Druckversion
Mittwoch, 19.11.2025, 05:55 Uhr


Legal Tribune Online
Schriftgröße: abc | abc | abc
https://www.lto.de//recht/hintergruende/h/mh-17-ukraine-absturz-opfer-angehoerige-schadensersatz-klage-egmr
Fenster schließen
Artikel drucken
13825

Interview zur Angehörigen-Klage der MH 17-Opfer : "Die Ukraine hätte den Abschuss verhindern können"

Interview von Anne-Christine Herr

17.11.2014

Wrackteile der Maschine

Alexander Khudoteply

Die Maschine der Malaysian Airlines wurde wohl über der Ukraine abgeschossen – vermutlich von prorussischen Separatisten. 298 Menschen starben. Ihr Leben kann man nicht in Geld aufwiegen. Mit der Klage, die sie heute beim EGMR einreichen, möchten drei Angehörige der Opfer aber auch verhindern, dass so etwas noch einmal passiert. Ihr Anwalt Elmar Giemulla erklärt, wie man die Ukraine belangen kann.

Anzeige

LTO: Sie vertreten Verwandte der Opfer des mutmaßlich über der Ukraine abgeschossenen Fluges MH17 der Malaysia Airlines. Herr Professor Giemulla, wer genau sind Ihre Mandanten?

Giemulla: Ich vertrete die Angehörigen von drei der vier Deutschen, die an Bord waren. Zwei der Opfer waren miteinander verlobt. Die eine Familie wohnt in Deutschland, die andere in Kanada. Die dritte Person war die Mutter meines in Australien lebenden Mandanten.

LTO: Für Ihre Mandanten fordern Sie Schadensersatz von der Ukraine. Wieviel genau fordern Sie für jedes verlorene Menschenleben?

Giemulla: Es geht ja darum, dass der Schadensersatz das reflektiert, was da passiert ist. Das ist natürlich eine Ermessensfrage des Gerichts, insofern können wir lediglich einen Vorschlag machen. Da ist eine Million genauso falsch und richtig wie zehn Millionen, denn den Wert eines Menschen kann man nicht in Geld aufwiegen.

Neben der Ausgleichsfunktion steht vielmehr die zweite Funktion des Schadensersatzes im Vordergrund, nämlich seine präventive Wirkung für die Zukunft. Durch die Höhe des Schadensersatzes soll klargestellt werden, dass es durchaus im Interesse des Landes ist, solche Katastrophen in Zukunft zu vermeiden, indem es seinen Luftraum sperrt. Das gilt nicht nur für die Ukraine, sondern für alle anderen Länder, in denen es Krisengebiete gibt, so etwas also ebenfalls passieren könnte. Das macht es auch für die Angehörigen leichter: Durch die Klage können Sie alles dafür tun, dass so etwas nicht noch einmal passiert.

Insofern kann man keine kleinen Summen fordern, weil sowas dann als Lappalie unter "ferner liefen" abgehakt wird. Für europäische Verhältnisse sind wir also hoch eingestiegen und fordern eine Million für jede verstorbene Person.

"Die Ukraine ist verpflichtet, Menschen vor Angriffen Dritter zu schützen"

LTO: Woraus genau machen Sie den Anspruch vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) geltend?

Giemulla: Die Ukraine ist ja 1997 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) beigetreten. Damit hat sie sich nicht nur verpflichtet, es zu unterlassen, Menschen aktiv zu verletzten oder gar zu töten, sondern auch dazu, alles daran zu setzen, damit Menschen, die sich in ihrem Staatsgebiet aufhalten, nichts widerfährt. Der Staat hat eine Pflicht, alle Menschen – also nicht nur die eigenen Bürger – vor Angriffen durch Dritte zu schützen.

