Mainzer Uni-Klinik-Skandal: Bessere Hygiene auf Gesetzesbefehl?

von Prof. Dr. Gunnar Duttge

27.08.2010

Eine sinnvolle Reaktion auf die Mainzer Todesfälle setzt eine sorgfältige Ursachenforschung voraus. Die geltende Rechtslage scheidet als Ursache bei näherer Prüfung aus, stellt Prof. Dr. Gunnar Duttge fest. Dann hat die aktuelle Debatte aber die eigentlich relevanten Fragen noch nicht erkannt.

Die Aufregung ist verständlicherweise groß: Nachdem im Mainzer Universitätsklinikum ein dritter Säugling aufgrund einer bakteriellen Verunreinigung der Nährlösung sterben musste, erschallt – nachdem auch noch ein Ermittlungsverfahren wegen fahrlässiger Tötung gegen Unbekannt eingeleitet wurde – vielstimmig der Ruf nach dem Gesetzgeber.

Einzelne Gesundheitspolitiker fordern die alsbaldige Verabschiedung eines "Bundeshygienegesetzes", Gesundheitsminister Rösler hat – offenbar mit Zustimmung der Bundeskanzlerin – angekündigt, zur Behebung des "Problems der Krankenhaushygiene" mit den Bundesländern eine "gemeinsame Lösung" zu suchen.

In der Tagespresse kursieren seit Tagen – teilweise aber bestrittene – Zahlen, wonach in Deutschland jährlich über 600.000 Krankenhausinfektionen zu verzeichnen seien mit bis zu 40.000 Todesfällen. Im europäischen Vergleich liege Deutschland damit nur im bescheidenen Mittelfeld und sei, so der Sprecher der Deutschen Gesellschaft für Krankenhaushygiene, Klaus-Dieter Zastrow, allenfalls "der Einäugige unter den Blinden". Und seine Erklärung hierfür lautet schlicht: "In Deutschland kann jedes Krankenhaus machen, was es will".

Richtige Informationen mischen sich mit Irrglauben

Wie so oft bei tagesaktuellen Anlässen vermischt sich leider auch hier mit richtigen Informationen mancher Irrglaube und verleitet zu voreiligen Schlussfolgerungen, die zudem einige Unkenntnis über die Rechtslage verraten: So fällt schon im Grundsätzlichen auf, dass die übergreifende "Hygiene-Debatte" kaum etwas mit dem konkreten Fall zu tun hat, d.h. das konkrete Ereignis – vorsichtig formuliert – lediglich zum willkommenen Anlass für bereits seit längerem erhobene Forderungen genommen wird.

Denn für den Betrieb einer Apotheke – auch einer Krankenhausapotheke (vgl. §§ 14, 21 Apothekengesetz) – gelten die Sonderregelungen der Apothekenbetriebsordnung, die u.a. für das Herstellen von Arzneimitteln (wozu auch Infusionslösungen zählen) die Gewähr verlangen, dass die "nach der pharmazeutischen Wissenschaft erforderliche Qualität" sichergestellt ist (§ 6 Abs. 1). Dass dies selbstredend auch zuverlässige Vorsorgemaßnahmen gegen evtl. Kontaminationen in räumlicher, personeller und sachlicher Hinsicht bedingt, sollte sich eigentlich von selbst verstehen und ergibt sich im übrigen nicht nur aus dem Europäischen Arzneibuch (Text 5.1.1: "Methoden zur Herstellung steriler Zubereitungen") und dem darin in Bezug genommenen EG-GMP-Leitfaden (Anhang 1), sondern auch aus der alsbald zu erwartenden Neufassung der Apothekerbetriebsordnung, deren ministerieller Entwurf bereits bekannt ist.

Vermeintliche Regelungsdefizite im fallspezifischen Kontext wären also mit diesem Verordnungsentwurf entweder ohnehin demnächst beseitigt oder ließen sich bei dieser günstigen Gelegenheit eines schon laufenden Normsetzungsverfahrens leicht beseitigen. Sieht man sich allerdings die Gesamtheit dieser Regelungen unter Einbeziehung auch der Leitlinie der Bundesapothekenkammer zur "Herstellung und Prüfung applikationsfertiger Parenteralia ohne toxisches Potential" (Stand: Nov. 2008) näher an, wird man selbst bei angestrengter Suche kaum noch einen Regelungsbedarf finden.

