Ministerium prüft Haftung wegen Maut-Debakels: Schuldet And­reas Scheuer dem Bund 243 Mil­lionen Euro?

von Dr. Patrick Heinemann

19.07.2023

Andreas Scheuer wollte EU-Ausländer für die Nutzung deutscher Autobahnen zur Kasse bitten. Muss er nun selbst teuer bezahlen? Das BMDV will prüfen, ob der Bund Scheuer in Regress nehmen kann. Patrick Heinemann erläutert die Rechtslage.

Die Pkw-Maut ist tot, seitdem der Europäische Gerichtshof (EuGH) im Juni 2019 per Urteil entschied, dass sie EU-Ausländer unionsrechtswidrig diskriminiere. Doch die rechtliche Aufarbeitung des gescheiterten Projekts nimmt gerade erst richtig Fahrt auf. So teilte das Bundesverkehrsministerium (BMDV) Anfang Juli mit, es prüfe Regressforderungen gegen Ex-Minister Andreas Scheuer (CSU), der das Ressort von März 2019 bis Dezember 2021 leitete.

Ausgedacht hatten sich das Projekt Pkw-Maut andere, und zwar Scheuers Amtsvorgänger und Parteifreund Alexander Dobrindt sowie der damalige CSU-Vorsitzende Horst Seehofer. Doch auf Scheuer könnte jetzt zurückfallen, dass er bereits im November 2018 langfristige Verträge mit Unternehmen zum Aufbau der Maut-Infrastruktur unterschrieb. Zum damaligen Zeitpunkt lief nicht nur bereits das Verfahren vor dem EuGH gegen die Maut; vielmehr gingen weite Teil der Rechtswissenschaft davon aus, dass das Prestigeprojekt der CSU mit den europäischen Grundfreiheiten unvereinbar sei.

Nachdem der Bund die Verträge gekündigt und die vorgesehen Betreiber daraufhin Schadensersatz in Höhe von 560 Millionen Euro gefordert hatten, konnte das Verkehrsministerium diese Summe in einem Schiedsgerichtsverfahren nun immerhin auf 243 Millionen Euro drücken. Doch kann das inzwischen von Volker Wissing (FDP) geleitete Ressort diese Summe für den Bund von Amtsvorgänger Scheuer persönlich ersetzt verlangen?

Bundesministergesetz sieht keine Regresshaftung vor 

Nicht wenige denken bei dieser Frage zuerst an die Vorschriften der Amtshaftung, also § 839 BGB und Art. 34 Satz 1 GG. Danach haftet der Staat für Schäden, die daraus resultieren, dass jemand bei seiner Amtsausübung die ihm einem Dritten gegenüber obliegende Amtspflicht schuldhaft verletzt. Doch hier geht es nicht um die Frage, ob Scheuer seine Dienstpflichten gegenüber Dritten verletzt hat, sondern ob er sich im Verhältnis zur Bundesrepublik Deutschland pflichtwidrig verhalten hat und diese von ihm das Geld zurückverlangen kann, das sie selbst an die Mautbetreiber zahlen muss.  

Für Bundesbeamte ist dieser Fall in § 75 Abs. 1 Satz 1 Bundesbeamtengesetz (BBG) geregelt. Nach dieser Vorschrift hat ein Beamter, der im Rahmen seines Dienstgeschäfts vorsätzlich oder grob fahrlässig eine Pflicht verletzt hat, dem Dienstherrn den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen. Dass Scheuer grob fahrlässig handelte, als er die weit überwiegenden Experteneinschätzungen zur Unionsrechtswidrigkeit der Pkw-Maut ignorierte, mag durchaus sein. Eine Haftung Scheuers nach § 75 Abs. 1 Satz 1 BBG scheitert aber daran, dass Minister keine Beamten sind. Ihr Status unterscheidet sich vielmehr grundlegend von dem der Beamten und ist nicht im BBG, sondern im Bundesministergesetz geregelt. Dieses kennt – im Gegensatz zum BBG – keine Regresshaftung für ministeriale Pflichtverletzungen. 

