Verkehrsunfälle 2011: Ein fulminanter Fehlstart

von Prof. Dr. Dieter Müller

16.07.2012

Vergangene Woche legte das Statistische Bundesamt seine Unfallbilanz für das Jahr 2011 vor. Mit einem ernüchternden Ergebnis: mehr Tote und mehr Verletzte als im Vorjahr. Zudem verlieren Deutschlands Straßen ihre Position unter den sichersten Verkehrswegen Europas. Nicht nur die Verkehrsbehörden müssten strukturierter arbeiten, auch die Verkehrsjuristen sind überfordert, kommentiert Dieter Müller.

Die Europäische Union hat sich ein ehrgeiziges Ziel gesetzt: 50 Prozent weniger Tote auf Europas Straßen im Vergleich zu 2012. Mit diesem Vorsatz feiert die Kommission demnächst auf Zypern den vierten Europäischen Verkehrssicherheitstag.

Derweil legte Deutschland mit seiner Unfallbilanz für das Jahr 2011 einen fulminanten Fehlstart hin: Mit insgesamt über 4.000 Toten stieg die Zahl der im Straßenverkehr getöteten Menschen gegenüber dem Vorjahr um 361 an. Das ist eine Zunahme um knapp zehn Prozent. Diese Bilanz gewinnt an Düsterkeit, wenn man die über 306.000 Unfälle, bei denen Personen verletzt wurden, hinzuzählt und gleichzeitig bedenkt, dass noch nie zuvor so viele Fahrgäste die potenziell sichereren öffentlichen Verkehrsmittel nutzten.

Weitere Ergebnisse der Statistik: Am gefährlichsten sind die Landstraßen. Während 2011 weniger Kinder als im Vorjahr starben, stieg die Zahl der getöteten Senioren deutlich an. Das höchste Risiko gehen auf der Straße Fußgänger und Motorradfahrer ein. Ursache für die meisten Unfälle ist eine überhöhte Geschwindigkeit.

Hinzu kommt, dass Deutschland im europäischen Vergleich den über viele Jahre durch konsequente Verkehrssicherheitsarbeit hart erarbeiteten vierten Platz verlor und auf den achten Rang zurückrutschte, hinter Großbritannien, den Niederlanden, Schweden, Dänemark, Irland, Malta und Spanien.

Koordination und Kommunikation fehlen

Alle an der Verkehrssicherheit beteiligten staatlichen Institutionen müssen sich ernsthafte Gedanken darüber machen, warum ihre Anstrengungen in Sachen Verkehrssicherheit einen so herben Rückschlag erlitten haben. In erster Linie sind damit die kommunalen Straßenverkehrsbehörden in der Pflicht, welche die Sicherheitsbemühungen koordinieren.

Probleme liegen oft in der mangelhaften Verzahnung der sicherheitsrelevanten Institutionen. Sie arbeiten häufig nebeneinander her und lassen dadurch mögliche Synergieeffekte ungenutzt. Es ist eben gerade nicht effektiv, die Sicherheitsbemühungen nur in einigen Bereichen zu intensivieren, wenn dafür in anderen, mindestens ebenso wichtigen Bereichen massiv Personal und Sachmittel eingespart werden.

So bleibt etwa der Verkehrsunterricht, mit dem diejenigen Verkehrsteilnehmer erreicht werden könnten, die mit dem stetig komplexer werdenden Verkehr ihre Schwierigkeiten haben, bundesweit nahezu ungenutzt. Auch die präventiv ausgerichtete verkehrspsychologische Beratung für Personen, die immer wieder gegen die Verhaltensnormen der Straßenverkehrs-Ordnung verstoßen, könnte neu geordnet und mit dem Verkehrsunterricht verbunden werden. Eine Fortbildungspflicht für Autofahrer wäre ebenso vonnöten wie regelmäßige Gesundheitsuntersuchungen, die keineswegs an ein bestimmtes Alter gebunden sein müssen.

Verkehrsjuristen überfordert

Deutliche Lücken sind auch bei der Verkehrssicherheitsarbeit für Risikogruppen zu verzeichnen. So werden zwar bundesweit nachhaltig und mit Erfolg Kinder geschult, ein entsprechendes Konzept für Jugendliche, junge Fahrer und Senioren fehlt jedoch. Der Deutschen Verkehrswacht, der einzigen bundesweit aufgestellten Organisation, fehlt es an einer adäquaten Personal- und Sachausstattung. Nachhaltige Erfolge kann sie daher nicht vermelden.

Auch das Verkehrsrecht hinkt sichtbar hinterher. Die jahrelange Hängepartie um die überfällige Reform der Straßenverkehrs-Ordnung beweist einmal mehr, dass die Verkehrsjuristen überfordert sind, wenn es um notwendige Verbesserungen im System geht. Sie bedürfen der Unterstützung aus Politik und Gesellschaft.

Die Arbeit für die Verkehrssicherheit ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die in ihren regionalen Spezifika und Gesamtzusammenhängen bis heute noch viel zu wenig erforscht ist. Sollten die Unfallzahlen und Opferzahlen im laufenden Jahr wieder sinken, darf dies nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch die in Deutschland langfristig zu verzeichnenden Erfolge kein Ruhekissen sind. Deutschland hat sich vorgenommen, die Anzahl der Unfalltoten in den kommenden Jahren gegenüber dem Jahr 2010 um 40 Prozent zu senken. Dies würde bedeuten, dass im Jahr 2020 "nur noch" 1.800 Unfalltote zu beklagen wären. Eine ehrgeizige Vision sieht anders aus.

Der Autor Prof. Dr. Dieter Müller ist wissenschaftlicher Leiter des Instituts für Verkehrsrecht und Verkehrsverhalten Bautzen, Hochschullehrer und Autor zahlreicher Publikationen zum Verkehrsrecht und Betäubungsmittelrecht.

Zitiervorschlag

Dieter Müller, Verkehrsunfälle 2011: . In: Legal Tribune Online, 16.07.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/6628 (abgerufen am: 13.10.2024 )

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