Diskussionen nach Magdeburg-Anschlag: Was können Sicher­heits­be­hörden bei Terror-Dro­hungen tun?

von Dr. Max Kolter

30.12.2024

Nach dem Anschlag in Magdeburg stehen mögliche Versäumnisse der Sicherheitsbehörden im Fokus. Taleb A. hatte trotz zahlreicher Drohungen nur Gefährderansprachen erhalten. Hätte man ihn stattdessen in Gewahrsam nehmen oder ausweisen können?

Der Magdeburger Weihnachtsmarkt-Attentäter Taleb A. tötete fünf Menschen und verletzte weitere 230. Warum genau er das tat, ist weiter nicht geklärt. Seine Vorgeschichte und Tweets der letzten Jahre sprechen klar gegen ein islamistisches Motiv. Vielmehr brachte er dort einen Mix aus Islamfeindlichkeit und Hass auf deutsche Politiker und Behörden zum Ausdruck, allerdings soll es auch Hinweise auf eine psychische Erkrankung geben.

Klar ist dagegen: Es hat Versäumnisse bei den Sicherheitsbehörden gegeben. Mit diesen befassten sich am Montag der Innenausschuss des Bundestags und das Parlamentarische Kontrollgremium in Sondersitzungen. Einerseits ging es dort um die mangelhafte Absicherung des Weihnachtsmarktes. Denn am 20. Dezember stand nach Angaben des Justizministeriums Sachsen-Anhalt ein Polizeifahrzeug nicht dort, wo es sollte, nämlich bei der Zufahrt, durch die A. das Tatfahrzeug letztlich hindurchsteuerte. Zudem gibt es Kritik am Sicherheitskonzept des Marktbetreibers, das die Stadt Magdeburg abgenommen hat. Nach Angaben der Generalstaatsanwaltschaft Naumburg liegen dazu mindestens drei Strafanzeigen gegen Mitarbeiter von Stadt, Polizei und Betreibergesellschaft vor.

Andererseits diskutierten die Bundestagsgremien darüber, ob es auch Versäumnisse dabei gegeben hat, die Öffentlichkeit vor dem späteren Täter A. zu schützen. Hätte man diesen früher "aus dem Verkehr ziehen" müssen, welche Möglichkeiten bietet das Recht überhaupt? Das hat auch rechtspolitische Relevanz, denn wo das Recht keine ausreichenden Befugnisse gewährt, stellt sich die Frage nach Gesetzesänderungen.  

2014 wegen Androhung von Terror verurteilt 

Da es sich bei A. um einen saudi-arabischen Staatsbürger handelt, wären ein Entzug der Aufenthaltserlaubnis, eine Ausweisung und letztlich die Abschiebung grundsätzlich denkbar gewesen. Stattdessen aber wurde der 2006 für die Fortsetzung seiner Facharztausbildung eingereiste A. 2016 sogar als Flüchtling anerkannt – trotz strafrechtlicher Verurteilung wegen "Störung des öffentlichen Friedens durch Androhung von Straftaten" nach § 126 Strafgesetzbuch (StGB). Wie Welt und Spiegel berichten, verurteilte ihn das Amtsgericht (AG) Rostock 2014 rechtskräftig, weil er 2013, zwei Tage nach dem Attentat auf den Boston-Marathon, in einem Telefonat mit einer Mitarbeiterin der Ärztekammer Mecklenburg-Vorpommern damit gedroht haben soll, es werde "etwas Schlimmes mit internationaler Bedeutung" geschehen, wenn sein Antrag auf Zulassung zur Facharztprüfung nicht umgehend bewilligt werde. Dabei soll er explizit auf den Bostoner Anschlag hingewiesen haben, was A. jedoch bestritt. Das Gericht verhängte eine Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu je zehn Euro. 

Trotzdem erkannte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) ihn 2016 wegen drohender politischer Verfolgung in Saudi-Arabien als Flüchtling an. Inwiefern das BAMF die Vorstrafe berücksichtigt hat, dazu will das Ministerium keine Angaben machen. Gegenüber Welt verwies ein Sprecher nur abstrakt darauf, dass die Anerkennung als Flüchtling wegen politischer Verfolgung auch bei verurteilten Straftätern möglich ist. 

