Schwer gepanzerte Polizisten mit Langwaffen sind auf Weihnachtsmärkten, Großveranstaltungen und öffentlichen Plätzen keine Seltenheit mehr. Daniela Winkler und Florian Bollmann sehen darin eine bedenkliche Entwicklung.
Sicherheit avanciert seit einigen Jahren in weiten Teilen der deutschen Bevölkerung zu einem herausragend wichtigen Gut. Ob islamistischer Terror, rechte Gewalt oder der G20-Gipfel in Hamburg – das Jahr 2017 hat eine Debatte zur öffentlichen Sicherheit geradezu erzwungen. Und so verwundert es nicht, dass im politischen Diskurs, und hier insbesondere im Rahmen der Bundestagswahl, die innere Sicherheit zentrales Thema gewesen ist.
Politisch ist es nur konsequent, dass der Staat auf ein erhöhtes Gefahrenpotential bei öffentlichen Veranstaltungen mit sichtbarer hoheitlicher Präsenz reagiert. Bereits nach dem Anschlag in Berlin im Dezember 2016 konnten auf Weihnachtsmärkten und in Zeitungen in der ganzen Republik neue Waffen und Schutzausrüstungen bei den Beamten "bestaunt" werden. Es wurde gar davon gesprochen, "Waffengleichheit" zu schaffen:
In einem veröffentlichten Beschluss der 204. Sitzung der Ständigen Konferenz der Innenminister und –senatoren der Länder (IMK) aus dem Jahr 2016 heißt es unter anderem, dass "die notwendigen Interventionskräfte im Einsatz-, Streifen- und Wachdienst, sowie der Bereitschaftspolizeien und der Spezialeinheiten der Länder und des Bundes im Rahmen von Personalausstattung, Ausrüstung und Aus- und Fortbildung weiter ertüchtigt werden müssen". Polizeipatrouillen mit Maschinenpistolen und Betonsperren waren dabei in den vergangenen Wochen auf nahezu jedem Weihnachtsmarkt anzutreffen, um zumindest ein Gefühl von Sicherheit zu vermitteln.
Es geht nicht um Militäreinsätze im Inland
Diese sogenannte Militarisierung der Polizei löst Bedenken – insbesondere verfassungsrechtlicher Art – aus.
Rechtlich problematisch ist dabei allerdings nicht die jüngst wieder aufgeworfene Streitfrage nach der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit des Einsatzes von Streitkräften im Inland. In Deutschland herrscht - geschichtlich bedingt - eine strikte Trennung von Militär und Polizei. Nach dem Grundgesetz (GG) ist die Polizei grundsätzlich Ländersache. Die Bundeswehr – wie der Name schon impliziert – Sache des Bundes; ihr Aufgabenbereich ist eng beschränkt (vgl. Art. 87a Abs. 2 GG).
Polizeibeamte sind mithin in der Regel Landesbeamte; Organisation, Aufgaben und Befugnisse sind in erster Linie in den Polizeigesetzen der Länder geregelt. Die auf den Weihnachtsmärkten anzutreffenden Polizeibeamten gehören überwiegend der Schutzpolizei, teilweise der Bereitschaftspolizei an. Diese sogenannte Vollzugspolizei nimmt den Hauptteil der Gefahrenabwehr nach den Landespolizeigesetzen vor. Die Trennung von Polizei und Bundeswehr bleibt unangetastet.
Die Ausstattung der Polizei mit militärischen Waffen ist auch als Signal zu verstehen, dass man die Bundeswehr zur Wahrung der inneren Sicherheit eben nicht benötigt. Richtigerweise richten sich die Bedenken folglich nicht gegen einen verbotenen Einsatz der Bundeswehr im Inland, sondern gegen ein zunehmend "militarisiertes" Auftreten der Polizei, das vielerorts Unbehagen auslöst oder gar bedrohlich wirkt.
Der Staat muss schützen – aber so?
Die aufgebaute Drohkulisse kann grundrechtliche Relevanz entfalten. Dies betrifft sowohl die allgemeine Handlungsfreiheit der Weihnachtsmarktbesucher (Art. 2 I GG) als auch die Berufsfreiheit der Standbetreiber (Art. 12 I GG).
