Die Presse und ihre Freiheit sind ein hohes Gut – genau wie gekaufte, falsche Medieninhalte ein großes Problem sind. Till Zimmermann u. a. über die Causa Kurz und wie man die Integrität der Vierten Gewalt rechtlich gestalten kann.
Korruption ist der (Ver-)Kauf einer falschen Entscheidung. Befangenheitsverzerrte oder objektiv falsche Entscheidungen verursachen enorme Schäden aller Art. Das Strafrecht hilft daher der Integrität von Entscheidungsträgerinnen und -trägern in gesellschaftlichen Schlüsselpositionen nach.
Die erste Gewalt ist ihrem Gewissen unterworfen: Abgeordnetenbestechung ist daher eine schwere Straftat. Die zweite Gewalt ist zur Neutralität verpflichtet: Amtsträgerkorruption bringt bis zu zehn Jahre Haft. Die dritte Gewalt hat unparteilich zu sein: Bestechlichkeit im Richteramt ist ein Verbrechen.
Wie aber steht es mit der vierten Gewalt? Im Zeitalter alternativer Fakten, propagandistischer Wahrheitssabotage à la RT Deutsch und einer grassierenden Lügenpresse-Verschwörungstheorie liegt die Bedeutung von Medien, die Wahrheit und Objektivität verpflichtet sind, für das Gelingen einer Demokratie auf der Hand. Gehört dann nicht der Kauf von publizistischen Entscheidungen ebenfalls verboten?
Ziffer 15 Pressekodex gibt eine klare Antwort: "Die Annahme von Vorteilen jeder Art, die geeignet sein könnten, die Entscheidungsfreiheit von Verlag und Redaktion zu beeinträchtigen, sind mit dem Ansehen, der Unabhängigkeit und der Aufgabe der Presse unvereinbar. Wer sich für die Verbreitung oder Unterdrückung von Nachrichten bestechen lässt, handelt unehrenhaft und berufswidrig."
Verstöße gegen diese unverbindliche Selbstverpflichtung haben aber keine ernsthaften Konsequenzen. Spannend ist daher die Frage: Handeln korrupte Journalistinnen und Journalisten auch strafbar? Antworten darauf sind selten.
Die Causa Kurz als Beispiel: Vorwurf der Medienkorruption verstehen
Es ließ daher aufhorchen, als nach einer Razzia im Kanzleramt zu lesen war, die österreichische Zentralstaatsanwaltschaft zur Verfolgung von Wirtschaftsstrafsachen und Korruption (WKStA) ermittle gegen (Ex-)Bundeskanzler Sebastian Kurz wegen Bestechung von Medien.
Was war geschehen? Das Kurz-Team hatte mit den Gebrüdern Fellner – Inhaber diverser Boulevard-Medien – einen Deal geschlossen: Als Gegenleistung für die Veröffentlichung von frisierten Umfragen nebst Kurz-freundlichen Kommentaren in den Fellner-Medien erhielten diese einen Millionenbetrag aus der Kasse des Finanzministeriums (BMF) – versteckt als Nebenabreden zu regulären Anzeigeaufträgen und hinter Scheinrechnungen.
In der überregionalen Berichterstattung dominiert folgende Darstellung: Kurz habe als Bestimmungstäter (also Anstifter) Journalistinnen und Journalisten bestochen, sich dadurch Einfluss auf publizistische Entscheidungen erkauft und so seinen kometenhaften Polit-Aufstieg überhaupt erst möglich gemacht. Stichwort: "Inseratenkorruption". Es entstand der Eindruck, Medienkorruption sei eine Straftat. Doch ist dem so?
Mitnichten. Die Lektüre der – inzwischen geleakten – Durchsuchungsanordnung enthüllt ein Missverständnis. Die WKStA wirft Kurz & Co. keineswegs vor, Journalistinnen und Journalisten bestochen zu haben. Es ist umgekehrt: Sie wirft gerade ihnen vor, Kurz und seine Truppe bestochen zu haben.
Die Logik dahinter ist nicht ganz einfach, aber auch keine Raketenrechtswissenschaft: In Österreich existiert (als Konsequenz früherer Skandale) ein Gesetz, das regelt, unter welchen Voraussetzungen staatliche Stellen Anzeigen schalten dürfen. So bestimmt § 3a des Medienkooperations- und -förderungs-Transparenzgesetzes (MedKF-TG), dass entgeltliche Veröffentlichungen einen konkreten Bezug zur Deckung eines Informationsbedürfnisses der Bevölkerung und einen inhaltlichen Zusammenhang mit dem Aufgabenbereich des Auftraggebers aufweisen müssen. Natürlich entsprachen die von Kurz' Leuten bestellten Fake-Umfragen und Lobes-Artikel nicht diesen Vorgaben – die Medienkooperation war also illegal.