§ 75 Abs. 1 Satz 1 BBG kann auf Bundesminister auch nicht analog angewandt werden, da keine planwidrige Regelungslücke vorliegt. Vielmehr schweigt das Bundesministergesetz insofern bewusst: Anders als gewöhnliche Beamte stehen die ressortverantwortlichen Minister an der Spitze des Apparats, sie sollen hierdurch in ihrer Entscheidungsfreiheit gestärkt werden und sich für die Auswirkungen ihrer politischen Entscheidungen auf das Bundesvermögen lediglich vor dem Parlament verantworten müssen. 

Kein hinreichender Verdacht einer Straftat 

Das bedeutet allerdings nicht, dass der Bund einen (Ex-)Minister grundsätzlich nicht nach allgemeinem Zivilrecht haftbar machen kann. Ob das konkret für Scheuer gilt, ist allerdings nicht mit einem schnellen Blick ins Gesetz zu beantworten. Der allgemeine Deliktstatbestand des § 823 Abs. 1 BGB bietet keine taugliche Anspruchsgrundlage für den Bund, da er die Verletzung eines absoluten Rechts (Eigentum, Leib, Leben usw.) voraussetzt; bloße Vermögensschäden, wie sie Scheuer produziert hat, genügen hierfür nicht. 

Zumindest auf den ersten Blick überlegenswert scheint eine Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB. Nach dieser Vorschrift ist zum Ersatz von Schäden verpflichtet, wer gegen ein Schutzgesetz verstößt, also ein Gesetz, welches bestimmte Personen oder Personengruppen schützen will. Das können zunächst einmal Straftatbestände und Normen aus dem Ordnungswidrigkeitenrecht sein.  

Die zuständige Staatsanwaltschaft Berlin hat es jedoch auf die Strafanzeige des damaligen Bundestagsabgeordneten Fabio De Masi (LINKE) vom November 2019 hin abgelehnt, ein Ermittlungsverfahren gegen Scheuer einzuleiten. Insbesondere sei der damalige Verkehrsminister nicht hinreichend verdächtig, bei Abschluss der verhängnisvollen Verträge im November 2018 evident wirtschaftlich unvertretbare Risiken eingegangen zu sein, die sich als Verletzung der Vermögensbetreuungspflicht im Sinne des Untreuetatbestands (§ 266 Abs. 1 StGB) darstellten.  

Überträgt man diese Überlegungen auf § 6 Abs. 1 Alt. 2 Haushaltsgrundsätzegesetz, wonach bei der Ausführung des Haushaltsplans die Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit zu beachten sind, sind Zweifel angebracht, ob sich hieraus in Verbindung mit § 823 Abs. 2 BGB eine Haftung Scheuers begründen lässt. Hinzu kommt, dass der haushaltsrechtliche Wirtschaftlichkeitsgrundsatz in allererster Linie objektivrechtlicher Art und somit eher nicht als Schutzgesetz anzusehen sein dürfte. Das gleiche gilt für den Fall, dass der damalige Minister gegen interne Compliance-Regeln im Rang einer Verwaltungsvorschrift verstoßen haben sollte, da diese schon formal nicht als Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB gelten. 

Vorsätzliche sittenwidrige Schädigung des Bundes nicht nachweisbar 

Bleibt noch die Möglichkeit einer Haftung wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung aus § 826 BGB: Dass der Bund seinen Ex-Verkehrsminister danach in Anspruch nehmen wird, ist nach gegenwärtigem Kenntnisstand reichlich unwahrscheinlich. Zwar reicht hier ein Vermögensschaden aus. Doch dürfte es für den Bund schwierig werden, Scheuer nachzuweisen, dass er bei Abschluss der sich später als fatal erweisenden Verträge im November 2018 auch in Bezug auf die später eintretenden Vermögensschäden mit Vorsatz handelte. Hier würde es auf die Abgrenzung zwischen billigender Inkaufnahme der späteren Schäden im Sinne eines hinreichenden Eventualvorsatzes einerseits und der bewussten Fahrlässigkeit andererseits ankommen. 

