Die Entwicklungen im medizinischen Cannabis-Markt nehmen viele Elemente der ursprünglich von der Ampel geplanten Freizeitnutzung bereits vorweg. Es ist Modell mit Potenzial und Risiken. Eine Analyse von Franziska Katterbach.
Die durch das Inkrafttreten des Cannabisgesetz bzw. das Medizinal-Cannabisgesetz bewirkten Veränderungen bei der Verordnung von medizinischem Cannabis in Deutschland markieren einen Wendepunkt. Medizinal-Cannabis wird zwar weiter nach den geltenden sozialrechtlichen Voraussetzungen als Arzneimittel verschrieben werden. Eine Verschreibung auf einem besonderen Betäubungsmittelrezept ist aber nicht mehr notwendig. Hier reicht seit 1.April ein reguläres Rezept.
Mit dem Wegfall des Genehmigungsvorbehalts der gesetzlichen Krankenkassen ist die Hemmschwelle für die Verschreibung für Ärzte faktisch gesunken. Überhaupt stehen viele Ärzte dem Thema aufgeschlossener gegenüber. Doch was bedeutet das für den Freizeitmarkt? Umgesetzt hat die Ampel bekanntlich eine Teil-Legalisierung, die im Wesentlichen eine Entkriminalisierung für die Konsumenten bringt. Cannabis darf zu Hause in bestimmten Grenzen zum Eigenkonsum angebaut und in Anbauvereinigungen an Mitglieder ausgegeben werden (Säule-1). Das seinerzeit von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) allerdings versprochene Säule-2-Gesetz, also regionale Modellvorhaben mit kommerziellen Lieferketten, dürfte wohl angesichts der aktuellen politischen Entwicklungen so schnell nicht mehr Realität werden.
Indes: Wesentliche Bestandteile dieser "zweiten Säule" des Konsumcannabisgesetzes (KCanG) sind ein stückweit bereits Realität – allerdings im medizinischen Gewand.
Bürokratieabbau und Industrie-Boost
Vor Inkrafttreten des CanG galt für die Ärzte ein bei der Verschreibung von Cannabis ein Genehmigungsvorbehalt nach § 31 Abs. 6 SGB V. Dieser verlangte von ihnen, dass sie vor der ersten Verschreibung eine Genehmigung der gesetzlichen Krankenkasse einholen mussten. Dies bedeutete in der ärztlichen Praxis einen nicht zu unterschätzenden administrativen Aufwand, der zudem nur ungenügend vergütet wurde. Zahlreiche Anträge wurden zunächst abgelehnt, nur um nach langen Verfahren dann doch bewilligt zu werden.
Mit der Herabstufung von Cannabis auf ein verschreibungspflichtiges Medikament und dem Wegfall dieser Hürde hat sich die Situation spürbar verbessert und die Industrie hat einen ersten Boost erlebt. Gleichzeitig bieten Plattformen für Online-Konsultationen einen neuen, flexiblen Zugang, der die bisherigen Strukturen herausfordert. Patienten profitieren von einer schnelleren Versorgung, und die Verschreibungszahlen steigen deutlich.
Dabei sind auch die wirtschaftlichen Auswirkungen sind nicht zu unterschätzen: Laut Branchenberichten könnte der Markt für medizinisches Cannabis in Deutschland bis 2028 auf über eine Milliarde Euro anwachsen.
Medizinal-Cannabismarkt mutiert zum Freizeitmarkt
Ursprünglich beabsichtigte die Ampel eine echte Legalisierung, also einen lizenzierten und staatlich kontrollierten Markt für Freizeit-Cannabis. Aspekte wie Qualitätskontrolle, Jugendschutz und ein geregelter Vertrieb sollten zentrale Elemente des Modells sein.
In der Praxis zeigt sich nun jedoch, dass viele dieser Punkte bereits im medizinischen Markt verwirklicht sind:
Die Abgabe ist kontrolliert, Cannabisprodukte werden ausschließlich in Apotheken vertrieben, was Qualität und Sicherheit gewährleistet. Der Jugendschutz ist gewährleistet, denn Zugang zu Cannabis erhalten nur volljährige Patienten auf Basis eines ärztlichen Rezepts. Und auch die Regulierung stimmt: Alle Produkte stammen aus zertifiziertem Anbau und unterliegen strengen Standards, die sowohl pharmazeutische Qualität als auch Konsumentenschutz sicherstellen.
