Was ist ein Lobbyist? Laut Duden: "Jemand, der Abgeordnete für seine Interessen zu gewinnen sucht". Was ist dann eine Lobby-Kanzlei? Anwälte, die Abgeordnete für die Interessen ihrer Mandanten zu gewinnen suchen? Einig sind sich die Juristen da selbst nicht. Die einen vermeiden den Begriff gänzlich, die anderen werben offensiv damit. Und in Brüssel ist sowieso alles anders als in Berlin.
In Berlin und Brüssel tritt nur eine Kanzlei prominent auf, die sich ausdrücklich selbst Lobby-Kanzlei nennt und bei dem Begriff keine Berührungsängste hat. Das sind Alber & Geiger. Großkanzleien wie Freshfields und Linklaters, die in Deutschland für Aufregung sorgten, weil sie Ministerien bei der Ausarbeitung von Gesetzentwürfen unterstützt haben, zucken hingegen bei der bloßen Erwähnung des Wortes zusammen.
Sie wollen nicht mit Lobby-Arbeit assoziiert werden, die in der deutschen Wahrnehmung stets etwas Anrüchiges, Geheimniskrämerisches, tendenziell Negatives an sich hat. Transparenz ist in Mode. Die Verquickung von Politik und Wirtschaft bedeutet schnell einen Skandal – das jüngste Opfer ist der ehemalige Chef des Kanzleramts Ronald Pofalla.
Auf der Suche nach einer vernünftigen Lösung
Aber stimmt die Lobby-Definition von Alber & Geiger überhaupt mit dem herkömmlichen Sprachgebrauch überein? Wohl eher nicht. Die Kanzlei wird in der Regel im Laufe eines Gesetzgebungsverfahrens tätig. Ihre Mandanten sind meist Unternehmen. Schlägt die EU-Kommission eine Richtlinie oder eine Verordnung vor, die ein Unternehmen betrifft und mit der dieses nicht einverstanden ist, wendet dieses sich an die Kanzlei.
Die Anwälte prüfen den Vorschlag dann in rechtlicher, aber auch in wirtschaftlicher, ökologischer oder politischer Hinsicht. In Memos, die nicht länger als eine Seite sind, listen sie Probleme auf, die sie ausmachen, oder entwerfen eine aus ihrer Sicht vernünftige Lösung. "Wir weisen auf Argumente hin, die wir andernfalls erst in einem späteren Prozess vortragen würden", sagt Kanzlei-Mitgründer Andreas Geiger.
Mit dieser Definition des Lobby-Anwalts hat auch Markus Hartung, Vorsitzender des Berufsrechtsausschusses des Deutschen Anwaltvereins (DAV), kein Problem, der dem Berufsbild grundsätzlich mit vorsichtiger Skepsis begegnet. Denn klassische Aufgabe eines Anwalts sei die Rechtsberatung und nicht die Vertretung wirtschaftlicher Interessen eines Unternehmens gegenüber dem Gesetzgeber.
Was ist noch Rechtsberatung, was bereits Lobbyismus?
Der Vize-Präsident der Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK), Ekkehart Schäfer, hält die Abgrenzung zwischen anwaltlicher Mandatsarbeit und einer Lobby-Tätigkeit von Anwälten für schwierig. Zumal Anwälte per definitionem Interessenvertreter seien. "Wenn man ein Mandat betreut, bei dem es um eine umstrittene Rechtsfrage geht, über die der Bundesgerichtshof demnächst entscheidet, kann es auch zur Mandatsarbeit gehören, jemanden einen Fachaufsatz schreiben zu lassen, in dem die Rechtsfrage im Sinne des Mandanten beurteilt wird", sagt Schäfer. "Auch das könnte man Lobby-Arbeit nennen, weil man damit versucht, auf die Rechtsprechung Einfluss zu nehmen." Auch Anfragen bei Mitarbeitern der EU-Kommission, in welche Richtung sich ein Gesetzgebungsverfahren entwickelt, können Teil der Mandatsarbeit sein.
