Auch wegen der Netflix-Serie "Monsters" wird diskutiert, ob Lyle und Erik Menendez fast 30 Jahre nach ihrer Verurteilung wegen Mordes an ihren Eltern freikommen sollen. Neue Dynamik bringt ein Anfang November gewählter Staatsanwalt.
Die Tat der Menendez Brüder und ihre Verurteilung vor rund 30 Jahren erregten weltweit Aufsehen. Nach den Feststellungen der Jury erwarben die damals 21- und 18-jährigen Brüder Lyle und Erik im August 1989 zwei Schrotflinten. Damit bewaffnet suchten sie zwei Tage später das elterliche Anwesen in Beverly Hills auf. Dort erschossen sie ihre im Wohnzimmer vor dem Fernseher sitzenden Eltern, José und Kitty Menendez.
Die gerichtsmedizinische Untersuchung rekonstruierte einen brutalen Hergang: Die Brüder schossen ihrem Vater aus nächster Nähe in den Hinterkopf. Sie trafen auch ihre Mutter, die zunächst überlebte. Während diese versuchte, auf dem Boden kriechend zu entkommen, tötete einer ihrer Söhne sie mit weiteren Schüssen.
Die Frage nach dem Warum
Es war nicht allein die gegen die Eltern gerichtete Tat – der Parentizid –, die das öffentliche Interesse erregte. Im Fokus stand damals wie heute das Motiv. Die Staatsanwaltschaft ging davon aus, die Menendez-Brüder hätten aus Habgier gehandelt. Es sei ihnen um das Millionenvermögen ihres Vaters gegangen; das würden verschwenderische Ausgaben unmittelbar nach der Ermordung zeigen.
Vor Gericht stellten Lyle und Erik Menendez die Tat als Selbstverteidigung dar. Ihr Vater habe sie jahrelang sexuell missbraucht. Kurz vor der Tat habe er gedroht, sie umzubringen, wenn sie die Misshandlungen nicht weiter geheim hielten.
In seiner damaligen Einlassung schilderte Lyle Menendez nicht nur, wie ihn sein Vater im Kindesalter missbraucht und anderweitig misshandelt habe. Lyle Menendez gab auch an, er habe in Reaktion auf das Erlebte dieselben Handlungen an seinem jüngeren Bruder vorgenommen.
Mord oder Totschlag?
Die Staatsanwaltschaft hielt die Angaben für unglaubwürdig: Zwar sagten zwei Verwandte aus, die Brüder hätten sich jeweils einem von ihnen anvertraut und den Missbrauch geschildert. Die Brüder hätten den angeblichen Missbrauch aber gegenüber ihrem Psychologen, der seine Gespräche mit ihnen aufzeichnete, nicht thematisiert. Sie hätten die Vorwürfe erst als Teil ihrer späteren Verteidigungsstrategie erhoben.
In einem ersten Strafverfahren konnten sich die Jurymitglieder nicht einigen, ob sie die Brüder wegen Mordes (first-degree murder) oder nur wegen Totschlags (voluntary manslaugther) verurteilen sollten. Ein Urteil kam nicht zustande, da es eine einstimmige Entscheidung der Jury erfordert hätte.
Die Staatsanwaltschaft strengte nach dieser Situation, einem sogenannten Mistrial, ein zweites Strafverfahren an, in dem die Menendez-Brüder zu lebenslanger Haft ohne Möglichkeit der Bewährung verurteilt wurden. Der Richter hatte wesentliche Indizien für den angeblichen Missbrauch ausgeschlossen; er galt als nicht bewiesen.
Mögliche Wendung nach Jahrzehnten
Dieses Urteil und der Strafausspruch werden nun durch mehrere Anträge vor einem US-Gericht angegriffen. Anlass für den Antrag der Menendez-Brüder auf Aufhebung des Urteils geben neue Hinweise, die die Missbrauchsvorwürfe stützen sollen: Ein weiterer Mann wirft José Menendez vor, ihn als Kind missbraucht zu haben. Außerdem schilderte Erik Menendez in einem letztes Jahr aufgetauchten Brief an seinen Cousin den Missbrauch bereits vor August 1989.