Eine entsprechende Haltung des Gerichtshofes zeigen auch andere Verurteilungen: Beispielsweise wurde bereits ein Staat verurteilt,  Kompensation zu leisten, weil jemand im Land getötet wurde, obwohl es Anhaltspunkte dafür gab, dass er bedroht wurde. Der Vorwurf lautete, dass man ihm keinen Polizeischutz zur Verfügung gestellt hatte.

LTO: Zum Staatsgebiet im Sinne der EMRK gehört auch der Luftraum darüber?

Giemulla: Richtig. Es ist unstreitig, dass bis zu einer Höhe von mindestens 60 km der Luftraum zum Staatsgebiet zählt – und damit dort die üblichen staatlichen Schutzpflichten gelten.

Die Ukraine hat zwei internationale Abkommen über den Luftverkehr unterzeichnet. Diese begründen Rechtspflichten zum Handeln. Die Regierung  hätte also den Abschuss der Maschine durch die Separatisten verhindern müssen. Das ist vergleichbar mit der Figur der Garantenstellung aus dem deutschen Strafrecht – es geht um die Frage der Tötung durch Unterlassen. Die Anspruchsgrundlage findet sich in Art. 2 EMRK, der das Recht auf Leben schützt und daran in Art. 41 EMRK eine Schadensersatzpflicht knüpft.

"Die Ukraine wusste, dass sie die Kontrolle über ihren Luftraum verloren hatte"

LTO: Welche Abkommen sind dies genau?

Giemulla: Beide Abkommen stammen aus dem Jahr 1944. Zum einen hat die Ukraine 1996 das internationale Luftfahrt-, auch Chicagoer Abkommen genannt, unterzeichnet. Damit ist sie Mitglied der internationalen Luftfahrt-Gemeinde geworden, also der internationalen Zivilluftfahrtorganisation (ICAO) – das sind mittlerweile 191 Staaten. Im Jahr 1997 hat die Regierung in Kiew auch das Transit-Abkommen unterzeichnet, dem mittlerweile 150 Staaten beigetreten sind.

Diese Staaten haben sich verpflichtet, ihren jeweiligen Luftraum für die anderen Staaten zu öffnen. Diese müssen also keine Durchflugerlaubnis mehr beantragen, um über das Land zu fliegen. Natürlich muss man das administrativ abwickeln, man muss einen Flugplan herausgeben, damit die Flugsicherung des jeweiligen Staates weiß, wann man fliegt.

Erst wenn man den Luftraum öffnet, kann man auch überhaupt von internationalem Luftverkehr reden. Dann ist völlig klar, dass der Luftraum auch sicher gehalten werden muss – sonst funktioniert der internationale Luftverkehr überhaupt nicht. Aus den Verträgen ergibt sich damit ebenfalls die Verpflichtung, den Luftraum zu sichern. Derzeit gerät das gesamte System des internationalen Luftraums in Gefahr, weil sich die Fluggesellschaften offensichtlich nicht mehr auf die Funktionsfähigheit vieler Staaten verlassen können.

Die Ukraine wusste, dass ein Teil ihres Staatsgebietes und damit auch der Luftraum unsicher waren, dass sie darüber völlig die Kontrolle verloren hatte. Das allein kann man ihr nicht vorwerfen, denn das passiert auf der Welt leider recht häufig – zurzeit sowieso. Wenn aber so etwas passiert, dann müssen die notwendigen Konsequenzen gezogen, der betroffene Teil des Luftraumes also gesperrt werden. Diese Verpflichtung hat Kiew  verletzt und dadurch wurden Menschen getötet. Dass die Ukraine den Flug dennoch zugelassen hat, liegt wohl daran, dass man die Überfluggebühren kassieren wollte.

