungen in ihre Gewalt zu bekommen, um von Reedereien hohe Lösegelder zu erpressen. Terroristische oder religiöse Hintergründe scheinen derzeit eine geringere Rolle zu spielen als schlichte organisierte Kriminalität – Auftragsarbeiten für dubiose Hintermänner, die Unsummen von Geld benötigen und als deren Stützpunkte Dubai, Großbritannien und Kanada ausgemacht wurden.
Den Machenschaften können betroffene Länder mit den Mitteln des Völkerrechts begegnen: Dieses erlaubt jedem Staat, Piraten auf hoher See zu verfolgen, zu ergreifen und zu bestrafen. Grundlagen sind mehrere Resolutionen des UN-Sicherheitsrats von 2008, die Seerechtskonventionen von 1958 und 1982 und die vom Rat der EU am 10. November 2008 beschlossene Gemeinsame Aktion 2008/851/GASP, die so genannte Operation Atalanta vor der Küste Somalias. Trotz dieser klaren Befugnisse tut sich die internationale Staatengemeinschaft aber mit der Bekämpfung der Piraterie schwer. Die Erfolge sind bescheiden, das seeräuberische Treiben geht weiter.
Militär springt der Polizei zur Seite
Zur Verfolgung der Seeräuberei ist nach der Kompetenzverteilung des Grundgesetzes und aufgrund internationalen Rechts in Deutschland primär die Bundespolizei berufen (vgl. § 1 Zuständigkeitsbezeichnungs-Verordnung See vom 21.6.2005).
Die theoretische Möglichkeit, seegängige Einheiten der Bundespolizei auch in internationalen Gewässern einzusetzen, scheitert an mehreren Unzulänglichkeiten: Zum einen lassen die vorhandenen Ressourcen derartige Einsätze wohl nur im äußersten Notfall zu, etwa wenn die speziell hierfür aufgestellte Grenzschutzgruppe neun Geiseln auf einem gekaperten Schiff befreien wollte.
Zum anderen ist es schlicht unmöglich, über einen längeren Zeitraum hinweg kritische Seezonen polizeilich zu überwachen. Die Beamten der Bundespolizei wären wochen- oder monatelang unterwegs, wollten sie Schiffe unter deutscher Flagge begleiten.
Wenngleich es sich bei der Bekämpfung der Piraterie eher um eine polizeiliche als um eine militärische Aufgabe handelt, sichert die Bundesmarine zusammen mit anderen EU-Streitkräften seit 2008 in der Operation "Atalanta" Transportwege am Horn von Afrika vor der somalischen Küste militärisch ab. Die Erfolge der einzigen dort stationierten deutschen Fregatte sind überschaubar. Einem niederländischen Spezialkommando war an Ostern 2010 immerhin die Festnahme der zehn mutmaßlichen somalischen Piraten gelungen, die nun in Hamburg vor Gericht stehen.
Deutsche Flagge führt vor deutsches Gericht
Hauptanklagepunkt ist ein Verbrechen des Angriffs auf den Seeverkehr: § 316 c Strafgesetzbuch (StGB) bedroht denjenigen mit Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren, der gewaltsam die Herrschaft über ein ziviles Seeverkehrsschiff zu erlangen sucht. Das in § 6 Nr. 3 StGB zum Ausdruck kommende Weltrechtsprinzip erklärt das deutsche Strafrecht – unabhängig vom Recht des Tatorts – auf solche Verbrechen für anwendbar, die im Ausland begangen wurden.
Die weltweite völkerrechtliche Ächtung und Strafbarkeit der Piraterie führt allerdings nicht automatisch dazu, dass Piraten in Deutschland vor Gericht gestellt werden können. § 10 Strafprozessordnung legt für Straftaten, die im Ausland auf einem Schiff begangen wurden, Folgendes fest: Wenn das Schiff berechtigterweise die Bundesflagge geführt hat, ist das Gericht zuständig, in dessen Bezirk der Heimathafen des Schiffes liegt oder aber der deutsche Hafen, den das Schiff nach der Tat zuerst erreicht.