Es gibt eine Vielzahl von wichtigen Unterschieden zwischen US-amerikanischen und deutschen Strafverfahren. Von zentraler Bedeutung für den Fall der Menendez-Brüder ist aber eine Gemeinsamkeit: Ist eine rechtskräftige Entscheidung über die individuelle Schuld gefallen, kommt ihr ein hoher Wert zu. Sie vermittelt Rechtsklarheit für den Einzelnen und Rechtsfrieden für die Gesellschaft – selbst wenn sie falsch wäre. Die Rechtskraft kann allerdings, sowohl in den USA als auch in Deutschland, zugunsten eines Verurteilten durchbrochen werden, wenn neue Beweise eine Neubewertung erfordern.
Die Eignung neuer Beweismittel
Der neu entdeckte Brief und eine neue potenzielle Zeugenaussage sind die Grundlage für einen sogenannten Habeas-Corpus-Antrag nach US-amerikanischem Recht, mit dem die Brüder eine Aufhebung ihrer Haft aufgrund neuer Beweise anstreben. Parallel hat die Staatsanwaltschaft eine Änderung des Strafausspruchs (resentencing) beantragt. Diese könnte die bisher ausgeschlossene Entlassung auf Bewährung ermöglichen.
Im deutschen Recht kommt eine Wiederaufnahme zugunsten des Verurteilten unter anderem in Betracht, wenn neue Tatsachen oder Beweismittel geeignet sind, einen Freispruch oder eine geringere Strafe aufgrund eines milderen Strafgesetzes zu begründen (§ 359 Nr.5 Strafprozessordnung). Eine neue Tatsache ist ein nicht berücksichtigtes, dem Beweis zugängliches Ereignis. Würde der Fall der Brüder Menendez in Deutschland verhandelt, wäre diese Fallgruppe nicht einschlägig; denn sieht ein deutsches Gericht eine Behauptung im Verfahren als widerlegt an, wie hier die Missbrauchsvorwürfe, hat es sie gleichwohl berücksichtigt.
Der Brief und der potenzielle Zeuge, die konkret auf den behaupteten Missbrauch des Vaters in bzw. außerhalb der Familie hindeuten, stellen aber nach deutschem Recht neue Beweismittel dar. Entscheidend für eine Wiederaufnahme wäre in Deutschland dann allerdings, ob sie geeignet wären, das Urteil aufzuheben. Dafür müsste der mögliche Missbrauch einen Freispruch tragen oder zumindest eine geringere Strafe begründen.
Parallelen zum Haustyrannenfall?
Die Brüder beriefen sich vor Gericht auf ihr Selbstverteidigungsrecht. Eine Notwehrlage hätte im August 1989 allerdings auch bei Feststehen der angeblichen Missbrauchshandlungen nicht bestanden. Das deutsche – wie das US-amerikanische – Recht setzen dafür eine gegenwärtige Gefahr voraus, die auch die Drohung des Vaters, Stillschweigen zu bewahren, nicht darstellen würde. Die Söhne hatten Zeit, sich zu bewaffnen und griffen selbst an.
Vor dem Hintergrund der deutschen Rechtsprechung könnten die jahrelangen Misshandlungen José Menendez allerdings als einen Familientyrannen erscheinen lassen. In dem zwischenzeitlich aufgetauchten Brief schilderte Erik Menendez, er liege jede Nacht wach und erwarte, sein Vater werde ihn wieder missbrauchen. Im berühmten Haustyrannenfall entschied der Bundesgerichtshof (BGH) 2003, dass bei einer Dauergefahr, in der jederzeit erneut Schäden drohen, ein entschuldigender Notstand in Betracht komme (Urt. v. 25.03.2003, Az. 1 StR 483/02). Zuvor müsse aber die Hilfe Dritter, vor allem der Behörden, in Anspruch genommen werden, um die Gefahr abzuwehren. Das hatten die Brüder zu keiner Zeit versucht.
