EU-Kommission prüft Mindestlohn für Transitfahrer: Deutschland muss sich nicht rechtfertigen

von Prof. Wolfgang Däubler

03.02.2015

2/2: Entsende-Richtlinie sieht keinen Mindestlohn vor

Die unionsrechtlichen Einwände ließen sich schnell ausräumen, wenn das AEntG seinem Inhalt nach nur die Entsende-Richtlinie umsetzen würde. Diese wird nämlich vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) in ständiger Rechtsprechung als zulässige Einschränkung der Dienstleistungsfreiheit angesehen. Jeder Mitgliedstaat kann die dort vorgesehenen Mindeststandards auch gegenüber ausländischen Arbeitgebern durchsetzen. Nur wenn ein Land, zum Beispiel im Vergaberecht, darüber hinausgeht, kann es Probleme geben.

Die Entsenderichtlinie hat jedoch einen engeren Anwendungsbereich als das AEntG. Sie betrifft nur "Entsendefälle", die in ihrem Art. 1 Abs. 3 definiert sind und bei denen ein inländischer Dienstleistungsempfänger eine vertraglich geschuldete Leistung erhält. Damit ist zwar der Fall gedeckt, dass im Inland be- oder entladen wird, nicht aber die reine Transit-Situation.

Den Mindestlohn auch auf diese zu erstrecken, ist in der Entsenderichtlinie nicht vorgesehen. Unter diesen Umständen ist der Mindestlohn für Transitfahrer direkt an der Dienstleistungsfreiheit zu messen.

Dienstleistungsfreiheit erlaubt Arbeitnehmerschutz

Nach der Rechtsprechung des EuGH schützt die Dienstleistungsfreiheit des Art. 56 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) generell gegen Beschränkungen – auch gegen solche, die gleichermaßen für Inländer wie für Ausländer gelten. Das entspricht zwar nicht dem ursprünglichen Sinn der "Grundfreiheiten", die gegen Diskriminierungen schützen wollten, ist aber bis auf weiteres als Faktum hinzunehmen.

Einschränkende Regelungen bedürfen daher einer Rechtfertigung, die sich insbesondere auf Art. 62 in Verbindung mit Art. 52 AEUV stützen kann. Dort sind unter anderem "Gründe der öffentlichen Ordnung" genannt, wozu der EuGH auch die Wahrung von Arbeitnehmerinteressen zählt. Wie stark man ihnen Rechnung trägt, liegt dabei in der Verantwortung der Mitgliedstaaten.

Diese können, wie im AEntG, "angemessene Mindestarbeitsbedingungen" festschreiben. Nach der Rechtsprechung des EuGH müssen sie lediglich eine Situation vermeiden, in der eine Gruppe von Arbeitnehmern geschützt wird, während eine andere, die sich in der gleichen Situation befindet, ohne diesen Schutz bleibt. Gerade eine solche Diskrepanz vermeidet der deutsche Mindestlohn, weil er für alle Berufsgruppen sowie für in- und ausländischen Arbeitnehmer gleichermaßen gilt.

Staaten können Mindestlohn frei festlegen

Wie hoch der Mindestlohn dann im Einzelnen ist und wen er erfasst, unterliegt hingegen der freien Entscheidung der Mitgliedstaaten, was sich nicht zuletzt in dem sehr unterschiedlichen Niveau in den westeuropäischen Staaten zeigt. Dabei steht es den Gesetzgebern der einzelnen EU-Mitglieder offen, zu standardisieren, sie müssen nicht für jedes Individuum und jede kleine Gruppe ein überwiegendes öffentliches Interesse nachweisen.

Insoweit hat der deutsche Gesetzgeber nur von seinem Ermessen Gebrauch gemacht und deshalb die Dienstleistungsfreiheit nicht verletzt.

Über den Schutz der Betroffenen hinaus dient die bestehende Regelung noch einem weiteren Zweck. Die EU-Niederlassungsfreiheit gibt deutschen Spediteuren das Recht, eine Tochtergesellschaft zum Beispiel in Polen oder in Bulgarien zu gründen, ihre Lkws dort registrieren zu lassen und mit vor Ort eingestellten Fahrern Transporte in Deutschland durchzuführen. Entsprechende Praktiken großer deutscher Spediteure, etwa Fixemer und Betz, gab es schon vor dem EU-Beitritt osteuropäischer Länder, damals oft im Widerspruch zum geltenden Recht.

Der Wettbewerbsvorsprung, der dadurch erreicht wurde, dass in diesen Ländern geringere Löhne üblich sind, wird wenigstens etwas kleiner, wenn Deutschland diese Unternehmen dazu verpflichtet, ihren Fahrern während einer Transit-Fahrt den Mindestlohn zu zahlen. Wer eine besondere Rechtfertigung sucht, kann sie in der Abwehr dieser Gefahr finden.

Der Autor Wolfgang Däubler ist Professor i. R. für Deutsches und Europäisches Arbeitsrecht, Bürgerliches Recht und Wirtschaftsrecht. Zahlreiche Buchveröffentlichungen, insbesondere zum Arbeitsrecht und zum Datenschutz. Tätigkeit als Vorsitzender von Einigungsstellen und als Berater bei arbeitsrechtlichen Reformvorhaben im Ausland.

Zitiervorschlag

Prof. Wolfgang Däubler, EU-Kommission prüft Mindestlohn für Transitfahrer: Deutschland muss sich nicht rechtfertigen . In: Legal Tribune Online, 03.02.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/14567/ (abgerufen am: 24.04.2024 )

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