Aufgrund der Verstöße gegen das Transplantationsgesetz eines Arztes im Göttinger Organspendeskandal wollte die Krankenkasse für die Operationen nicht an die Uniklinik zahlen. Das LSG sah das aber nun anders.
Medizinisch notwendige Leistungen müssen auch dann vergütet werden, wenn falsche Daten an Eurotransplant, die Vergabestelle für Organtransplantationen, weitergegeben wurden. Das hat das Landessozialgericht Niedersachsen Bremen in Celle (LSG) in einem am Montag veröffentlichten Urteil entschieden (Urt. v. 18.1.2022, Az. L 16/4 KR 506/19).
Vor zehn Jahren machte der sogenannte Göttinger Organspendeskandal Schlagzeilen. Ein Arzt, der für Transplantationen im Göttinger Universitätsklinikum zuständig war, sorgte dafür, dass einige seiner Patienten auf der Warteliste für eine Spenderleber weiter nach oben rückten. Er meldete bewusst falsche Angaben zu Dialysebehandlungen der Patienten an Eurotransplant, wodurch jeweils eine höhere Dringlichkeit der Transplantation suggeriert wurde.
Gegen den Arzt waren daraufhin Ermittlungen eingeleitet und ein Strafverfahren eröffnet worden - unter anderem wegen versuchten Totschlags in elf Fällen zum Nachteil der Patienten, die auf der Warteliste durch seine Angaben weiter nach unten rückten. Am Ende sprach das Landgericht (LG) Göttingen den Arzt jedoch mangels Tötungsvorsatzes frei (Urt. v. 06.05.2015, Az. 6 Ks 4/13), der Bundesgerichtshof bestätigte die Entscheidung (Urt. v. 28.06.2017, Az. 5 StR 20/16).
Wegen dieses Prozesses gegen ihn saß der Mediziner fast ein Jahr in Untersuchungshaft – und verpasste deshalb ein lukratives Jobangebot in Jordanien. Nachdem er freigesprochen worden war, verlangte der Arzt daher Ersatz für unter anderem diesen Schaden. Das Landgericht Braunschweig (Urt. v. 13.09.2019, Az. 7 O 3677/18) gab dieser Klage statt und verurteilte das Land Niedersachsen zu einer Zahlung von 1,1 Millionen Euro. Das Oberlandesgericht Braunschweig bestätigte diese Entscheidung (Az. 11 U 149/19).
Krankenkasse will für Transplantationen im Rahmen des Skandals nicht zahlen
Der Arzt arbeitet mittlerweile in Jordanien – doch der Skandal beschäftigt die deutschen Gerichte immer noch. So hatte sich nun das LSG mit dem Fall zu beschäftigen. Für die durchgeführten Transplantationen hatte die Uniklinik Göttingen nämlich rund 157.000 Euro bei der gesetzlichen Krankenkasse geltend gemacht und zunächst auch erhalten. Diese Summe forderte die Krankenkasse nun jedoch zurück. Sie berief sich darauf, dass der Arzt formell gegen das Transplantationsgesetz verstoßen habe. Die Leistungen seien daher rechtswidrig zustande gekommen und der Vergütungsanspruch damit entfallen.
Die Uniklinik war hingegen davon überzeugt, dass die Transplantationen selbst medizinisch notwendig gewesen und fachgerecht durchgeführt worden seien. Beide Patienten hätten ohnehin schon weit oben auf der Liste für eine neue Leber gestanden. Durch das kurzfristige Organangebot sei beiden das Leben gerettet worden. Zudem habe die Klinik keine Kenntnis vom Fehlverhalten des Arztes gehabt.
Klare Worte des Gerichts an die Krankenkasse
Während das Sozialgericht (SG) Hildesheim in erster Instanz noch der Krankenkasse Recht gab, trat das LSG dieser Auffassung nun entgegen und gab der Uniklinik Recht. Die Transplantationen seien medizinisch indiziert gewesen und nach den Regeln der ärztlichen Kunst durchgeführt worden. Die falschen Angaben, die der Arzt gegenüber Eurotransplant gemacht hatte, änderten daran nichts und ließen auch den Vergütungsanspruch nicht entfallen. Die Zahlungspflicht der Krankenkasse entstehe nämlich durch Inanspruchnahme einer Leistung durch einen Versicherten bei Durchführung entsprechender Versorgung in einem zugelassenen Krankenhaus. Diese Voraussetzungen seien erfüllt.
Das Transplantationsgesetz stehe dieser Rechtsauffassung auch nicht entgegen. Dieses ziele nämlich darauf ab, so das LSG, Organspenden besser zu organisieren und die Verteilung gerecht durchzuführen. Die Qualitätssicherung der Transplantationen selbst bezwecke das Gesetz hingegen nicht und nur die Qualität der Transplantationen könnten Auswirkungen auf den Vergütungsanspruch haben. Das Gericht stellte in deutlichen Worten gegenüber der Versicherung in seinem Urteil klar: "Die getätigten Falschangaben mögen moralisch falsch sein. Dieses Verhalten durch Rückforderungen gewissermaßen zu 'ahnden' und damit einem Gerechtigkeitsempfinden Genüge zu tun, sei jedoch nicht Aufgabe der Krankenkasse."
Der Senat hat die Revision zum Bundessozialgericht zugelassen. Womöglich findet der Göttinger Organspendeskandal damit vor deutschen Gerichten noch immer nicht sein Ende.
Göttinger Organspendeskandal: . In: Legal Tribune Online, 31.01.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/47374 (abgerufen am: 12.12.2024 )
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