Tatsächlich werden nach der Flucht im Inland begangene Straftaten bei der Frage der Asylanerkennung nicht berücksichtigt. Asyl erhält, wer verfolgt wird und in seinem Heimatland keinen anderweitigen Schutz in Anspruch nehmen kann. Das ist die Grundidee des Asyls. 

Ausweisung nur aus "zwingenden Gründen der nationalen Sicherheit" 

Ob die verfolgte Person im Zielland eine Gefahr für die Öffentlichkeit darstellt, spielt allerdings im Aufenthaltsrecht eine Rolle. Das ist der Teil des Ausländerrechts, der regelt, wann ein Aufenthaltstitel ausgestellt wird. Zwar wird Asylberechtigten in aller Regel auch eine Aufenthaltserlaubnis erteilt. In Ausnahmefällen kann das aus Sicherheitserwägungen jedoch anders sein. Die Hürden sind allerdings hoch. 

Nicht jede Straftat begründet ein überwiegendes Ausweisungsinteresse. § 54 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) fordert dafür in der Regel Freiheitsstrafen von mindestens sechs Monaten oder eine wiederholte Begehung von Straftaten. Geldstrafen bis zu 90 Tagessätzen bleiben dabei aber außer Betracht – somit auch A.s Verurteilung in Rostock. Bei Asylberechtigten und anerkannten Flüchtlingen sind die Hürden noch höher: Hier rechtfertigen nur "zwingende Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung" eine Ausweisung, § 53 Abs. 3a AufenthG. 

Inwiefern diese Voraussetzungen im Fall von Taleb A. gegeben waren, wird erst die vollständige Aufklärung des Sachverhalts ergeben. Einzelne Tweets und E-Mails reichen dafür nicht aus. Bei A. kam über die Jahre allerdings ein ganzer Berg an Drohungen zusammen. Dass er eines Tages ernst machen würde, dafür sprachen die Eindrücke derer, die persönlich – von Angesicht zu Angesicht oder per Telefon – mit ihm zu tun hatten und die Drohungen sehr ernst nahmen. Das trifft nach den bisherigen Erkenntnissen zumindest auf die Mitarbeiterin der Ärztekammer zu sowie auf eine Frau aus New Jersey, die sowohl das BAMF als auch die Berliner und Magdeburger Polizei in Panik anschrieb. Das BAMF verwies die Frau wegen Unzuständigkeit an die Berliner Polizei, die verwies weiter nach Magdeburg und die dortige Polizei reagierte gar nicht auf die Nachrichten

Versäumnisse in der Kommunikation zwischen den Behörden lassen sich im Magdeburger Fall nicht von der Hand weisen. So äußerte sich auch Grünen-Chefin Franziska Brantner gegenüber der Welt am Sonntag. Der Informationsaustausch zwischen Verfassungsschutz und Polizeibehörden müsse deshalb verbessert werden. Gleiches forderte Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU). Inwiefern Gesetzesänderungen (allein) dieses Problem lösen, ist aber fraglich. Konkrete Vorschläge gab es bislang nicht. 

EuGH setzt Ausweisung von Flüchtlingen enge Grenzen 

CDU-Chef Friedrich Merz hält die Regelungen des AufenthG zur Ausweisung für eine Problemursache. Er forderte in seinem E-Mail-Newsletter, Ausweisungen sollten auch möglich sein, wenn keine Straftatbestände festgestellt seien. CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann fordert eine Ausweisung bereits nach zwei Straftaten, CSU-Chef Markus Söder auch für einfache Straftaten. 