Der Medizinal-Cannabismarkt ist de-facto auch zum Freizeitmarkt geworden: nahezu jeder kann über einfache Online-Konsultationen Rezepte erhalten, die dann in Apotheken eingelöst werden. Dies ermöglicht einen schnellen Zugang zu geprüften Produkten, ohne dass umfassende neue Strukturen geschaffen werden müssten.
Herausforderungen für Ärzte und Patienten
Trotz dieser Entwicklungen gibt es noch eine Reihe offene Fragen: Viele Ärzte schrecken weiterhin vor der Verschreibung zurück, da sie Regressforderungen der gesetzlichen Krankenkassen fürchten: Krankenkassen können Kosten von Ärzten zurückfordern, wenn diese aus Sicht der Kasse unverhältnismäßige Verordnungen ausgestellt haben.
Zu bedenken ist außerdem das Wirtschaftlichkeitsgebot: Ärzte sind verpflichtet, zunächst Fertigarzneimittel anstatt Medizinal-Cannabis zu verordnen. Die Verschreibung muss zudem medizinisch begründet und besonders dokumentiert werden, was zusätzlichen Aufwand bedeutet.
Patienten, die Cannabis über Privatrezepte auf eigene Kosten beziehen, umgehen diese Hürden oft. Dies schafft jedoch eine Zweiklassenversorgung, da nicht alle die Mittel haben, um Privatrezepte zu finanzieren.
Nur ein Zwischenschritt?
Ein Blick nach Kanada zeigt, wie ein geregelter Freizeitmarkt funktionieren kann. Dort existieren zwei getrennte Systeme: Ein medizinischer Markt, in dem Patienten Cannabisprodukte nach ärztlicher Konsultation direkt vom Produzenten erhalten, und ein Freizeitmarkt mit staatlich kontrollierten Verkaufsstellen.
Auch die Ampel hatte sich im Koalitionsvertrag auf ein ähnliches Modell verständigt. Allerdings gibt es in den Apotheken heute nur Cannabis für "Kranke". Konsumenten ohne medizinische Indikation sind auf Anbauvereinigungen, Eigenanbau oder eben weiterhin auf den Schwarzmarkt angewiesen.
Allerdings ist diese Rechtslage vielleicht nur ein Zwischenschritt: Wie erwähnt werden einige Aspekte der "zweiten Säule" bereits im Rahmen der medizinischen Versorgung umgesetzt. Diese Strukturen könnten leicht erweitert werden, falls sich eines Tages eine politische Mehrheit für einen staatlich lizensierten Freizeitmarkt, also eine echte Legalisierung, finden sollte.
Evaluierung abwarten
Abzuwarten bleibt im Übrigen auch die im CanG vorgesehene Evaluierung. Vorgesehen ist eine Evaluierung der kontrollierten Weitergabe von Cannabis zu nicht-medizinischen Zwecken an Erwachsene innerhalb von vier Jahren, inklusive Zwischenbericht nach zwei Jahren sowie einer ersten Evaluation 18 Monate nach Inkrafttreten, also zum 1. Oktober 2025.
Dann wird sich auch herausstellen, ob ein weitergehender, staatlich-regulierter Freizeitmarkt (mit seinen europarechtlichen Risiken) überhaupt notwendig ist. Oder ob das bestehende System ausreichend Flexibilität bietet, um die Bedürfnisse von Patienten und anderen Cannabiskonsumenten zu bedienen.
Unternehmen jedenfalls sollten sich bereits jetzt darauf vorbereiten, in einem Markt zu agieren, der sich absehbar wandelt. Der Cannabis-Markt bewegt sich, und wer jetzt strategisch handelt, wird langfristig profitieren.
Autorin Franziska Katterbach ist Rechtsanwältin und Partnerin bei Oppenhoff. Sie berät im Bereich M&A mit Schwerpunkt im Life Sciences/Healthcare-Sektor.
Cannabis zu medizinischen Zwecken: . In: Legal Tribune Online, 04.12.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/56028 (abgerufen am: 18.01.2025 )
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