Der Streit um Stuttgarter Diesel-Fahrverbote wird wohl vor dem BVerwG landen. Ursula Steinkemper teilt die Zweifel, ob die aktuellen Ermächtigungsgrundlagen überhaupt ausreichen, Diesel-Fahrzeuge für weite Teile Stuttgarts zu verbieten.
Das Verwaltungsgericht (VG) Stuttgart hat das Land Baden-Württemberg auf die Klage der Deutschen Umwelthilfe e.V. (DUH) hin zur Fortschreibung des Luftreinhalteplans verpflichtet (Urt. v. 28.07.2017, Az.: 13 K 5412/15). Das zuständige Regierungspräsidium Stuttgart müsse darin Maßnahmen aufnehmen, die zu einer schnellstmöglichen Einhaltung der überschrittenen Immissionsgrenzwerte für Stickstoffdioxid in der Umweltzone Stuttgart führen. Mangels anderer wirksamer Maßnahmen seien auch Diesel-Fahrverbote geboten, selbst wenn viele der Diesel-Fahrzeuge über eine grüne Plakette verfügen und derzeit in der Umweltzone am Verkehr teilnehmen dürfen, so das Gericht.
Soweit sich dies der bisher verfügbaren Pressemitteilung entnehmen lässt, hat aber auch das VG Stuttgart selbst Zweifel daran, ob die geltenden Ermächtigungsnormen als Grundlage für ein solches Fahrverbot ausreichen. Es begründet deren Zulässigkeit jedoch im Wesentlichen damit, dass die Schadstoffgrenzwerte schon seit vielen Jahren überschritten seien, die Bundesrepublik Deutschland aber zur Einhaltung der unionsrechtlich vorgegebenen Umweltschutzstandards verpflichtet sei und auch von Verfassung wegen Leben und Gesundheit von Menschen schützen müsse. Sofern die bisher geltenden Ermächtigungsnormen in Straßenverkehrsordnung (StVO) und Bundesimmissionsschutzgesetz (BImschG) derzeit ein Fahrverbot für Dieselfahrzeuge nicht stützten, dürfe dies nicht dazu führen, dass ein solches zum Schutz der menschlichen Gesundheit gebotene Verkehrsverbot unterbleibe.
Es ist zu erwarten, dass das beklagte Baden-Württemberg nach Erhalt der noch nicht vorliegenden vollständigen Urteilsbegründung die im Urteil ausnahmsweise zugelassene Sprungrevision zum Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), jedenfalls aber Berufung zum Verwaltungsgerichtshof Mannheim einlegen wird. Den Leipziger Richtern liegen bereits ähnliche Fragen zum Luftreinhalteplan Düsseldorf vor (VG Düsseldorf, Urteil vom 13.09.2016, Az. 3 K 7695/15).
Zweifelhafte Ermächtigungsgrundlage für generelles Diesel-Fahrverbot
Insbesondere ist unsicher, ob tatsächlich die aus Art. 2 Abs. 2 Grundgesetz (GG) folgende allgemeine Schutzpflicht des Staates und der Grundsatz zu unionsrechtskonformem Verhalten ausreichen, das Regierungspräsidium Stuttgart zur Anordnung von generellen Diesel-Fahrverboten im Luftreinhalteplan zu verpflichten.
Denn die Regelungen für Umweltzonen, die auf immissionsschutzrechtlicher Grundlage festgesetzt werden, sind bundesrechtlich vorgegeben. Fahrverbote in Umweltzonen werden nach den Regelungen des BImSchG und der Straßenverkehrsordnung (StVO) ausdrücklich mittels der in der StVO vorgesehenen Verkehrszeichen 270.1 und 270.2 ("Umwelt-ZONE") angeordnet. Dem Regierungspräsidium beziehungsweise der Straßenverkehrsbehörde und damit den Landesbehörden dürfte daher schon die Regelungskompetenz fehlen, innerhalb der Plakettenfarbe weiter zu differenzieren und durch neu zu gestaltende Verkehrszeichen Sonderregelungen zu schaffen.
2/2: Keine zusätzlichen Abstufungen bei den Plaketten
Rechtlich geht es – wie so oft im Umweltrecht – um das Verhältnis des europäischen Umweltrechts zum deutschen Verwaltungsrecht. Die europäische Richtlinie 2008/50/EG über Luftqualität und saubere Luft in Europa (Luftqualitätsrichtlinie) normiert für eine Reihe von Luftschadstoffen Grenzwerte, die unter Berücksichtigung der einschlägigen Normen und Leitlinien der Weltgesundheitsorganisation festgelegt wurden. Die Richtlinie legt dabei insbesondere Grenzwerte für Stickstoffoxide, Stickstoffdioxid, Schwefeldioxid und Feinstaubpartikel fest, die in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union nicht überschritten werden dürfen.