Jedenfalls die Forderungen von Linnemann und Söder dürften mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) unvereinbar sein. Der hatte im Sommer 2023 in drei Fällen aus Belgien, Österreich und den Niederlanden entschieden, dass die Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht schon bei einer Verurteilung wegen einer schweren Straftat zulässig ist. Vielmehr sei dafür maßgeblich – mit oder ohne strafrechtliche Verurteilung –, ob sich aus dem bisherigen Verhalten der Person schließen lässt, dass sie eine "tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr für ein Grundinteresse der Allgemeinheit des Mitgliedstaats darstellt". Zudem dürften mehrere leichte Straftaten nicht zu einer schweren aufaddiert werden.

SPD-Chef Lars Klingbeil dagegen forderte: "Wer mit Terroranschlägen droht, verliert das Recht, in Deutschland zu bleiben." Schon die Drohung mit einem Terroranschlag solle deshalb eine Ausweisung nach sich ziehen. Das wäre nicht per se unvereinbar mit den Vorgaben des EuGH. Hier käme es aber auf die konkrete Formulierung an. Viel Spielraum, die §§ 53, 54 AufenthG zu verschärfen, verbleibt dem deutschen Gesetzgeber allerdings nicht. 

Gefährder, ohne Gefährder zu sein 

Weiterhin stellt sich – im Fall von Taleb A. sowie allgemein – die Frage: Was können Sicherheitsbehörden tun, um sogenannte Gefährder "aus dem Verkehr zu ziehen"?

Grundsätzlich können und müssen Polizei und Ordnungsbehörden das Erforderliche tun, um Gefahren für die öffentliche Sicherheit abzuwenden, insbesondere Straftaten abzuwenden. Die Verfassungsschutzämter sollen gegebenenfalls die nötigen Informationen liefern. Hat der Verfassungsschutz Informationen über konkrete Anschlagspläne, könnte das sogar schon als Vorbereitung einer terroristischen Handlung strafbar sein. Der Gesetzgeber hat die Terrorismus-Strafbarkeit bewusst zeitlich weit nach vorne verlagert, um ein polizeiliches Einschreiten auch im Rahmen der Strafverfolgung zu ermöglichen. Was aber, wenn es keine konkreten Hinweise, sondern nur abstrakte Ankündigungen gibt? 

Im Fall von Taleb A. war nicht viel passiert. Die Behörden stuften ihn trotz der Verurteilung in Rostock, seines aggressiven Verhaltens gegenüber Justizbeamten nach der Verurteilung sowie zahlreicher abstrakter Drohungen auf seinem X-Account nicht generell als gefährlich ein. Dennoch suchte ihn die Magdeburger Polizei im September 2023 und Oktober 2024 zweimal für eine sogenannte Gefährderansprache auf. Eine dritte Ansprache wegen eines weiteren Social-Media-Posts im Dezember 2023 gelang nicht. 

Eine der Ansprachen liegt dem MDR in Form eines polizeilichen Protokolls vor. Anlass für die Ansprache war demnach eine vage Ankündigung A.s in einer E-Mail an die Staatsanwaltschaft Köln. Er schrieb dort u.a., kein schlechtes Gewissen zu haben "für die Ereignisse, die in den nächsten Tagen passieren werden, um die Gerechtigkeit wiederherzustellen". In der Ansprache wurde er aufgefordert, "solche Schreiben zu unterlassen". Sollte er es doch tun, so könnte dies "unter Umständen strafrechtliche Konsequenzen mit sich ziehen". 

Was bringt eine Gefährderansprache?

Gesetzlich geregelt ist die Gefährderansprache in Sachsen-Anhalt nicht, anders als etwa in Berlin. Genutzt wird das Instrument aber bundesweit, nicht selten offenbar ohne eine klare gesetzliche Eingriffsbefugnis. In Berlin setzt § 18b des Allgemeinen Sicherheits- und Ordnungsgesetzes eine konkrete Gefahr für die öffentliche Sicherheit voraus. "Das ist ein eher strenger Maßstab", sagt Prof. Dr. Clemens Arzt, der jahrelang an der Hochschule für Wirtschaft und Recht in Berlin Polizei- und Versammlungsrechte lehrte. Man könnte auch daran denken, dass es sich um eine Maßnahme zur Verhütung von Straftaten handelt, hier würden dann niedrigere tatbestandliche Anforderungen gelten. Auf welche Rechtsgrundlage sich die Polizei in Sachsen-Anhalt bei der Gefährderansprache gestützt hat, ist aber unklar. 