Eingriffswirkung entfaltet hier die psychologische Wirkung der Einschüchterung. Dies gilt unabhängig von einer vermeintlichen Sicherungswirkung, denn diese tritt vermutlich nur vereinzelt auf, denn "bis an die Zähne bewaffnete" und vermummte Polizeibeamte können ein Gefühl von Sicherheit nur schwer vermitteln. Um eine Eingriffswirkung zu bejahen, reicht es letztlich aus, wenn auch nur ein einzelner Bürger sich eingeschüchtert fühlt.
Zwar muss der Staat seiner verfassungsrechtlichen Schutzpflicht, zum Wohl der Allgemeinheit und jedes einzelnen Bürgers Sicherheit zu gewährleisten, nachkommen, zumal die Abwehr von Gefahren durch Terroranschläge, wie verwaltungsgerichtlich entschieden wurde, nicht dem Betreiber eines Weihnachtsmarktes auferlegt werden kann.
Zweifel können jedoch an der Geeignetheit und Angemessenheit der Maßnahme auftreten. So wird die Gefahrenabwehr keineswegs erfolgversprechender, wenn Polizeibeamte bis zur Unkenntlichkeit vermummt sind und mit Maschinenpistolen patrouillieren - gegen Bombenanschläge bleiben sie auch mit dieser Ausrüstung machtlos. Auch gegen Anschläge mit Lastkraftwagen ist eine schwere Bewaffnung ineffektiv, sodass der Zweck der effektiven Gefahrenabwehr verfehlt wird. Die militarisierte Polizeipräsenz wehrt die Gefahr nicht tatsächlich nachweisbar ab; sie erzeugt vielmehr nur den Eindruck, dass eine vermeintlich auftretende Gefahr abgewehrt werden könnte.
Argument der Terrorabwehr trägt vieles – aber nicht alles
Auch in der Gesamtabwägung spiegelt sich dieses Bild wieder. Zwar trägt der Verweis auf die Terrorismusbekämpfung weitgehende Eingriffsmaßnahmen, doch darf hinsichtlich der Reichweite möglicher Grundrechtsverletzungen nicht das Wahrscheinlichkeitsmoment aus den Augen verloren werden. Während die psychologische Wirkung durch den gleichsam aufmarschierenden Polizeibeamten dauerhaft besteht, bleibt das Risiko, das Opfer eines terroristischen Angriffs zu werden, empirisch betrachtet äußerst gering.
Im Hinblick auf die Standbesitzer (und die Freiheit ihrer beruflichen Betätigung) ist das Bild etwas diffuser. Die Einschüchterungswirkung stark bewaffneter Polizeibeamten könnte potenzielle Kunden abschrecken. Damit werden Gewinnchancen der Standbetreiber reduziert, die aber wiederum nicht vom Schutzbereich der Berufsfreiheit umfasst sind. Zudem entfaltet der Eingriff keinen berufsregelnden Effekt, so man dieses Erfordernis weiterhin beibehalten möchte.
Insgesamt erscheint das militärisch anmutende Auftreten von Polizeikräften auf öffentlichen Veranstaltungen und Festen zum (vermeintlichen) Zwecke der Terrorabwehr in erster Linie als politisches Signal, welches polizeiliche Machtdemonstration nutzt, um gesellschaftlichen Unsicherheiten zu begegnen. Verfassungsrechtlich lässt sich über die Geeignetheit und Angemessenheit der Maßnahme wie gezeigt trefflich streiten.
Die Autorin Prof. Dr. Daniela Winkler leitet seit Oktober 2017 die Abteilung Rechtswissenschaft am Institut für Volkswirtschaftslehre und Recht der Universität Stuttgart. Sie lehrt dort öffentliches Recht.
Der Autor Florian Bollmann arbeitet als wissenschaftliche Hilfskraft am IVR der Universität Stuttgart.
Militarisierte Polizeipräsenz: . In: Legal Tribune Online, 03.01.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/26283 (abgerufen am: 12.12.2024 )
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