Das Verfahren zur Herstellung solcher Nährlösungen erfolgt in der Praxis derart standard- und routinegemäß, dass sich im Mainzer Fall nur die Frage stellt, ob ein vorwerfbares Abweichen vom Standard – und wenn ja: an welchem Punkt genau durch welche Person – oder ein unglückliches Zusammentreffen unvorhersehbarer Umstände schadensursächlich gewesen ist.

Für ein Bundesgesetz fehlt es an der Gesetzgebungskompetenz

Natürlich kann – davon unabhängig – auch allgemein über einen evtl. Regelungsbedarf zur Sicherung größtmöglicher Hygiene im Krankenhaus nachgedacht werden. Für das zum Teil geforderte "Bundesgesetz" fehlt es aber ersichtlich schon an der Gesetzgebungskompetenz (arg. e contrario Art. 74 Nr. 19, 19a GG).

In der Tat findet sich auch auf Landesebene nur in einzelnen Bundesländern eine gesonderte, gerade auf die im Krankenhaus Tätigen adressierte "Hygieneverordnung" (z.B. Berlin, Bremen, Nordrhein-Westfalen, Saarland; in Baden-Württemberg derzeit in Vorbereitung), in der Mehrzahl jedoch lediglich eine allgemeine Regelung in den jeweiligen Krankenhausgesetzen (Hygieneverordnungen erfassen dort nur berufsmäßig ausgeübte Tätigkeiten "außerhalb der Heilkunde").

Der darin in Bezug genommene "Stand der medizinischen Wissenschaft" wird aber längst durch die Empfehlungen der beim Robert-Koch-Institut angesiedelten "Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention" detailliert ausgefüllt, die alles enthalten, was eine solche Regelung überhaupt nur sinnvollerweise enthalten kann: betrieblich-organisatorische und baulich-funktionelle Maßnahmen, Hygienemanagement (v.a. Hygienekommission, - beauftragter, -fachpersonal und -pläne) sowie zu Methoden der rechtzeitigen Erkennung, Erfassung, Bewertung und Kontrolle von evtl. Infektionen.

Diesen Empfehlungen dürfte auch hier, wie es § 4 Abs. 2 S. 1 MPBetreibV b bereits für das Wiederaufbereiten von Medizinprodukten explizit vorsieht, die Vermutung immanent sein, die "Ordnungsmäßigkeit" und damit den Sorgfaltsstandard zu beschreiben; der Sachverständigenbeweis bildet dann die Brücke zur (richter-)rechtlichen Anerkennung.

Genug Regelungen, zu wenig Personal sie umzusetzen

Zudem zeichnet sich in der Haftungsrechtsprechung gerade für die Hygienegewähr eine Umkehr der Beweislast ab: Entstammt die Schadensursache (Keim) nachweislich nicht den "Eigenheiten des menschlichen Organismus", sondern dem Klinikbetrieb und damit einem "voll beherrschbaren Bereich", so ist es nach Auffassung des BGH "Sache des Arztes oder des Klinikträgers, darzulegen und zu beweisen, dass es hinsichtlich des objektiv gegebenen Pflichtenverstoßes an einem Verschulden der Behandlungsseite fehlt" (Urteil v. 20.3.2007 – VI ZR 158/06).

Im Ganzen offenbart sich somit keinerlei Regelungs-, sondern vielmehr ein Vollzugsdefizit. Die aktuelle rechtspolitische Debatte verfehlt daher das eigentliche Problem: zu wenig Personal, knappe finanzielle Ressourcen und zu wenig Zeit im Alltag wie auch zur Weiterbildung.

Wer einen besseren Hygienestatus in deutschen Krankenhäusern will, muss also hier, bei den realen Handlungsbedingungen und die sie bedingenden Faktoren ansetzen – und überdies wohl auch die bisherige Praxis beim Verschreiben von Antibiotika ändern; da Symbolpolitik natürlich leichter fällt, dürften weitere Skandale und Gerichtsverfahren nicht ausbleiben.

Der Autor Prof. Dr. Gunnar Duttge ist Direktor des Zentrums für Medizinrecht an der Juristischen Fakultät der Georg-August-Universität Göttingen.

Zitiervorschlag

Gunnar Duttge, Mainzer Uni-Klinik-Skandal: . In: Legal Tribune Online, 27.08.2010 , https://www.lto.de/persistent/a_id/1304 (abgerufen am: 04.12.2024 )

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