Mit dem Wissen, dass Taleb A. am 20. Dezember fünf Menschen tötete und 230 verletzte, erscheinen die Ansprachen als Mittel der Terrorismusprävention absurd. Was bringt so etwas? 

"Das ist schwer zu sagen. Empirische Forschung zur Effektivität von Gefährderansprachen ist mir nicht bekannt", sagt Arzt. "Meine persönliche Einschätzung wäre: Das bringt nur dann etwas, wenn die Ansprache kurzfristig erfolgt, sich also auf ein bevorstehendes Ereignis bezieht, wie etwa bei Hooligans vor einem Fußballspiel. Das ist auch der typische Anwendungsbereich für Gefährderansprachen. Die Idee ist hier, der aus Sicht der Polizei gewaltbereiten Person mitzuteilen: Wir haben dich auf dem Schirm", so Arzt.  

Dass Gefährderansprachen im Bereich der Terrorismusprävention helfen, hält Arzt für unwahrscheinlich. "Das scheint mir hier eher ein hilfloser Versuch zu sein." 

Gefährder wegsperren?

Mehr Erfolg könnte laut Arzt in solchen Fällen ein anderes umstrittenes Instrument versprechen: der Unterbringungsgewahrsam, auch Präventivhaft genannt. Es geht darum, jemandem vorübergehend die Freiheit zu entziehen, damit er keine Straftaten begeht – wie die Haft, nur präventiv.

Dass eine der Landespolizeibehörden im Fall von Taleb A. zu irgendeinem Zeitpunkt erwogen hat, A. präventiv in Gewahrsam zu nehmen, ist nicht bekannt. § 37 des Sicherheits- und Ordnungsgesetzes (SOG) von Sachsen-Anhalt lässt das grundsätzlich zu, wenn es "unerlässlich" ist, "um die unmittelbar bevorstehende Begehung oder Fortsetzung einer Straftat oder einer Ordnungswidrigkeit von erheblicher Bedeutung für die Allgemeinheit zu verhindern". Nach Abs. 1 Nr. 2 lit. a kann die Polizei ihre Prognose auch darauf stützen, dass die Person "die Begehung der Tat angekündigt hat".

Angesichts der Vielzahl von Drohungen ließe sich argumentieren, dass auch diese strengen Voraussetzungen bei A. vorgelegen hätten. "So problematisch dieses Instrument auch ist: Wenn eine Person ernsthafte und konkrete Terror-Drohungen ausspricht, dann kann hiervon Gebrauch gemacht werden, jenseits von Bayern aber nur für sehr kurze Zeit", sagt Polizeirechtler Arzt. In Sachsen-Anhalt wären das nach § 40 SOG maximal vier Tage und es erfordert eine richterliche Anordnung. 

In Bayern dagegen ist eine Freiheitsentziehung bis zu zwei Monaten möglich, wie die Protestierenden der "Letzten Generation" schon zu spüren bekamen. Denkbar wäre, dass andere Bundesländer es Bayern nachmachen und die Höchstdauer der Präventivhaft verlängern. Der Bayerische Verfassungsgerichtshof segnete diese im Juni 2023 ab. Doch im Fall von Taleb A., der über Jahre immer wieder abstrakte Drohungen aussprach, ohne sie umzusetzen, hätte ein zweimonatiger Gewahrsam nichts genutzt. "Als Mittel einer längerfristigen Terrorismus-Prävention scheidet der präventive Gewahrsam aus", sagt Arzt. Und damit bleiben der Polizei in Fällen wie dem von Taleb A. kaum Optionen, solange sie nicht – etwa vom Verfassungsschutz – Informationen über konkrete Anschlagspläne erhalten.

Zitiervorschlag

Diskussionen nach Magdeburg-Anschlag: . In: Legal Tribune Online, 30.12.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/56238 (abgerufen am: 12.02.2025 )

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