EU-Pläne für Ausschiffungsplattformen in afrikanischen Staaten: Abfangen auf dem Mit­tel­meer

Gastbeitrag von Dr. Hendrik Cremer und Andrea Kämpf

12.10.2018

In Seenot geborgene Menschen sollen kein Asyl mehr in der EU beantragen können. Sie sollen in Ausschiffungsplattformen in afrikanischen Staaten verbracht werden. Damit gingen systematische Menschenrechtsverletzungen einher, meinen Hendrik Cremer und Andrea Kämpf.

Die Europäische Union (EU) nimmt schon bisher im globalen Vergleich relativ wenige Flüchtlinge auf. Gleichzeitig arbeitet sie weiter daran, die Zahl der hier Asyl suchenden Menschen zu reduzieren.

Das Augenmerk gilt der Mittelmeerroute. Der Europäische Rat hat bereits auf seiner Tagung Ende Juni 2018 für diese Region einen neuen Ansatz vorgestellt. Danach sollen in Seenot geborgene Menschen ihre Schutzanträge nicht mehr in den Mitgliedstaaten der EU stellen können, sondern dafür in so genannte Ausschiffungsplattformen (disembarkation points) in afrikanischen Staaten verbracht werden. Viele Aspekte dabei sind noch nicht geklärt: Etwa, ob in diesen Zentren als schutzberechtigt anerkannte Menschen in Mitgliedstaaten der EU übersiedeln könnten oder was mit den Menschen passierte, die keinen Schutzstatus bekämen.

In der Diskussion für die Ausschiffungsplattformen sind die Staaten Marokko, Tunesien oder Algerien. Diese müssten der Errichtung auf ihrem Hoheitsgebiet zustimmen. Libyen, das seit einiger Zeit mit der eigenen Küstenwache mit Unterstützung der EU Flüchtlinge aufgreift und in Lager im eigenen Land verbringt, steht zumindest bisher als Zielland für diese Zentren nicht zur Debatte.

Verstoß gegen fundamentale Grundsätze

Wenn EU-Schiffe oder Schiffe der EU-Mitgliedstaaten Schutz suchende Menschen auf dem Mittelmeer daran hinderten, EU-Territorium zu erreichen und sie in afrikanische Staaten verbringen würden, würde ein fundamentales Prinzip des internationalen und europäischen Flüchtlingsrechts gebrochen: der Grundsatz der Nicht-Zurückweisung (Refoulement-Verbot).

An diesen Grundsatz sind die EU und ihre Mitgliedstaaten gebunden und er ist vielfach kodifiziert, so etwa in der Genfer Flüchtlingskonvention (Art. 33), im Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte (Art. 7) und in der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK, Art. 3). Nach ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) folgt das Verbot einer Zurückweisung oder einer Abschiebung aus Artikel 3 EMRK, wenn die betroffene Person dadurch dem Risiko einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Folter ausgesetzt wird (Große Kammer, Urt. v. 23.02.2012, Nr. 27765/09 Hirsi u.a. gegen Italien).

Jeder Mensch hat nach Art. 3 EMRK das Recht auf Zugang zu einem Verfahren, in dem sein Antrag auf Schutz individuell geprüft wird. Hinzu kommt für jeden das Recht auf effektive Rechtsschutzmöglichkeiten gegen eine negative Entscheidung aus Art. 13 EMRK, das die Vertragsstaaten der EMRK immer gegen die Zurückweisung oder Abschiebung in einen anderen Staat einräumen müssen - selbst gegenüber vermeintlich "sicheren" Drittstaaten und innerhalb der EU (EGMR, Große Kammer, Urt. v, 21.01.2011, Nr. 30696/09 M.S.S. gegen Belgien und Griechenland). Diese Rechte gelten auch für diejenigen, die durch ein EU-Schiff oder ein Schiff eines EU-Mitgliedstaats gerettet werden. Das Zurückweisungsverbot gilt also nicht nur an den Außengrenzen der EU.

Denn nach einer Grundsatzentscheidung des EGMR (Große Kammer, Urt. v. 23.02.2012, Nr. 27765/09 Hirsi u.a. gegen Italien) gelten die Rechte auch auf Hoher See. Dabei ging es um den Einsatz italienischer Schiffe im Mittelmeer: Die Italiener fingen Boote Schutz suchender Menschen ab und hinderten sie daran, die EU-Außengrenzen zu erreichen (sogenannte push-backs). Das Straßburger Gericht entschied, dass es den Vertragsstaaten der EMRK untersagt ist, Schutzsuchenden den Zutritt zu ihrem Hoheitsgebiet zu verweigern. Staatliche Schiffe der EU-Mitgliedstaaten, etwa der nationalen Küstenwachen, Frontex-Schiffe oder etwa von EU-Missionen wie EUNAVFOR MED ("Sophia") haben das Zurückweisungsverbot zu beachten, da sie Hoheitsgewalt ausüben.