Der Kniff der österreichischen Staatsanwaltschaft
Nun ist das MedKF-TG selbst nicht strafbewehrt. Weil aber die bestellten Inhalte mit Steuergeldern gezahlt wurden, liegt es nahe, Haushaltsuntreue anzunehmen. Der Korruptionsvorwurf hängt eng damit zusammen: So ist die von Kurz mutmaßlich initiierte ungetreue Mittelverwendung durch BMF-Mitarbeiter die pflichtwidrige Vornahme eines Amtsgeschäfts. Das ist Bestechlichkeit, wenn hierfür als Gegenleistung an irgendwen irgendein Vorteil fließt.
Der Begriff wird – ähnlich wie im deutschen Recht – weit verstanden und umfasst auch Maßnahmen zur Förderung der Karriere. Die WKStA erblickt deshalb einen Vorteil darin, dass die Berichterstattung der Fellner-Medien die politische Karriere von Kurz beförderte. Et voilà: Die Fellners haben damit das BMF bestochen, um als Gegenleistung ungetreu verausgabtes Steuergeld zu erhalten.
Im Kern wird Kurz also vorgeworfen, Mitarbeiter des BMF dazu animiert zu haben, Steuergeld zum Fenster hinauszuwerfen. Von der Medienkorruption bleibt nur der moralische Vorwurf übrig. Der Kniff der WKStA mit der Bestechung nicht von, sondern durch die Medien mag rechtstechnisch vertretbar sein, verzeichnet aber doch das eigentlich Unheilvolle an der G'schicht.
Aus moralischem Vorwurf an die Medien einen strafrechtlichen machen?
Denn das führt zu zwei Fragen: Wie verhält sich das deutsche Recht zur Medienkorruption? Und: Sollte aus dem moralischen Vorwurf auch ein strafrechtlicher werden?
Zur Lage in Deutschland: Man kann nicht behaupten, hierzulande herrschten in puncto Medienkorruption ebenso verlotterte Zustände wie in Austria. Erst kürzlich ist das umstrittene Presseförderungsprogramm des Wirtschaftsministeriums mit einem Volumen von 220 Millionen Euro im Hinblick auf eine mögliche Beeinträchtigung der Pressefreiheit eingestampft worden. Trotzdem besteht Missbrauchsgefahr: Die Bundesregierung gibt Riesensummen für Anzeigen aus. Mit einem Werbebudget von 150 Millionen Euro war sie im Jahr 2020 in der Top 20 der größten Werbetreiber des Landes.
Auf Kleine Anfragen von AfD und FDP, nach welchen Kriterien welche Medien in welcher Höhe bedacht werden, lautete die Antwort: Nach von der Regierung anlassbezogen selbst erstellten "mediaplanerischen Kriterien"; welche das sind, blieb geheim. Im Übrigen gelte „der Haushaltsgrundsatz von Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit“.
Im Klartext: Außer einer Mahnung seitens des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG), es bei der staatlichen Presseförderung nicht zu übertreiben, gibt es hierzulande keine Regeln. Ereignete sich der Fall Kurz in Deutschland, wäre eine Untreuestrafbarkeit kaum zu begründen. Die Rechtsprechung fordert für diese einen evidenten Pflichtverstoß.
Wo aber gar keine Regeln existieren, gibt es auch schwerlich evidente Regelverletzungen – und damit auch keinen Raum für Bestechlichkeit wegen Dienstpflichtverletzung. Konsequenterweise ermittelte keine Staatsanwaltschaft, als Kanzlerin Merkel 2005 mit einer drei Millionen Euro teuren Anzeige die Tatkraft ihrer Regierung pries und den Steuerzahlerbund über "Verschwendung" zetern ließ. Die österreichische Lösung – Bestechung nicht von, sondern durch Journalistinnen und Journalisten – liefe hierzulande leer.