Ausschlaggebend sei am Ende, ob es um Rechtsfragen eines konkreten Einzelfalls gehe. Die Vertretung wirtschaftlicher Interessen fernab von rechtlichen Problemen sei jedenfalls keine anwaltliche Tätigkeit mehr. "Was nicht heißt, dass Anwälte einer solchen Tätigkeit nicht im Zweitberuf nachgehen dürfen", so Schäfer. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sei das wegen Art. 12 Grundgesetz nur dann ein Problem, wenn der Zweitberuf die Unabhängigkeit des Anwalts gefährde, etwa die ernsthafte Gefahr von Interessenkonflikten bestehe (Urt. v. 04.11.1992, Az. 1 BvR 79/85 u.a.). So dürfen Anwälte zum Beispiel nicht als Makler oder Versicherungsvertreter arbeiten.
"Auf die Anwaltsprivilegien können sie sich in ihrem Zweitberuf allerdings nicht berufen", sagt der BRAK-Vize. Genau dort setzt die Kritik der Initiative Lobby-Control an, die sich für Transparenz und Demokratie einsetzt. Timo Lange aus dem Berliner Büro des Vereins beanstandet, dass Kanzleien klassischen Lobby-Agenturen Konkurrenz machen und dabei ihre anwaltlichen Privilegien wie die Verschwiegenheitspflicht zu ihrem Vorteil ausnutzen. "Das führt zu weniger Transparenz im Lobby-Geschäft." Für einen Anwalt sei Lobbyarbeit ein lukratives Geschäft, ein Zusatzangebot an die Mandanten, um sie so länger zu binden.
2/2: Berlin hinkt hinterher
In Berlin regieren noch die Verbände das Lobby-Geschäft. Kein guter Zustand, meint Geiger. Ein Beispiel für gescheitertes Lobbying – wenngleich auf EU-Ebene – sei die erste Tabakwerberichtlinie. Da habe sich die Branche ganz auf die Arbeit ihres Verbandes verlassen. Am Ende landete die Richtlinie vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH), der sie für nichtig erklärte (Urt. v. 05.10.2010, Az. C-376/98), und die Kommission musste ein neues Gesetzgebungsverfahren einleiten. "Dieses Gerichtsverfahren hätte vermieden werden können", so Geiger.
Alber & Geiger pflegt in der deutschen Hauptstadt dennoch keinen anderen Stil als in Brüssel. Geiger nennt es den Washington-Standard. In den USA gibt es reine Lobby-Firms schon seit den 70-ern. Nach und nach kommt das Geschäftsmodell auch in Brüssel an. Berlin hinkt noch hinterher.
Dort zielt der Lobby-Vorwurf eher auf eine umgekehrte Tätigkeit der Kanzleien. Darauf nämlich, dass diese neben ihrem üblichen Geschäft – der Beratung von Wirtschaftsunternehmen – plötzlich Mandate von Ministerien annehmen und diese bei der Ausarbeitung von Gesetzentwürfen beraten. So arbeitete Freshfields am Finanzmarkstabilisierungsgesetz aus dem Hause Steinbrück mit, und zu Guttenberg beauftragte Linklaters mit einem Entwurf für eine Ergänzung des Kreditwesengesetzes. Gesetzgebungsoutsourcing nennen Kritiker das.
Freshfields: "Gesetze macht das Volk, nicht wir"
Markus Hartung war bis Anfang 2008 Managing Partner bei Linklaters in Deutschland. Er hält es nicht für problematisch, wenn eine Kanzlei im Auftrag eines Ministeriums ihr Know-How in den Gesetzgebungsprozess einbringt. Auch BRAK-Vize Schäfer sieht darin kein Problem: "Das ist Erfahrungswissen, das die Ministerialverwaltung gar nicht haben kann."