In Deutschland ist die Luftqualitätsrichtlinie im BImSchG und insbesondere der "Verordnung über Luftqualitätsstandards und Immissionshöchstmengen" (39. BImSchV) umgesetzt worden. Gemäß § 47 BImSchG ist ein Luftreinhalteplan von der zuständigen Immissionsschutzbehörde – hier das Regierungspräsidium – aufzustellen, wenn der Immissionsgrenzwert für einen Schadstoff in der Luft zuzüglich einer dafür geltenden Toleranzmarge überschritten wird. Der Luftreinhalteplan soll die Luftqualität durch "geeignete Maßnahmen" dauerhaft so verbessern, dass die festgelegten Grenzwerte eingehalten und "der Zeitraum der Nichteinhaltung so kurz wie möglich" gehalten werden.
Eine der möglichen – und in Stuttgart umgesetzten – Maßnahmen zur Einhaltung der Grenzwerte ist die Einrichtung von Umweltzonen mit Fahrverboten für bestimmte Kraftfahrzeuge. Grundlage für die Einrichtung einer Umweltzone ist § 40 Abs. 1 BImSchG und die sog. Kennzeichnungsverordnung (35. BImSchV). Nach dieser sind Kraftfahrzeuge einer Schadstoffgruppe zugeordnet, die entsprechende Kennzeichnung stellen eine rote, gelbe oder eben grüne Plakette dar. Bei Einrichtung einer Umweltzone beschränkt oder verbietet die zuständige Straßenverkehrsbehörde den Kraftfahrzeugverkehr nach Maßgabe der straßenverkehrsrechtlichen Vorschriften auf Grundlage des § 45 Abs. 1 f StVO. Dieser sieht die Anordnung von Verkehrsverboten ausdrücklich "mittels Zeichen 270.1 und 270.2 und dem dazu vorgesehenen Zusatzzeichen" (das ist die Plakettenfarbe) vor. Eine weitere Differenzierung oder auch eine Ermächtigung hierzu ist gesetzlich bisher nicht geregelt.
Verfassungs- und europarechtliche Überformung?
Dass sich aus dem Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit in Art. 2 Abs. 2 GG staatliche Schutzpflichten ergeben können, ist grundsätzlich nichts Neues. Gerade im Umweltrecht ist auch die weite Auslegung von Vorschriften mit dem Ziel, dem europäischen und völkerrechtlichen Umweltrecht zu größtmöglicher Wirksamkeit zu verhelfen, gang und gäbe.
Allerdings ist zweifelhaft, ob sich Anordnungen einer Landesbehörde zu generellen Fahrverboten für Dieselfahrzeuge allein durch den pauschalen Verweis auf verfassungs- und europarechtliche Verpflichtungen des Staates rechtfertigen lassen. Denn der Bundesgesetzgeber hat die Voraussetzungen für immissionsschutzrechtlich begründete Verkehrsverbote und damit für die Einschränkung des Gemeingebrauchs an Straßen mit dem Ziel der Luftreinhaltung definiert, ohne die ausführenden Landesbehörden zu weitergehenden Regelungen ausdrücklich und hinreichend klar zu ermächtigen. Eine solche Ermächtigung dürfte aber vor dem Hintergrund des Rechtsstaatsgebots des Art. 20 Abs. 3 GG erforderlich sein, nach dem Einschränkungen von Grundrechten einer hinreichend bestimmten gesetzlichen Grundlage bedürfen.
Dass das VG Stuttgart – wie zuvor das VG Düsseldorf – die Sprungrevision zum BVerwG zugelassen und die Klägerin hierzu zugestimmt hat, ist im Sinne einer bundesweiten Klärung daher zu begrüßen. Solange bleibt umstritten, ob und wann es zu einem Diesel-Fahrverbot kommt.
Die Autorin Dr. Ursula Steinkemper ist Rechtsanwältin und Partnerin bei CMS in Deutschland und auf Umwelt- und Planungsrecht spezialisiert. Sie beschäftigt sich u.a. mit Themen aus dem Immissionsschutz-, Natur- und Artenschutzrecht sowie dem Wasserrecht.
Dr. Ursula Steinkemper, Stuttgarter Luftreinhalteplan vor dem BVerwG?: Zwischen hellgrün und dunkelrot . In: Legal Tribune Online, 03.08.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/23773/ (abgerufen am: 19.04.2024 )
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