Schließlich erscheint zweifelhaft, dass man Andreas Scheuer bei aller berechtigten Kritik vorwerfen kann, er habe sittenwidrig im Sinne der Vorschrift gehandelt. Dieses rechtlich nur schwer zu fassende Kriterium soll der Haftung für bloße Vermögensschäden nach § 826 BGB enge Grenzen setzen, weil das System des deutschen Deliktsrechts im Grunde eine Rechtsgutsverletzung (§ 823 Abs. 1 BGB) voraussetzt. Dabei dürfte auch eine maßgebliche Rolle spielen, dass Andreas Scheuer, soweit bekannt, nicht eigennützig handelte. Maßgeblich mit diesem Argument hat der Bundesgerichtshof etwa eine Herstellerhaftung aus § 826 BGB in den Diesel-Fällen zum Teil bejaht.  

Ja, das Verhalten des Ex-Ministers verdient Kritik. Aber schlechthin unerträglich, gar verwerflich in den Augen aller billig und gerecht Denkenden und damit sittenwidrig ist es wohl nicht. 

Hinzu kommt, dass Ansprüche aus § 826 BGB der kenntnisabhängigen regelmäßigen Verjährungsfrist von drei Jahren unterliegen. Doch auf wessen Kenntnis käme es hier an – etwa die von Andreas Scheuer? Stellte man in zeitlicher Hinsicht auf die EuGH-Entscheidung vom Juni 2019 ab, so wäre ein Anspruch wegen vorsätzlicher Sittenwidriger Schädigung vorbehaltlich bislang nicht bekannter Verjährungshemmungen oder -unterbrechungen womöglich bereits mit Schluss des Jahres 2022 verjährt. 

Eine Ministerhaftung gibt es aus guten Gründen nicht 

Das BMDV wird gewiss auch prüfen, ob das Rechtsverhältnis zwischen einem Minister und der Bundesrepublik Deutschland nicht eine vertragsähnliche Haftung nach den §§ 280 ff. BGB zulässt. Die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung nimmt dies für das Beamtenverhältnis an und eröffnet den Beamten damit die Möglichkeit von Schadensersatzklagen gegen ihren Dienstherrn neben etwaigen Amtshaftungsklagen vor der ordentlichen Gerichtsbarkeit. Es ist aber sehr zweifelhaft, dass sich das auf den Fall Scheuer übertragen lässt. Denn hier soll ja nicht der Bund in Anspruch genommen werden, vielmehr will der Bund selbst Ansprüche gegen den Minister prüfen. 

Zwar ist das von der Rechtsprechung vorausgesetzte Rechtsverhältnis des Beamten keine Einbahnstraße, so dass jedenfalls unter diesem Gesichtspunkt nicht völlig abwegig erscheint, Ansprüche des Dienstherrn gegen den Beamten ebenfalls auf eine entsprechende Anwendung der §§ 280 ff. BGB zu stützen. Allerdings spricht die Existenz des § 75 Abs. 1 Satz 1 BBG und dessen Haftungsbegrenzung auf grobe Fahrlässigkeit gegen eine Anspruchskonkurrenz. Da das Bundesministergesetz zu einer entsprechenden Regressmöglichkeit, wie erläutert, aus guten Gründen schweigt, dürfte der Bund Andreas Scheuer im Ergebnis auch nicht nach §§ 280 ff. BGB in Anspruch nehmen können. 

Es darf trotzdem mit Spannung erwartet werden, zu welchem Ergebnis das BMDV in seiner Prüfung gelangt. Scheuers Fall regt sicherlich zum Nachdenken an. Natürlich könnte man nun an eine Gesetzesänderung überlegen, um für die Zukunft eine Ministerhaftung für derartige "Betriebsunfälle" zu begründen. Jedoch sollte man nicht in Aktionismus verfallen: Die mit einer ministerialen Regresshaftung einhergehende Beeinträchtigung der Entscheidungsfreude der politischen Führung könnte unter dem Strich sehr viel schädlicher sein.

Zitiervorschlag

Ministerium prüft Haftung wegen Maut-Debakels: . In: Legal Tribune Online, 19.07.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/52287 (abgerufen am: 10.11.2024 )

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