Die Berechtigung zum Führen der Bundesflagge (Art. 22 GG) kann im Einzelfall schwierig festzustellen sein, wie der Bundesgerichtshof jüngst judizierte (Beschl. v. 07.04.2009, Az. 2 ARs 180/09). Im Falle der gekaperten "Taipan" war die Sache jedoch einfach: Der Heimathafen des Containerschiffs ist Hamburg. Dementsprechend findet der erste Seeräuberprozess in der Bundesrepublik in der Hansestadt statt.
Zuständig ist dabei eine Strafkammer des Landgerichts (LG) Hamburg. Wäre bei der Piratenaktion ein Mensch ums Leben gekommen, müsste der Fall vor dem Schwurgericht verhandelt werden (§ 74 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 24 Gerichtsverfassungsgesetz).
Verurteilungen werden kaum abschrecken
Der Prozess, an dem außer den zehn Angeklagten zwanzig Pflichtverteidiger, zwei Staatsanwälte und drei Dolmetscher teilnehmen, ist zunächst bis Ende März 2011 terminiert. Aber selbst im Falle einer Verurteilung der Somalier wird das dramatische Problem der Piraterie natürlich nicht gelöst sein.
Im Gegenteil: Gerade der Golf von Aden und das Rote Meer werden weiterhin bevorzugte Tummelplätze maritimer Highjacker und Lösegelderpresser bleiben. Es ist kaum zu erwarten, dass der deutsche Strafvollzug auf die aus Blechhüttenvierteln der somalischen Wüste stammenden Angeklagten besonders abschreckend wirkt.
Die ersten Angeklagten haben Asylanträge gestellt. Die Reeder hingegen fordern wirksameren Schutz.
Reeder greifen zur Selbsthilfe
Einige Reedereien nutzen Alternativen zu den gefährlichen Strecken, etwa Umwege um das südafrikanische Kap herum. Die Versicherungsprämien für Schiffsfrachten sind angestiegen. Jede fünfte Reederei gibt Geld für bewaffnete private Sicherheitsdienste auf den Schiffen aus. All diese Maßnahmen treiben die Transportkosten in die Höhe.
Während Polizei und Militär zu einem wirkungsvollen Schutz des Schiffsverkehrs in gefährlichen Seezonen allein kaum in der Lage sind, haben sich Selbsthilfemaßnahmen der Reeder als ausgesprochen effektiv erwiesen. Mehrfach konnten sich Besatzungen gekaperter Schiffe dem Zugriff von Piraten entziehen, indem sie sich in speziell vorbereitete und ausgerüstete Schiffskabinen flüchteten, die von außen nicht zu knacken sind, den Insassen aber ein mehrtägiges Überleben ebenso garantieren wie Funkkontakt zur Außenwelt. Die Kaperer haben dann zwar ein Schiff, dessen Besatzung befindet sich aber in Sicherheit. Und sie müssen damit rechnen, dass Hilfe von außen nicht lange auf sich warten lässt.
So war es auch am Ostermontag auf der "Taipan". Die Angeklagten von Hamburg hatten das Schiff unter Beschuss genommen. Der Kapitän und seine 16-köpfige Crew flüchteten in einen Sicherheitsraum, von dem aus sie sämtliche Funktionen des Schiffs stoppen konnten. Weder Maschine noch Elektronik funktionierten noch.
Unterdessen stürmte eine niederländische Marineeinheit heran und setzte die Piraten fest. Wie das LG Hamburg dies beim ersten Piratenprozess seit hunderten von Jahren beurteilten wird, darf mit Spannung erwartet werden.
Der Autor Dr. Dr. Ebert ist Ministerialrat und Vertreter des öffentlichen Interesses beim Thüringer Innenministerium. Er war Lehrbeauftragter für Kriminologie an der Fachhochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung und Leiter der Polizeiabteilung im Thüringer Innenministerium.
Frank Ebert, Moderne Piraterie: . In: Legal Tribune Online, 22.11.2010 , https://www.lto.de/persistent/a_id/1981 (abgerufen am: 05.12.2024 )
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