Michel Friedman ist seit Jahrzehnten eine feste Größe im gesellschaftlichen Diskurs des Landes. Mit seiner Sendung "Der Richter in dir" tritt er kommenden Montag beim TVlab Wettbewerb von ZDFneo an. Vorab spricht er mit LTO über die Unmöglichkeit, die wirkliche Wahrheit zu ergründen – und die Notwendigkeit, es trotzdem zu versuchen.
LTO: Herr Dr. Friedman, der Pilot von "Der Richter in dir" tritt im TVlab Wettbewerb von ZDFneo gegen sechs weitere Formate an – dem Sieger winkt ein fester Sendeplatz. Bitte schildern Sie doch kurz, worum es in Ihrer Show geht.
Friedman: Jeder Mensch urteilt und richtet ununterbrochen über andere, und ist sich dabei in der Regel gar nicht darüber im Klaren, mit wie wenig Informationen und Reflektion er seine Urteile fällt. Die Sendung ist der Versuch, dem Publikum dies vor Augen zu führen.
LTO: Aber ist das keine banale Erkenntnis?
Friedman: Es ist zumindest eine, die leicht in Vergessenheit gerät. Im Übrigen halte ich sie auch nicht für banal. Sich einzugestehen, dass man die eine, letztgültige Wahrheit nie wird ergründen können, und dennoch den Versuch zu unternehmen, sich ihr durch ständige Wechsel der Perspektive dialektisch anzunähern, das ist ein intellektuell und emotional anstrengendes Unterfangen. Aber es ist nirgends notwendiger als im Strafrecht, wo das höchste Gut des Menschen, seine Freiheit, auf dem Spiel steht.
LTO: Wie übersetzen Sie diesen Erkenntnisprozess in eine Fernsehsendung?
Friedman: Die Grundlage der Show bildet jeweils ein realer, gerichtlich abgeurteilter Sachverhalt aus einem Themenbereich, der gesellschaftlich kontrovers diskutiert wird. Im Pilot geht es beispielsweise um die Tötung einer in häuslicher Pflege befindlichen, schwer demenzkranken Frau.
Dazu spielen wir zunächst einen Clip ein, der das Geschehen schildert, dabei aber für die Angeklagte belastende Fakten in den Vordergrund rückt. Anschließend schlüpfe ich in die Rolle des Staatsanwalts, plädiere für eine möglichst drastische Strafe und befrage das Studiopublikum, wie es entscheiden würde. Der Prozess wiederholt sich dann, nur, dass diesmal ein Clip mit entlastenden Fakten gezeigt wird und ich mich als Verteidiger stark mache. Zum Abschluss zeigen wir einen dritten Clip, der den Sachverhalt umfassend schildert, verlesen das Urteil, welches in dem Fall tatsächlich ergangen ist, und vergleichen es mit den Reaktionen des Publikums.
"Das eigene Urteil revidiert man selbst dann nicht gern, wenn man es als falsch erkennt"
LTO: Und führt das zu einem Erkenntnisgewinn?
Friedman: Absolut. Zunächst ist da der naheliegende Effekt: Das vom Publikum bestimmte Strafmaß fällt nach der Verteidigerrede im Schnitt milder aus, als davor. Zugleich zeigt sich aber auch, dass es vielen Leuten schwer fällt, ihr einmal gefasstes Urteil zu revidieren, selbst wenn sie mit neuen Fakten und Blickwinkeln konfrontiert werden. Niemand räumt gern ein, falsch gelegen zu haben, auch wenn diese Eitelkeit auf Kosten eines anderen geht.
LTO: Die Unzulänglichkeiten menschlicher Meinungsbildung treten in einer Show, die darauf zugeschnitten ist, sicher sehr plastisch hervor. Aber halten Sie es für realistisch, dass die Zuschauer daraus auch Lehren für ihren Alltag ziehen?
Friedman: Die Frage berührt mehrere Punkte. Zunächst will ich niemanden belehren. Was mit erhobenem Zeigefinger serviert wird, ist meist wenig bekömmliche Kost. Dann darf man Fernsehen auch nicht überschätzen. Natürlich wird niemand seine Denkprozesse grundlegend umstellen, nur weil er mich für 30 Minuten im TV gesehen hat.
Auf der anderen Seite glaube ich aber fest an das Prinzip der Aufklärung und die Lernfähigkeit des Menschen. Den Impuls, weniger vorschnell zu urteilen, kann man auf verschiedene Weise erlangen: Durch eigene – schmerzliche – Erfahrung, durch Literatur, und, ja, warum nicht auch durch eine Fernsehsendung?
In abgewandelter Form erlebe ich das gleiche Phänomen übrigens auch in meinen politischen Formaten, wo die Gäste ebenfalls oft der Überzeugung sind, sie hätten die Weisheit mit Löffeln gefressen. Auch dort versuche ich dann zu zeigen, dass es eben viele Löffel gibt – und viele Weisheiten.
"Ein Urteil kann richtig sein, ohne als gerecht empfunden zu werden – und umgekehrt"
LTO: Aber Sie gehen implizit davon aus, dass der Bürger versuchen sollte, seine Urteilsfindung an die der Gerichte anzunähern, und nicht umgekehrt. Ist das eigentlich so selbstverständlich? Immerhin ist es doch die Justiz, die für sich beansprucht, im Namen des Volkes zu entscheiden.
Friedman: Ich arbeite ja selbst als Anwalt und bin mir daher durchaus darüber im Klaren, dass Recht und Gerechtigkeit zweierlei Dinge sind und man vor Gericht bisweilen froh sein kann, auch nur eins davon zu kriegen. Trotzdem hat die deutsche Justiz ein ausgefeiltes System entwickelt, um die Wahrheit zu ergründen, welches zwar nicht in jedem Einzelfall, aber doch in der Summe befriedigende Ergebnisse liefert.
Dass diese Ergebnisse auch mit dem Gerechtigkeitsempfinden der Bevölkerung harmonieren, ist wünschenswert. Aber ein Urteil kann durchaus richtig sein, ohne als gerecht empfunden zu werden, und umgekehrt. "Im Namen des Volkes" ist eine Floskel, aber faktisch entscheidet eben nicht das Volk per Plebiszit, sondern die Richter auf Grundlage der geltenden Gesetze und dem Ergebnis der Beweisaufnahme.
Sich so in einen Sachverhalt und die Gesetze zu vertiefen, wie Richter es tun, ist für die breite Öffentlichkeit überhaupt nicht möglich, deshalb sind ihre Urteile meist auch nicht substantiell begründet – und spielen bei der Entscheidung über Freiheit oder Inhaftierung anderer Menschen zu Recht keine Rolle.
LTO: Herr Friedman, vielen Dank für das Gespräch.
Dr. Michel Friedman ist Rechtsanwalt, Politiker, Kolumnist und Fernsehmoderator.
"Der Richter in dir" mit Michel Friedman wird am 26. August um 21:45 auf ZDFneo ausgestrahlt. Zuschauer können unter http://tvlab.zdfneo.de/ über ihr Lieblingsformat im Rahmen des TVlab Wettbewerbs abstimmen.
Das Gespräch führte Constantin Baron van Lijnden.
Friedman lässt die Zuschauer urteilen : . In: Legal Tribune Online, 24.08.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/9423 (abgerufen am: 13.12.2024 )
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