Todesfall Luise aus Freudenberg: Staats­an­walt­schaft ver­letzt ihre Aus­kunftspf­licht

von Martin W. Huff

22.03.2023

Zwei gleichaltrige Mädchen sollen die zwölfjährige Luise getötet haben. Um ihre Persönlichkeitsrechte zu schützen, hält sich die Staatsanwaltschaft mit Informationen zurück. Nach Meinung von Martin W. Huff ist das rechtswidrig.

Der Tod der 12jährigen Schülerin Luise am 11. März 2023 hat die Menschen erschüttert. Zwei gleichaltrige Freundinnen des Mädchens sollen Luise mit mehreren Messerstichen getötet haben. Die Stadt Freudenberg im Siegerland steht unter Schock. Die Diskussionen rund um die Frage, ob das Alter für die Strafmündigkeit von bisher 14 Jahren gesenkt werden muss, sind in vollem Gange. Doch darum soll es hier nicht gehen oder vielleicht doch. Denn für die Diskussion ist es auch wichtig zu wissen, wie es überhaupt zu der Tat gekommen ist.  

Hier wird es nun schwierig: Die Staatsanwaltschaft Koblenz, die zunächst für die Ermittlungen zuständig war, hat in der Pressekonferenz nach der Tat mitgeteilt, dass es aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes keine Mitteilungen zum Tatgeschehen machen werde. Und diese Linie scheint die jetzt zuständige Staatsanwaltschaft Siegen fortführen zu wollen. Sie teilte lediglich mit, dass die Suche nach der Tatwaffe eingestellt worden sei. Und in den Medien und den sozialen Netzwerken kursieren bereits die Namen der beiden mutmaßlichen Täterinnen, wohl auch, weil die Accounts der beiden Mädchen relativ spät auf Druck der Behörden gesperrt worden waren.  

Während die Spekulationen über den Tathergang und die Motive der mutmaßlichen Täterinnen ins Kraut schießen, stellt sich die Frage, ob der selbstauferlegte Maulkorb der Staatsanwaltschaft eigentlich rechtlich in Ordnung ist. Unterschieden werden muss, zwischen der Bekanntgabe der Namen der beiden Mädchen und den Tatumständen der Tötung.  

Name und Wohnort nicht veröffentlichen   

Nach meiner Auffassung ist es richtig, keine konkreten, persönlichen Informationen über die beiden der Tat verdächtigen Mädchen zu veröffentlichen: Ihr Name, auch in abgekürzter Form, und auch der Wohnort gehen keinen etwas an. Doch ausgerechnet diese Infos haben mittlerweile die Runde gemacht. Die Vornamen sind öffentlich bekannt geworden und auch der Umstand, dass die Mädchen in Freudenberg gewohnt, mittlerweile mit ihren Familien aber die Stadt verlassen haben.  

Bei der Namensnennung geht der Schutz der minderjährigen Mädchen vor. Dies sogar in einem Fall wie diesen, der sich aus der allgemeinen Kriminalität deutlich hervorhebt und eine besondere Brutalität haben könnte. Und vergessen werden darf auch nicht, dass gerade bei jugendlichen Straftätern der Gedanke der Resozialisierung eine wichtige Rolle. Daher ist in der Regel auch die Öffentlichkeit in Strafverfahren gegen jugendliche Täter über 14 Jahren nach § 48 Jungendgerichtsgesetz ausgeschlossen. Allerdings betrifft dies nur die Hauptverhandlung selbst. Das Ergebnis der Verhandlung, Informationen zur Tat und zum Strafmaß müssen die Gerichte am Ende des Verfahrens mitteilen. Eine komplette Nachrichtensperre kennt das deutsche Recht nicht.  

Doch wie sieht es mit den Informationen zum Tathergang aus? Hier geht es nicht um die Namensnennung, sondern um Mitteilungen zu den Ermittlungsergebnissen der Staatsanwaltschaft und der Polizei.  

