Missbrauch des Selbstbestimmungsgesetzes?: Das Gesch­lecht von Marla-Svenja Lie­bich

von Dr. Christian Rath

27.01.2025

Neonazi Sven Liebich hat das Geschlecht gewechselt und heißt jetzt Marla-Svenja. Wie wohl beabsichtigt, hat dies eine Debatte um das Selbstbestimmungsgesetz ausgelöst. Doch das Gesetz ermöglicht sinnvolle Lösungen, findet Christian Rath.

Nie war es so einfach, das Geschlecht zu wechseln wie heute. Seit dem 1. November gilt das neue Selbstbestimmungsgesetz (SBGG). Im Vorfeld gab es durchaus Befürchtungen um einen möglichen Missbrauch des Gesetzes. Doch Trans-Aktivist:innen versicherten, dass damit nicht zu rechnen sei; das hätten Erfahrungen aus anderen europäischen Staaten wie Belgien, Dänemark und Portugal gezeigt.

Doch keine zwei Monate nach Inkrafttreten ist das eingetreten, womit angeblich nicht zu rechnen war. Neonazi Sven Liebich hat durch einfache Erklärung gegenüber dem Standesamt in Schkeuditz sein Geschlecht und den Vornamen geändert. Liebich heißt jetzt offiziell Marla-Svenja. Wie von Liebich vermutlich erwartet, stürzten sich viele Medien auf die Geschichte.

Es wird sich aber wohl zeigen, dass Provokateurspersonen wie Liebich zwar kurzfristig Aufmerksamkeit erhalten, es ihnen aber nicht gelingt, die Legitimität des Gesetzes in Frage zu stellen.

Vom Provokateur zur Provokateurin

Liebich ist seit Jahrzehnten in Halle rechtsextremistisch aktiv. Liebich leitete eine Kameradschaft, meldete Demonstrationen an, hetzte in Blogs und betrieb einen Online-Shop. Dort konnte man etwa einen Baseballschläger mit der Aufschrift "Abschiebehelfer" kaufen. Nun also will Liebich als Frau behandelt werden. Beim Standesamt im sächsischen Schkeuditz, wo Liebich gemeldet ist, ließ die Person Ende letzten Jahres ihren Eintrag im Personenstandsregister und den Vornamen ändern. Kosten: 50 Euro.

Während früher hierzu zwei psychiatrische Sachverständigengutachten vorgelegt werden mussten, genügt seit dem 1. November 2024 eine persönliche Erklärung gegenüber dem Standesamt. So ist es im neuen SBGG der ehemaligen Ampel-Koalition geregelt.

Wohl niemand glaubt, dass die Neonazi-Person das neue Gesetz nutzte, um endlich ihr Coming-Out als Frau zu realisieren. Noch 2023 warnte Liebich vor "Transfaschismus", zuvor hatte Liebich queere Menschen als "Parasiten der Gesellschaft" beschimpft.

Als brisant gilt vielen Medien, dass Liebich möglicherweise bald eine erste Haftstrafe verbüßen muss. Bisher war Liebich immer mit Verfahrenseinstellungen, Geld- oder Bewährungsstrafen davongekommen. Doch das Landgericht Halle hat Liebich im letzten Sommer wegen 18 Fällen von Volksverhetzung und anderer Äußerungsdelikte zu einer achtzehnmonatigen Freiheitsstrafe ohne Bewährung verurteilt. Das Urteil ist aber noch nicht rechtskräftig; Liebich hat Revision beim Oberlandesgericht Naumburg eingelegt, über die noch nicht entschieden ist.

Eine weitere Haftstafe droht Liebich in Leipzig. Dort sprach das Amtsgericht im Vorjahr eine Freiheitsstrafe von sieben Monaten ohne Bewährung aus, weil Liebich bei einer Corona-Demonstration gemeinsam mit anderen einen Fotografen angegriffen hatte. Hier fehlt noch das Berufungsurteil des Landgerichts Leipzig.

Verbüßt Liebich die Haftstrafen im Frauengefängnis?

In beiden Fällen gilt: Die Änderung von Liebichs Personenstand verändert nichts an seiner strafrechtlichen Verantwortlichkeit. Sollten die Verurteilungen aber bestehen bleiben, dann wäre zu klären, in welcher Vollzugsanstalt Marla-Svenja Liebich die Strafen verbüßen muss.