Bestechlichkeit von Journalisten in Deutschland
Eine Bestechlichkeit von Journalistinnen und Journalisten ist nach deutschen Recht nur ausnahmsweise strafbar: 2009 verurteilte der Bundesgerichtshof (BGH) den Leiter der HR-Sportredaktion wegen Amtsträgerbestechlichkeit; er hatte Sendezeit an Sportevent-Veranstalter verkauft. Das Urteil stuft Journalistinnen und Journalisten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks als Amtsträgerinnen und -träger ein. Auf die privatwirtschaftliche Medienlandschaft – und daher den Fall Kurz – ist es aber nicht übertragbar.
Auch eine privatwirtschaftliche Angestelltenbestechung liegt nicht vor: Einzelne Journalistinnen und Journalisten mögen bei einem Medienunternehmen angestellt sein. Aber die Bestechung ihrer Chefin oder ihres Chefs ist straflos. Also bezahlt man – wie Kurz – direkt an die Verlegerin oder den Verleger. Dessen Anweisung, was (nicht) zu schreiben ist, übertrumpft nach § 118 BetrVG das journalistische Gewissen; die Entscheidung des Verlegers Dirk Ippen zum Beispiel, Recherchen über journalistisches Fehlverhalten bei der Bild-Zeitung aus wirtschaftlichen Motiven zu unterdrücken, warf jüngst ein Schlaglicht auf diese Problematik.
Früher gab es noch die Pressebestechung
Die Situation ist unbefriedigend. Was könnte man nun tun?
Einst gab es das Delikt der Pressebestechung: Redakteurinnen und Redakteure, die für Schmiergeld Unwahrheiten verbreiteten oder sich ihr journalistisches Gewissen abkaufen ließen, drohte Gefängnis. Faktisch war dies eine Geber- und Nehmer-seitige Strafbewehrung des heutigen Pressekodex.
Die Norm war allerdings eingebettet in das toxische Umfeld des Schriftleitergesetzes von 1933, also das NS-Gesetz zur Gleichschaltung der Presse. Schon aus diesem Grund sollte man sich den Ruf nach der Wiedereinführung einer solchen Pauschalnorm gut überlegen.
In besonders gefährlichen Fällen von Medienkorruption sind Strafnormen aber rechtsstaatskompatibel: Das Kaufverbot über "Mittheilungen in der Presse, durch welche auf den Börsenpreis eingewirkt werden soll" aus dem Börsengesetz von 1896 stand bis 2016 im WpHG.
Deutschland sollte also ein Gesetz erhalten, dass Voraussetzungen und Umfang staatlicher Anzeigenkampagnen sowie eine gerechte Auswahl der beauftragten Medien regelt. Verstöße müssten aber eigenständig kriminalisiert sein; die korruptive Beeinflussung von Medien durch staatliche Stellen geht über das Unrecht der Verschwendung von Steuergeldern hinaus.
Es geht nicht nur um viel Geld, sondern auch die Meinungen in der Gesellschaft
Ferner gilt, dass Falschmeldungen eine nicht zu unterschätzende Bedrohung für den freien Meinungsbildungsprozess in einer demokratischen Gesellschaft darstellen. Will man die mediale Verbreitung von Fake News nicht generell unter Strafe stellen, sollte daher zumindest der (Ver-)Kauf der Publikation unwahrer Tatsachen als Pressebestechung strafbar werden.
Anderes gilt natürlich für vorteilsbeeinflusste Meinungsartikel: Es gibt nämlich keine Fake-Meinungen. Gleichwohl ist die Einflussnahme von PR-Abteilungen mithilfe des "Gefallens an Gefälligkeiten" (so der Titel einer Kurzstudie zu Medienkorruption) eine gefährliche Alltagspraxis. Ein generelles Verbot von Vorteilszuwendungen an Medienschaffende liefe jedoch auf eine inakzeptable wirtschaftliche Beschränkung der privaten Medienlandschaft hinaus.
Die Lösung ist hier – vergleichbar mit dem Parteispenderecht – in Transparenzvorschriften zu suchen, also in einer verbindlichen Kennzeichnungspflicht für PR-Artikel und der Kenntlichmachung potenzieller Interessenkonflikte durch Hinweise im Beitrag. Sanktioniert man Verstöße zudem mit einer Unternehmensgeldbuße, hätten auch die Verlegerinnen und Verleger ein Interesse an Transparenz-Compliance.
Der Autor Prof. Dr. Till Zimmermann ist Geschäftsführender Direktor des Trierer Instituts für Geldwäsche- und Korruptions-Strafrecht (TrIGeKo) an der Universität Trier.
Kampf gegen Medienkorruption: . In: Legal Tribune Online, 10.11.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/46606 (abgerufen am: 05.10.2024 )
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