Gleichzeitig wies der BGH in seiner Entscheidung auf eine denkbare Strafrahmenverschiebung hin: Statt lebenslanger Freiheitsstrafe sei eine geringere Strafe möglich, wenn der Täter irrtümlich eine ausweglose Dauergefahr annehme. Im Fall der Menendez-Brüder ist eine solche aufgrund der angeblichen Bedrohung mit dem Tod und fehlenden Beweisen für den Missbrauch nicht fernliegend.
Die Parallele zum Haustyrannenfall besteht aber allenfalls eingeschränkt. Diesen kennzeichnet eine heimtückische Tötung, bei der die Konfrontation mit dem Tyrannen vermieden wird. Die Menendez-Brüder könnten die Argwohnlosigkeit ihrer Fernsehen schauenden Eltern zwar ausgenutzt und heimtückisch gehandelt haben. Dem Gericht kam es darauf jedoch nicht an. Es ging davon aus, die Menendez-Brüder hätten aus Habgier gehandelt.
Motivlage maßgebend
Entscheidend ist daher das Motiv. Für die Wiederaufnahme würde es in Deutschland genügen, wenn aufgrund des Fehlens von Mordmerkmalen eine Verurteilung wegen Totschlags nach § 212 Strafgesetzbuch (StGB) als milderes Strafgesetz in Betracht käme. Nach § 212 Abs.2 StGB wäre eine lebenslange Freiheitsstrafe zwar ebenfalls möglich, sie ist aber nicht absolut angedroht wie beim Mord nach § 211 StGB.
Genau eine solche Neubewertung könnten die Missbrauchsvorwürfe tragen. Selbst wenn es den Brüdern auf das Vermögen angekommen wäre, müssten weitere Beweggründe in einem Motivbündel berücksichtigt werden. Nähme das Gericht an, der Missbrauch habe stattgefunden, sogar bis kurz vor der Tat angedauert und der Vater habe die Brüder bedroht, läge nahe, dass diese Umstände im August 1989 bewusstseinsdominant waren – jedenfalls für die Tötung des Vaters.
Wie geht es weiter?
Die Staatsanwaltschaft Los Angeles betonte zuletzt, dass sich das Verständnis von sexuellem Missbrauch und dessen Folgen gewandelt habe. Aus ihrer Sicht würde der Fall der Menendez-Brüder heute anders bewertet und sie nicht zu lebenslangen Haftstrafen ohne Aussicht auf Bewährung verurteilt werden.
Diese Auffassung gibt Erik und Lyle Menendez begründete Hoffnung, dass ihre Verurteilung in den USA aufgehoben und sie aus der Haft entlassen werden. Allerdings wird im Dezember 2024 ein anderer Staatsanwalt das Verfahren übernehmen, der bei den US-Wahlen am 5. November 2024 gewählt wurde. Er hat sich noch nicht festgelegt, ob er bei dieser Auffassung bleibt. Am Ende wird von Ende Januar 2025 an ein US-amerikanisches Gericht über diese schwierige Frage entscheiden.
Dr. Simone Kämpfer ist Partnerin in den Bereichen White-Collar Defence und Global Investigations sowie Leiterin des Bereichs Wirtschaftsstrafrecht für die Region Central Europe bei Freshfields.
Eric B. Bruce ist Partner in den Bereichen White-Collar Defence und Global Investigations bei Freshfields in Washington D.C. und New York.
Philip N. Kroner ist Principal Associate in den Bereichen White-Collar Defence und Global Investigations bei Freshfields in Düsseldorf.
1996 zu lebenslang verurteilt: . In: Legal Tribune Online, 26.11.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/55962 (abgerufen am: 11.12.2024 )
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