Diese Frage ist nicht neu und keine Folge des SBGG, auch bisher gab es trans Personen im Strafvollzug. Und auch bisher schon gab es trans Frauen mit Penis, die im Frauengefängnis einsitzen, weil sie sich als Frauen fühlen. Wie bisher handelt es sich jeweils um Einzelfall-Entscheidungen der Strafvollstreckungsbehörden. Das Justizministerium in Sachsen-Anhalt betont, dass es weder einen Automatismus gebe, noch die betroffene Person ein Wahlrecht habe. Bei Gesprächen vor Haftantritt werde auch geprüft, ob eine "missbräuchliche" Änderung des Personenstandes vorliegt.

Eine Umfrage der Zeitung Welt bei Landesjustizministerien sorgte jüngst für Besorgnis. Danach gab es in den letzten Jahren vier sexuell motivierte Übergriffe auf weibliche Mitgefangene durch zwei trans Frauen in Sachsen und Niedersachsen. Auch wegen solcher Vorfälle wird die Justiz die Provokateursperson Liebich wohl kaum in einem Frauengefängnis unterbringen.

Warum es das Selbstbestimmungsgesetz gibt

Niemand weiß genau, wie viele trans Personen in Deutschland leben. Die Schätzungen reichen von einigen tausend bis zu Hunderttausenden. Sie fühlen sich als Frau, obwohl ihnen bei der Geburt anhand äußerer Merkmale das männliche Geschlecht zugewiesen wurde – und umgekehrt.

Völlig neu ist die Möglichkeit des Geschlechtswechsels nicht. Schon seit 1981 gab es das Transsexuellengesetz (TSG), das Geschlechtsänderungen erlaubte. Den Betroffenen sollte ermöglicht werden, einen Ausweis vorzuzeigen, der zu ihrer Identität und ihrem Erscheinungsbild als Mann oder Frau passt. Das deutsche TSG war damals eines der ersten weltweit und galt als fortschrittliches Gesetz.

Im Lauf der Jahrzehnte zeigte sich aber, dass das Gesetz unnötig streng war. Vor der Änderung des Geschlechtseintrags verlangte es u.a. die Scheidung vom Ehepartner und die Sterilisation. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) beanstandete das in mehreren Entscheidungen (u.a. Beschluss vom 27.05.2008, Az. 1 BvL 10/05 und Beschluss vom 11.01.2011, Az. 1 BvR 3295/07) und sorgte damit bereits für eine gewisse Liberalisierung.

Allerdings verlangte das TSG zuletzt immer noch zwei Sachverständigengutachten als Voraussetzung für die Änderung des Geschlechtseintrags. Auch das BVerfG hatte dies nicht moniert. Teilweise wurden dabei auch intime Fragen gestellt, etwa nach den sexuellen Vorlieben, der getragenen Unterwäsche und den Selbstbefriedigungspraktiken. Betroffene empfanden das als entwürdigend.

Mit dem "Gesetz über die Selbstbestimmung in Bezug auf den Geschlechtseintrag", wie das SBGG offiziell heißt, wurde die Geschlechtsänderung nun radikal vereinfacht. Es sind keine Gutachten mehr erforderlich und auch das Standesamt hat keine Prüfpflicht vor der Änderung des Personenstandsregisters. Es genügt gem. § 2 Abs. 2 SBGG die Versicherung der Person, "dass der gewählte Geschlechtseintrag beziehungsweise die Streichung des Geschlechtseintrags ihrer Geschlechtsidentität am besten entspricht".

Vorkehrungen gegen Missbrauch

Der CDU/CSU ging das zu weit. Sie war zwar zu Erleichterungen bereit, eine "vorausetzungslose Änderung des Geschlechtseintrags" lehnte sie jedoch ab, so die CDU-Abgeordnete Mareike Lotte Wulf im Bundestag. "Möglichem Missbrauch wird hier nichts entgegengesetzt." Die FDP-Abgeordnete Katrin Helling-Plahr entgegnete: "In diesem Gesetz ist kein Detail, keine Eventualität unbedacht und jede Sorge ernst genommen."

Tatsächlich sind im SBGG zahlreiche Sicherungen eingebaut. So kann das Geschlecht nicht spontan aus einer Bierlaune heraus geändert werden. Vielmehr muss der Antrag gem. § 4 SBGG drei Monate vorab gestellt werden. Auch ein kurzfristiger Geschlechterwechsel für einzelne Anlässe ist nicht möglich. Nach einer Änderung ist ein neuer Antrag frühestens nach einem Jahr möglich, so § 5 SBGG.

