Abstimmung über Merz' Migrationspläne: Alles, was Sie zur Debatte wissen müssen

29.01.2025

In der scharf geführten Debatte um eine andere Migrationspolitik ist der Bundestag am Zug. Dabei müssen mehrere Vorhaben der Unionsfraktion auseinandergehalten werden. Die Zustimmung der AfD zu diesen sorgt dabei für heftige Kritik.

"Es kann sein, dass die AfD hier im Deutschen Bundestag am Freitag erstmalig die Mehrheit für ein notwendiges Gesetz ermöglicht", sagte der Unionskanzlerkandidat in der Antwort auf die Regierungserklärung von Kanzler Olaf Scholz (SPD) zum tödlichen Messerangriff in Aschaffenburg am Mittwoch. Er fügte hinzu: "Eine richtige Entscheidung wird nicht dadurch falsch, dass die Falschen zustimmen. Sie bleibt richtig." 

Es war schon länger absehbar, damit aber war am Mittwoch gewiss: Mit der CDU/CSU nimmt erstmals eine der demokratischen Fraktionen im Bundestag bewusst die Zustimmung der AfD zu ihren politischen Vorhaben in Kauf. Neben politischen Querelen gibt es auch massive rechtliche Bedenken an den Anträgen und Vorhaben der Unionsfraktion, die Dr. Christian Rath für LTO bereits umfassend analysiert hat.

Es gibt bei den Plänen der Union im Wesentlichen drei verschiedene Anträge, die man auseinanderhalten muss. Der Bundestag hat am Mittwoch über den ersten und zweiten Antrag abgestimmt. Die Abstimmung über den dritten Antrag erfolgt am Freitag.

Mittwoch: "Punkte-Plan" mit Forderungen an die Bundesregierung

Zunächst brachte die CDU/CSU in einem als "Fünf-Punkte-Plan" diskutierten Papier einen ersten Antrag ein, mit dem der Bundestag mehrere konkrete Forderungen an die Bundesregierung stellt:

  • dauerhafte Grenzkontrollen zu allen Nachbarstaaten
  • faktisches Einreiseverbot für ausnahmslos alle Personen, die keine gültigen Einreisedokumente besitzen und die nicht unter die europäische Freizügigkeit fallen
  • vollziehbar ausreisepflichtige Personen müssen unmittelbar in Haft genommen werden; der Bund unterstützt die Länder dabei bei der Erhöhung der Anzahl entsprechender Haftplätze
  • tägliche Abschiebungen; auch nach Afghanistan und Syrien soll regelmäßig abgeschoben werden
  • weitere Unterstützung der Länder beim Vollzug der Ausreisepflicht durch den Bund, etwa durch Beschaffung von Reisepapieren und der Umsetzung von Rückführungen
  • Schaffung von "Bundesausreisezentren"
  • Befugnis der Bundespolizei, selbst und unmittelbar für im eigenen Zuständigkeitsbereich aufgegriffenen, ausreisepflichtigen Personen entsprechende Haftbefehle für Abschiebehaft oder Ausreisegewahrsam zu beantragen
  • zeitlich unbefristeter Ausreisearrest für ausreisepflichtige Straftäter und Gefährder, bis sie freiwillig in ihr Heimatland zurückkehren oder die Abschiebung vollzogen werden kann; dabei soll eine freiwillige Ausreise jederzeit möglich und eine Rückkehr nach Deutschland unmöglich sein

Dieser erste Antrag fand am Mittwoch eine Mehrheit, darunter Stimmen der AfD.

In einem zweiten Antrag forderte die Unionsfraktion ferner einen "Politikwechsel bei der inneren Sicherheit". Hierfür listet sie 27 Punkte auf. Dabei geht es beispielsweise um die dreimonatige Speicherung von IP-Adressen und einen verstärkten Einsatz von elektronischer Gesichtserkennung. Auch wird darin das Ende des Familiennachzugs für subsidiär Schutzberechtigte gefordert. Diesem Antrag versagte am Mittwoch aber selbst die AfD die Zustimmung.

Freitag: "Zustrombegrenzungsgesetz" mit praktischen Auswirkungen

Drittens will die Unionsfraktion am Freitag über ein "Zustrombegrenzungsgesetz" abstimmen lassen, welches bereits im September, also vor dem Ende der Ampel-Koalition, in erster Lesung den Bundestag beschäftigte. Konkret soll beispielsweise die Begrenzung der Migration als Ziel im Aufenthaltsgesetz (AufenthG) festgeschrieben werden. Auch mehrere Aspekte aus den beiden zuvor genannten Anträgen werden hier abermals relevant, unter anderem der Stopp des Familiennachzugs.

Die beiden ersten Anträge haben allein "appellativen Charakter" und würden praktisch zumindest vorerst nichts ändern, wie die Tagesschau berichtet. Anders ist es aber beim Zustrombegrenzungsgesetz. Damit gingen konkrete Änderungen beispielsweise im Bereich der Bundespolizei einher. Ob dieses Gesetz aber auch die notwendige Zustimmung im Bundesrat bekäme, ist fraglich.