Medienrechtliche Auskunftspflicht  

Hier kann und wird es Anfragen der Medien nach dem Sachstand geben. Und hier greift das Medienrecht ein. Denn gem. § 4 Abs. 1 des Pressegesetzes des Landes Nordrhein-Westfalen, dass für die Staatsanwaltschaft Siegen gilt, sind die Behörden verpflichtet, den Vertretern der Presse die der Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgabe dienenden Auskünfte zu erteilen. Diese Vorschrift gilt nach dem Medienstaatsvertrag auch für alle anderen Medien.  

Diese Auskünfte über das Ergebnis des Ermittlungsverfahrens dürfen nur gemäß § 4 Abs. 2 verweigert werden, soweit entweder (1.) durch sie die sachgemäße Durchführung eines schwebenden Verfahrens vereitelt, erschwert, verzögert oder gefährdet werden könnte, (2.) Vorschriften über die Geheimhaltung entgegenstehen oder (3.) ein überwiegendes öffentliches oder ein schutzwürdiges privates Interesse verletzt würde oder (4.) deren Umfang das zumutbare Maß überschreitet.  

Hier kommen nur die Ziffern (1.) oder (3.) in Betracht. Ein schutzwürdiges private Interesse würde nur der Namensnennung der Mädchen entgegenstehen. Ansonsten gibt es keinen Grund, Umstände der Tat nicht mitzuteilen. Dies betrifft auch die Frage, wie es zu der Tat kam. Dies auch dann, wenn dazu Umstände zur getöteten Luise mitgeteilt werden müssten. Denn hier geht die Rechtsprechung davon aus, dass ein sogenanntes postmortales Persönlichkeitsrecht eine Information nicht ausschließt.  

So ging das OVG Berlin-Brandenburg im Fall einer sich selbst getöteten Jugendrichterin davon aus, dass die Öffentlichkeit nicht nur einen Anspruch darauf hat, das Ergebnis der Ermittlungen zu erfahren, die von einer Selbsttötung ausgehen, sondern vielmehr, etwa zur Auffindesituation und vielen weiteren Umständen. Das geht mir an vielen Stellen zu weit, zeigt aber auf, dass eine komplette Verweigerung der Auskunft nicht möglich ist.  

Bleibt also nur noch die Vorschrift des § 4 Abs. 2 Nr. 1 Pressegesetz NRW, dass das Ermittlungsverfahren beeinträchtigt wird. Doch diese Vorschrift hat eine weitgehende zeitliche Komponente. Je mehr die Ermittlungen abgeschlossen sind, desto eher müssen Informationen den Medien mitgeteilt werden. Sobald nicht mehr "vereitelt, verzögert, erschwert oder gefährdet" werden kann, gibt es für die Ermittlungsbehörde auch kein Auskunftsverweigerungsrecht mehr.  

Infos zu Tathergang und Motivation müssen mitgeteilt werden 

Für den Fall Luise bedeutet dies: Die Staatsanwaltschaft muss ihre Ermittlungsergebnisse den Medien mitteilen. Dies betrifft Aussagen dazu, wie die Tat konkret abgelaufen ist, welche Motive eine Rolle gespielt haben und welche Maßnahmen gegen die beiden mutmaßlichen Täterinnen ergriffen wurden. Sollte für das Verfahren nicht mehr die Staatsanwaltschaft, sondern das Jugendamt federführen zuständig sein, trifft die Auskunftspflicht eben das Jugendamt.  

Die Öffentlichkeit hat einen Anspruch darauf, die Hintergründe der grauenhaften Tat in Freudenberg zu erfahren. Dies wäre auch mit Blick auf die gesellschaftliche Diskussion wichtig. Für die bisherige Verweigerungshaltung der Staatsanwaltschaft findet sich im Gesetz keine Grundlage.

Zitiervorschlag

Todesfall Luise aus Freudenberg: Staatsanwaltschaft verletzt ihre Auskunftspflicht . In: Legal Tribune Online, 22.03.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/51374/ (abgerufen am: 25.04.2024 )

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