Die EU plant momentan, Frontex mit weiteren Befugnissen auszustatten. Es wäre jedenfalls grundsätzlich unzulässig, wenn die EU Frontex-Schiffen oder anderen Schiffen die Befugnis einräumen würde, Schutz suchende Menschen auf dem Mittelmeer daran zu hindern, auf dem Territorium der EU einen Antrag auf Schutz zu stellen. Ebenso ist es der EU, Frontex und den EU-Mitgliedstaaten untersagt, private Schiffe im Einzelfall dazu anzuweisen.

Afrika ist nicht die EU

Das Zurückweisungsverbot besteht auch bei der Existenz europäischer Ausschiffungsplattformen in Afrika. Diese blieben Orte auf dem Staatsgebiet von Drittstaaten, die nicht unter ausschließlicher Hoheitsgewalt von EU-Mitgliedsstaaten stünden - unabhängig davon, wie sie ausgestaltet würden und ob die EU dort Asylverfahren durchführen würde. Das Verbringen von Schutzsuchenden in solche Plattformen wäre rechtlich kein Äquivalent zum Zugang zum Territorium der EU. Für ein Verbringen auf See abgefangener oder geretteter Menschen an solche Orte gelten vielmehr dieselben Maßstäbe wie für die Zurückweisung in einen (sicheren) Drittstaat.

Relevant ist daher auch die Frage, welche Umstände und Behandlung der Mensch jeweils im Transitstaat erfahren hat, ob er dort "sicher" war und eine Zurückweisung zumutbar wäre. So sieht es der EGMR (Große Kammer, Urt. v. 21.01.2011, Nr. 30696/09 M.S.S. gegen Belgien und Griechenland), und so ist die Spruchpraxis des UN-Ausschusses zum Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte (Human Rights Committee, Communication 2360/2014, Jasin gegen Dänemark). Eine solche Prüfung wäre jedoch nicht möglich, wenn Schutz suchende Menschen bereits auf See abgefangen und direkt in Transitländer zurückgewiesen würden.

Und dann auch noch Seerecht

Die EU und ihre Mitgliedstaaten haben nicht nur das flüchtlings- und menschenrechtliche Verbot der Zurückweisung zu beachten, sondern auch seerechtliche Verpflichtungen. Die Pflicht zur Seenotrettung gilt gleichermaßen für EU-Schiffe, staatliche wie auch private Schiffe. Danach müssen in Seenot geratene Menschen an einen "sicheren Ort" gebracht werden, damit die Rettungsaktion als beendet gelten kann. Dies setzt etwa voraus, dass an einem solchen Ort die Grundbedürfnisse der Geretteten wie Nahrung oder medizinische Versorgung gedeckt werden. Ein Ort ist insbesondere dann nicht sicher, wenn den betreffenden Personen dort Gefahren für Leib und Leben drohen.

Würden in Tunesien, Marokko oder Algerien tatsächlich mit Unterstützung der EU "Ausschiffungsplattformen" entstehen, dürften EU-Schiffe dorthin keine Schutz suchenden Menschen verbringen. Die Plattformen könnten aber von Dritten genutzt werden. So könnten die Küstenwachen dieser Länder oder private Schiffe wie Handelsschiffe ihrer Pflicht zur Seenotrettung nachkommen, wenn sie Menschen vor den Küsten dieser Länder retten und dorthin brächten.

Unterstützt die EU solche Ausschiffungsplattformen, müsste sie die notwendige menschenrechtliche Sorgfalt beachten: Finanziell oder logistisch fördern dürfte sie solche Ausschiffungsplattformen nur, wenn diese tatsächlich menschenrechtlichen Anforderungen genügen. Neben einer menschenwürdigen Unterbringung und Versorgung gehören dazu als Konsequenz auch Resettlement-Optionen für anerkannte Flüchtlinge innerhalb und außerhalb der EU, damit es nicht faktisch zu einem langjährigen Festsitzen in den Plattformen kommt. Ebenso müsste ein menschenrechtskonformer Umgang mit denjenigen sichergestellt werden, deren Schutzgesuch nicht anerkannt wurde.

Die Autoren arbeiten seit vielen Jahren am Deutschen Institut für Menschenrechte, Dr. Hendrik Cremer unter anderem zum Thema Recht auf Asyl, Andrea Kämpf zu Fragen der Entwicklungs- und Migrationspolitik.

Zitiervorschlag

EU-Pläne für Ausschiffungsplattformen in afrikanischen Staaten: Abfangen auf dem Mittelmeer . In: Legal Tribune Online, 12.10.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/31451/ (abgerufen am: 24.04.2024 )

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