Das OLG Düsseldorf hat die Anklage zugelassen, eine andere Kammer des LG Duisburg muss nun über die Schuld an der Loveparade-Katastrophe entscheiden. Ein fast unmögliches Unterfangen, nicht nur wegen des Umfangs des Mammut-Verfahrens.
Fast ein Jahr nach dem umstrittenen Nichteröffnungs-Beschluss der 5. Großen Strafkammer des Landgerichts (LG) Duisburg hat das Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf auf die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft und der zuletzt noch 38 Nebenkläger die Anklage gegen alle zehn Angeklagten zugelassen (Beschl. v. 18.04.2017, Az. III - 2 Ws 528/16 bis III - 2 Ws 577/16). Über drei Jahre sind vergangen, seit die Staatsanwaltschaft Duisburg im Februar 2014 ihre Anklage vorgelegt hatte. Den Zeitraum von zwei Jahren für das Zwischenverfahren hatte die zuständige 5. Große Strafkammer des LG mit dem Umfang des Verfahrens begründet.
Mit dem Mammut-Prozess muss sich nach der Verweisung nun die 6. Große Strafkammer des LG Duisburg beschäftigen. Sie wird zu klären haben, ob die sechs Mitarbeiter der Stadt sowie vier Angestellte des Unternehmens, das die Loveparade im Jahr 2010 veranstaltete, sich wegen fahrlässiger Tötung, fahrlässiger Körperverletzung beziehungsweise fahrlässiger Körperverletzung im Amt strafbar gemacht haben.
Aus Sicht des OLG Düsseldorf ist eine Verurteilung der Angeklagten hinreichend wahrscheinlich, wie dieses am Montag mitteilte. Das liest sich gänzlich anders als die Annahme des LG Duisburg, welches ein zentrales Gutachten für nicht verwertbar gehalten und der Staatsanwaltschaft bescheinigt hatte, dass sie ihre Vorwürfe nicht habe beweisen können. Für den 2. Strafsenat des OLG drängt sich hingegen nach den Ermittlungen auf, dass es die Sorgfaltspflichtverletzungen der Angeklagten gewesen seien, welche die Katastrophe verursachten, die am 24. Juli 2010 bei der Loveparade in Duisburg 21 Menschen das Leben kostete. Mindestens 652 weitere Personen wurden verletzt, einige von ihnen schwer, als es an einer Engstelle zu einem tödlichen Gedränge kam.
OLG: Sachverhalt nicht ermittelt, Kausalität falsch bewertet
Die 5. Strafkammer des LG Duisburg habe zu hohe Anforderungen an die Annahme eines hinreichenden Tatverdachts gestellt, so der 2. Strafsenat zur Begründung seines Beschlusses. Die Verweisung an die 6. Große Strafkammer, also eine andere Kammer desselben Gerichts, ist im Beschwerdeverfahren – anders als im Revisionsverfahren - keineswegs der Regelfall.
Das Ermittlungsergebnis lege nahe, dass "die unzureichende Dimensionierung und Ausgestaltung des Ein- und Ausgangssystems für die Besucher sowie die mangelnde Durchflusskapazität planerisch angelegt und für die Angeklagten vorhersehbar zu der Katastrophe geführt hätten", sagte OLG-Präsidentin Anne-José Paulsen am Montag in Düsseldorf.
Wesentliche Elemente des ermittelten Sachverhalts habe es nicht ausreichend berücksichtigt. Alternative Ursachen für die Katastrophe seien zwar als möglich benannt, nicht aber festgestellt worden. Das zentrale Gutachten des britischen Sachverständigen Prof. Keith Still sei entgegen der Annahme des Landgerichts in der Hauptverhandlung verwertbar, so Paulsen.
OLG: Andere Fehler ändern nichts an denen der Angeklagten
Der Fokus der Anklage lag nach Auffassung des OLG auf der Überschreitung der maximalen Durchflusskapazität für Besucher auf der Rampe Ost. Darauf hätte die Kammer des LG ihre Prüfung aber nicht beschränken dürfen, kritisieren die OLG-Richter mit ihrem bindenden Beschluss.