"Historischer Tabubruch" und "infame Vorwürfe": Debatte in vollem Gange

Für sämtliche Anträge bedarf es einer einfachen Mehrheit im Bundestag. Dabei galt schon länger ein Szenario als sicher, welches die SPD als "historischen Tabubruch" bezeichnet: Erstmals nimmt mit Friedrich Merz ein Politiker der demokratischen Fraktionen bewusst eine notwendige Zustimmung der AfD zu den Anträgen seiner Partei in Kauf. "Niemals dürfen rechtsradikale Mehrheitsbeschaffer sein und niemals dürfen sich die demokratischen Parteien der Mitte von den Feinden der Demokratie abhängig machen", sagte SPD-Chefin Saskia Esken dazu. Merz habe sich "mit seiner unbeherrschten Art in eine Sackgasse manövriert", so Esken weiter. 

Auch der noch amtierende Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) warf seinem Herausforderer vor, einen "unverzeihlichen Fehler" zu begehen. Er sprach Merz die Regierungsfähigkeit ab, weil er rechtswidrige Vorschläge mache. "Es gibt Grenzen, die darf man als Staatsmann nicht überschreiten", so Scholz weiter. "Politik in unserem Land ist doch kein Pokerspiel. Der Zusammenhalt Europas ist kein Spieleinsatz. Und ein deutscher Bundeskanzler darf kein Zocker sein. Denn er entscheidet im schlimmsten Fall über Krieg oder Frieden". Merz nannte die Vorwürfe wie auch die Mutmaßung, die Union sei nunmehr bereit, mit der AfD gar eine Regierungskoalition einzugehen, "niederträchtig" und "infam". Die Zustimmung der AfD sei ihm lieber, so Merz, als "weiter ohnmächtig zuzusehen, wie die Menschen in unserem Land weiter bedroht, verletzt und ermordet" werden.

Die AfD begründet ihre zustimmende Haltung nach außen mit inhaltlichen Gründen: Es gehe um Forderungen, die durch die AfD seit Jahren gestellt würden, sagte Parteichef Tino Chrupalla. Zugleich jubelt die Partei über den Bruch der "Brandmauer" und dem damit einhergehenden Umfrage-Plus. Zugleich gilt der Antrag für die Einleitung eines Verbotsverfahrens gegen die AfD, über den am Donnerstagabend (30. Januar 2025) im Bundestag abgestimmt werden soll, mittlerweile als aussichtslos. 

Laut einer YouGov-Umfrage sprechen sich zwar 42 Prozent der Befragten grundlegend gegen eine Zusammenarbeit mit der AfD aus. Wiederum sehen 22 Prozent in einer Kooperation für einzelne Sachfragen jedoch kein Problem. 30 Prozent gaben darüber hinaus an, dass auch eine Regierungskoalition mit der AfD möglich sein sollte. In der Sache stimmten zugleich 80 Prozent der Befragten der Forderung zu, Personen an den deutschen Grenzen nicht nur zu kontrollieren, sondern auch zurückzuweisen.

Union und Kirchen liegen über Kreuz

Die Kirchen stellten sich am Mittwoch geschlossen gegen die Merz-Pläne. "Wir befürchten, dass die deutsche Demokratie massiven Schaden nimmt, wenn dieses politische Versprechen aufgegeben wird", schreiben Prälatin Anne Gidion für die Evangelische Kirche und der Leiter des Kommissariats der deutschen Bischöfe, Prälat Karl Jüsten, für die Katholische Kirche in einer ökumenischen Stellungnahme. Konkret wird auf die teilweise Rechts- bzw. Verfassungswidrigkeit hingewiesen, insbesondere der Stopp des Familiennachzugs erfährt harsche Kritik: Das Zusammenleben als Familie gehöre zu den sozialen Grundbedürfnissen, so die Kirchen. "Dies gilt auch und besonders unter den Bedingungen von Flucht und Vertreibung".

Für die CDU verteidigte die Vizevorsitzende Karin Prien den Kurs von Merz. Die CDU müsse nicht "immer eins zu eins mit den Kirchen einer Meinung" sein, sagte sie im Deutschlandfunk. "Wir machen Politik auf Grundlage unseres christlichen Menschenbildes." Menschen, die Schutz brauchten und die in Not seien, wolle die CDU auch weiter Aufnahme gewähren. "Aber das, was wir im Moment machen, ist doch ein Asylsystem, was auf europäischer Ebene, auf deutscher Ebene, auf Verwaltungsebene schlicht nicht funktioniert." Deshalb sei ein Politikwechsel notwendig.

jb/LTO-Redaktion 

mit Materialien der dpa

Zitiervorschlag

Abstimmung über Merz' Migrationspläne: . In: Legal Tribune Online, 29.01.2025 , https://www.lto.de/persistent/a_id/56460 (abgerufen am: 11.02.2025 )

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