Für Wolf Spieth, Partner im Berliner Büro von Freshfields, ist es grundsätzlich ehrenvoll, für den Staat tätig zu werden. Immerhin gehe es um das Gemeinwohl. Lange von Lobby-Control mag allerdings nicht glauben, dass sich Großkanzleien dem öffentlichen Interesse verpflichtet fühlen. Ministerien müssten den Sachverstand schon selbst haben, auch um durchschauen zu können, was ihnen eine Kanzlei im Interesse der Wirtschaft möglicherweise unterschiebt. "Kanzleien sind deshalb nicht der richtige Ort für ein Gesetzgebungsverfahren." Da stimmt ihm Spieth im Grundsatz sogar zu: "Die Gesetze macht am Ende das Volk. Nicht ein Ministerium oder seine Berater."
Schäfer hält den Lobby-Vorwurf an Freshfields und Linklaters für ein großes Missverständnis, wenn nicht gar für eine unhaltbare Unterstellung. Er vergleicht die Tätigkeit der beiden Großkanzleien mit der eines Anwalts, der zunächst für einen Mieter und später für dessen Vermieter tätig wird. "Wenn die konkreten Fälle nichts miteinander zu tun haben, ist das überhaupt kein Problem." Außerdem hätte wohl niemand etwas einzuwenden, wenn ein Anwalt für einen Verein eine Satzung entwirft.
Es gebe keine Anhaltspunkte dafür, dass die Kanzleien bei ihrer Arbeit für die Ministerien Interessen ihrer Wirtschaftsmandanten verfolgt hätten. "Das wäre Parteiverrat." Gegen eine spätere Nutzung des erlangten Wissens sei nichts einzuwenden, solange es sich nicht um geheime Informationen handele.
Mit Transparenz gegen schwarze Schafe
Ob mehr Transparenz gegen den schlechten Ruf auf Dauer helfen wird? Geiger ist sich sicher: "Je transparenter, desto höher die Akzeptanz." Der Brüsseler Anwalt befürwortet auf nationaler wie auf europäischer Ebene ein verpflichtendes Lobby-Register, in das sich auch Anwälte eintragen müssen, soweit sie nicht rein gutachterlich tätig werden, und in dem detailliert nachgewiesen ist, wer wessen Interessen für welche Bezahlung vertritt.
Das dränge schwarze Schafe automatisch aus dem Markt. Die Verschwiegenheitspflicht nutzten heute viele Kanzleien als Ausrede, um sich nicht an einem Lobby-Register zu beteiligen. Das ist auch der Grund, warum Lobby-Control nicht viel von dem Transparenz-Register auf EU-Ebene hält.
Der DAV hat sich zu den Registern noch keine abschließende Meinung gebildet. Sicherlich sei dies eine Möglichkeit zu mehr Transparenz, meint Hartung. Aber ob es auch mit Blick auf das Vertraulichkeitsverhältnis zwischen Mandant und Anwalt die beste Idee ist? Die BRAK lehnt es ab, dass Anwälte ihre Mandatsarbeit veröffentlichen müssen, auch wenn im Einzelfall Lobby-Tätigkeit davon umfasst ist. "Das ist mit der Verschwiegenheitspflicht nicht vereinbar", meint Schäfer.
Geiger geht dagegen sogar noch weiter. Er schlägt vor, dass Abgeordnete Listen führen sollen, in denen verzeichnet ist, wer sich wann wozu bei ihnen gemeldet hat. Am Ende glaubt er aber, dass die Gefahr der Korruption zu hoch eingeschätzt wird. "Heute fliegt im Internet doch eh irgendwann alles auf." Deshalb würden er und seine Kollegen auch nie lügen. Das würde sich nicht bezahlt machen. Der Gesprächspartner müsse ja nur die Gegenseite befragen.
Der Brüsseler Anwalt ist von seiner Arbeit überzeugt. Er hält sie für in der Sache richtig, meint sogar, sie würde dazu beitragen, die Politik weniger demokratiefern zu machen. Das sieht Lobby-Control anders. Am Ende gehe es doch um Einzelinteressen eines Unternehmens, und zwar des zahlungskräftigsten.
Claudia Kornmeier, Lobby-Kanzleien: "Wir lügen niemals" . In: Legal Tribune Online, 23.01.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/10760/ (abgerufen am: 30.09.2023 )
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