Den beschuldigten Mitarbeitern des Veranstalters legt die Staatsanwaltschaft zur Last, ein ungeeignetes Zu- und Abgangssystem für die Veranstaltung auf dem Gelände des ehemaligen Duisburger Güterbahnhofs geplant zu haben. Die Besucher sollten vor allem über eine einzige Rampe auf das Gelände geführt werden - und über die gleiche auch wieder herunter. Dafür soll die Rampe zu eng gewesen sein. Nach Ansicht des OLG hätte die Kammer aber auch andere Umstände der Planung, Genehmigung und Durchführung berücksichtigen müssen.
Andererseits habe die Kammer aber wegen eben solcher anderen Umstände einen vorwerfbaren Zusammenhang zwischen den mutmaßlichen Planungsfehlern und dem Unglück abgelehnt - auch das sei ein Fehler, moniert das OLG. Dass Vereinzelungsanlagen nicht geschlossen oder schon gebildete Polizeiketten wieder aufgelöst worden seien, habe auch nach Ansicht des LG jedenfalls nicht allein zu der Katastrophe geführt. Einen Tatverdacht bezüglich der Kausalität der Pflichtverletzungen, die den Angeklagten zur Last gelegt werden, räumten solche weiteren Fehler aber nicht aus.
OLG: Umstrittenes Gutachten doch verwertbar
Auch das zentrale Gutachten von Prof. Keith Still, auf welches die Staatsanwaltschaft ihre Anklage gestützt, das das LG aber für unbrauchbar erklärt hatte, halten die Düsseldorfer Richter prozessual wie inhaltlich für verwertbar. Ein weiteres Gutachten, das die Staatsanwaltschaft angekündigt hatte, nachdem das LG die Eröffnung der Hauptverhandlung abgelehnt hatte, lag dem Senat bei seiner Entscheidung noch nicht vor, erklärte Gerichtspräsidentin Paulsen am Montag.
Still sei nicht befangen und seine Ausführungen wiesen keine durchgreifenden Mängel auf, so das OLG. Die öffentlichen Äußerungen in Vorlesungen und auch in einem Lehrbuch hätten didaktischen Zwecken gedient. Der Senat sieht auch keine Anhaltspunkte für eine unzulässige Einflussnahme durch Dritte oder dafür, dass der Brite unzulässig Hilfskräfte an der Erstellung des Gutachtens beteiligt hätte.
Die Auffassung des LG wie auch der Verteidigung, dass das Gutachten erhebliche methodische inhaltliche Mängel aufweise, teilt das OLG nicht. Das von Still benannte planerische Defizit habe sich in dem Unglück realisiert, von ihm zugrunde gelegte manipulierte Besucherzahlen hätten auch der Planung und Durchführung der Angeklagten zugrunde gelegen und es sei Sache der Kammer, nicht des Sachverständigen, die Ergebnisse des Gutachtens nach deutschem Recht zu bewerten. Deshalb sei es für die Eignung des Gutachtens unschädlich, dass der britische Sachverständige diesem zu Fragen von Kausalität und Zurechenbarkeit ein nicht dem deutschen Strafrecht entsprechendes Rechtsverständnis zugrunde gelegt habe, so der Senat.
So weit die Theorie des Beschwerdesenats. Die Praxis müssen nun die Richter am LG umsetzen. Sie müssen ein Verfahren führen, dessen Ausgang völlig ungewiss ist. Es wird ein Strafprozess werden, der schon vom Umfang her seinesgleichen suchen wird. Die Kammer ist bisher nicht einmal mit den Akten vertraut. Und 2020 muss alles vorbei sein.
Pia Lorenz, Doch Anklage nach Loveparade-Katastrophe: . In: Legal Tribune Online, 24.04.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/22730 (abgerufen am: 09.12.2024 )
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