Seite 1/2
  • Seite 1:

    "Die Ukraine hätte den Luftraum sperren müssen"

  • Seite 2:

    "Ich denke nicht, dass sich jemals herausstellen wird, was wirklich passiert ist"

  • Drucken
  • Senden
  • Zitieren
Zitiervorschlag

Anne-Christine Herr, Interview zur Angehörigen-Klage der MH 17-Opfer : . In: Legal Tribune Online, 17.11.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/13825 (abgerufen am: 19.11.2025 )

Infos zum Zitiervorschlag
  • Mehr zum Thema
    • Europa- und Völkerrecht
    • EGMR
    • Flugsicherheit
    • Flugverkehr
    • Menschenrechte
    • Schadensersatz
  • Gerichte
    • Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR)
Ein Zahnarztstuhl in ekelhaftem Rosa 17.11.2025
Schadensersatz

Patient haftet nicht für beschädigten Zahnarztstuhl:

"Übliche Bewe­gungen im Rahmen des Sich-bequem-Machens"

Zahnarzt verklagt Patienten: Weil der so groß und ungeschickt sei, habe er den Behandlungsstuhl zerstört. Das AG München sieht aber kein Verschulden. Ein Zahnarztstuhl müsse aushalten, dass es sich auch große Menschen auf ihm bequem machen.

Artikel lesen
Suchzeile der Suchmaschine Google auf einem iPad 14.11.2025
Nachrichten

LG Berlin II sieht Kartellrechtsverstöße:

Google muss Idealo 465 Mil­­lionen Euro zahlen

Google gilt bei vielen als der Inbegriff der Suchmaschine. Diese Machtstellung auf dem Markt kommt jedoch mit Wettbewerbspflichten. Diese hat Google verletzt, entschied das LG Berlin II und sprach Idealo Schadensersatz in Millionenhöhe zu.

Artikel lesen
Kräftemessen unter Pferden (Symbolbild) 12.11.2025
Tiere

LG Koblenz bejaht Schadensersatzanspruch:

Ran­gelnde Hengste beschä­d­igen Stall und ver­letzen sich

Der Offenstall ermöglicht artgerechte Haltung, birgt aber auch Gefahren: Dass sich Hengste darin rangeln, den Stall beschädigen und sich daraufhin verletzen können, hätte eine Stallbetreiberin in diesem Fall vorhersehen können, so das LG.

Artikel lesen
Die Reinigungskraft prüft sorgenvoll die Jacke, die durch unsachgemäße Behandlung beschädigt wurde. Waschhinweise ignoriert. 10.11.2025
Schadensersatz

Waschhinweise beachtet:

Rei­ni­gung rui­niert 1200-Euro-Jacke, haftet aber nicht

Ein Mann bringt seine 1.200-Euro-Jacke in die Reinigung – und bekommt sie mit Flecken zurück. Das Amtsgericht München sieht die Schuld nicht bei der Reinigung: Wer sich an die Herstellerhinweise hält, haftet für Materialfehler nicht.

Artikel lesen
Mann fotografiert einen Falschparker mit seinem Smartphone. 06.11.2025
Datenschutz

Vom Hilfssheriff zum Datensünder:

Falsch­parker-Melder muss 100 Euro Scha­dens­er­satz zahlen

Ein Mann meldet per App einen Falschparker – und schießt dabei übers Ziel hinaus. Weil er auch den Beifahrer fotografierte, muss er 100 Euro Schadensersatz und die gegnerischen Anwaltskosten von über 600 Euro zahlen, so das OLG Dresden.

Artikel lesen
Syrien 05.11.2025
Abschiebung

VG Düsseldorf lehnt Eilanträge ab:

Zwei Syrer dürfen abge­schoben werden

Jahrelang galten Abschiebungen nach Syrien als undenkbar. Nach dem Regimewechsel sagt das VG Düsseldorf nun: Die Gefahrenlage ist akzeptabel, zwei Syrer können abgeschoben werden. Gleichzeitig läuft die Debatte über Rückführungen.

Artikel lesen
lto karriere logo

LTO Karriere - Deutschlands reichweitenstärkstes Karriere-Portal für Jurist:innen

logo lto karriere
Jetzt registrieren bei LTO Karriere

Finde den Job, den Du verdienst 100% kostenlos registrieren und Vorteile nutzen

  • LTO Job Matching: Finde den Job & Arbeitgeber, der zu Dir passt.
  • Jobs per Mail: Verpasse keine neuen Job-Angebote mehr.
  • One-Klick Bewerbung: Dein Klick zum neuen Job, einfach und schnell.
Das Passwort muss mindestens 8 Zeichen lang sein und mindestens einen Großbuchstaben, einen Kleinbuchstaben, eine Zahl und ein Sonderzeichen enthalten (z.B. #?!@$%^&*-).
Pflichtfeld *

Nur noch ein Klick!

Wir haben Dir eine E-Mail gesendet. Bitte klicke auf den Bestätigungslink in dieser E-Mail, um Deine Anmeldung abzuschließen.

Weitere Infos & Updates einfach und kostenlos direkt ins Postfach.

LTO Karriere Newsletter

Das monatliche Update mit aktuellen Stellenangeboten & Karriere-Tipps.

LTO Daily

Jeden Abend um 18 Uhr die wichtigsten News vom Tag.

LTO Presseschau

Jeden Morgen um 7:30 Uhr die aktuelle Berichterstattung über Recht und Justiz.

Pflichtfeld *

Fertig!

Um die kostenlosen Nachrichten zu beziehen, wechsle bitte nochmal in Dein Postfach und bestätige Deine Anmeldung mit dem Bestätigungslink.

Du willst Dein Bewerberprofil direkt anlegen?

Los geht´s!
ads lto paragraph
lto karriere logo
ads career people

Wir haben die Top-Jobs für Jurist:innen

Jetzt registrieren
logo lto karriere
TopJOBS
Logo von Gleiss Lutz
Wis­sen­schaft­li­che Mit­ar­beit (m/w/d) Öf­f­ent­li­ches Recht

Gleiss Lutz , Düs­sel­dorf

Logo von DLA Piper UK LLP
Pro Bo­no Re­fe­ren­dar (m/w/x)

DLA Piper UK LLP , Köln

Logo von DLA Piper UK LLP
Pro Bo­no Re­fe­ren­dar (m/w/x)

DLA Piper UK LLP , Ham­burg

Logo von Hessisches Ministerium der Justiz und für den Rechtsstaat
Voll­ju­ris­ten (m/w/d) – Ih­re Zu­kunft in der hes­si­schen Jus­tiz

Hessisches Ministerium der Justiz und für den Rechtsstaat , Wies­ba­den

Logo von Baker McKenzie Rechtsanwaltsgesellschaft mbH von Rechtsanwälten und Steuerberatern
Mid-Le­vel As­so­cia­tes | Tra­de, Com­p­li­an­ce & In­ves­ti­ga­ti­on | Ber­lin

Baker McKenzie Rechtsanwaltsgesellschaft mbH von Rechtsanwälten und Steuerberatern , Ber­lin

Logo von DLA Piper UK LLP
Pro Bo­no Re­fe­ren­dar (m/w/x)

DLA Piper UK LLP , Frank­furt am Main

Logo von DLA Piper UK LLP
Pro Bo­no Re­fe­ren­dar (m/w/x)

DLA Piper UK LLP , Mün­chen

Logo von Clifford Chance Partnerschaft mbB
BACKS­TA­GE - Das Pro­gramm für Prak­ti­kant*In­nen am Stand­ort Düs­sel­dorf...

Clifford Chance Partnerschaft mbB , Düs­sel­dorf

Mehr Stellenanzeigen
logo lto events
Logo von Görg
GÖRG Connect Köln

03.12.2025, Köln

Online Info Session Jurastudium (LL.B., EjP)

26.11.2025

Geldwäsche-Prävention in der Steuerberatung, Rechtsberatung und Wirtschaftsprüfung

26.11.2025

Kölner Tage DigiTax 2025

27.11.2025, Köln

Update IT-Recht 2025

26.11.2025

Mehr Events
Copyright © Wolters Kluwer Deutschland GmbH