Zudem gibt es Ausnahmen: Im Spannungs- und Verteidigungsfall ist gem. § 9 SBGG keine Geschlechtsänderung möglich, damit die Wehrpflicht nicht einfach unterlaufen werden kann. Und bei Ausländer:innen verliert die Geschlechtsänderung gem. § 2 Abs. 4 SBGG ihre Wirkung, wenn damit eine zeitlich naheliegende Abschiebung beeinträchtigt werden könnte. So soll wohl vermieden werden, dass das Herkunftsland die Aufnahme verweigert, weil es sich nun um eine andere Person handele.

Außerdem begründen Geschlechtsänderungen keinen Automatismus bei den Rechtsfolgen. Das wird in § 6 Abs. 3 SBGG etwa für den Sport betont. Ein Mann kann nicht durch bloßen Registereintrag als Frau bei Frauen-Wettkämpfen antreten, um dort bessere Platzierungen zu erzielen. Auch besteht nach einer Geschlechtsänderung kein automatischer Zugang zu Frauenschutzräumen, etwa Frauenhäusern. § 6 Abs. 2 SBGG betont viel mehr, dass hier das Hausrecht gilt, dass also die Betreiber bestimmen, wen sie aufnehmen.

Der Schutz vor Missbrauch findet also nicht mehr bei der Geschlechtsänderung statt, die einfach möglich ist, sondern im jeweiligen Anwendungsfall. Der neue Ausweis ist leicht zu erhalten und ermöglicht es einer trans Frau, mit weiblichem Vornamen im Ausweis ohne lange Erklärung zum Beispiel ein Päckchen auf der Post abzuholen. Aber ein Mann, der provozieren will, kommt mit diesem neuen weiblichen Ausweis eben nicht in die Frauensauna.

Marla-Svenja Liebich verlangt Schadensersatz

Marla-Svenja Liebich hat sich bisher zu den Vorwürfen, nur das Gesetz lächerlich machen zu wollen, nicht geäußert. Auch Liebichs Anwaltskanzlei reagiert nicht auf Anfragen. Aber vermutlich freut sich die Provokateursperson, dass sie nun von vielen in den sozialen Netzwerken als neuer Eulenspiegel gefeiert wird. Liebich wird von Fans sogar als "schönste Frau der Welt" tituliert.

Neben dem Versuch, das SBGG als absurd darzustellen, könnte Liebich aber auch ein neues Geschäftsmodell wittern. Eine beauftragte Anwaltskanzlei mahnt jedenfalls reihenweise Medien ab, die den bisherigen Vornamen "Sven" erwähnen. Unter Bezug auf § 13 SBGG – das Verbot, den so genannten "deadname" zu offenbaren – verlangt die Kanzlei in der Regel jeweils 15.000 Euro Schmerzensgeld.

Vermutlich werden die Gerichte bei dem Manöver aber nicht mitmachen. Schließlich darf laut § 13 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SBGG der ehemalige Vornamen durchaus genannt werden, wenn ein "öffentliches Interesse" daran besteht. Und dass hier ein (auch politisches) öffentliches Interesse besteht, dürfte außer Frage stehen. Es ist schließlich die erste öffentliche Bewährungsprobe des neuen Gesetzes. Und Sven Liebich war eine Person des öffentlichen Lebens.

Umgang mit echten trans Frauen

Verärgert reagieren nicht zuletzt die ernsthaften Trans-Aktivisten. Liebich nähre den "Generalverdacht" gegen transgeschlechtliche Frauen, heißt es etwa in einer Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Trans*. und Inter*-Geschlechtlichkeit (dgit).

Tatsächlich ist die eigentlich spannende Frage nicht der Umgang mit Provokateurspersonen wie Liebich, sondern der Umgang mit echten trans Frauen. Manche Feministinnen wie Alice Schwarzer lehnen es generell ab, unoperierte trans Frauen in Frauenschutzräume aufzunehmen, unter anderem weil die Nähe von Menschen mit Penis verunsichernd und retraumatisierend auf weibliche Opfer von männlicher Gewalt wirken könne. Dagegen unterstützte der Deutsche Frauenrat, dem über 60 Organisationen angehören, das SBGG. Trans Frauen seien oft selbst Opfer von Gewalt und keine potenziellen Täterinnen.

In der Praxis nehmen die meisten Frauenhäuser auch bisher schon trans Frauen auf, wenn diese schutzbedürftig sind. Dies ist also keine Folge des SBGG. Meist werden aber pragmatische Lösungen gefunden, etwa die Unterbringung in einer separaten Einzelwohnung. Die Aufregung um Liebich dürfte einen sachlichen Umgang eher erschwert haben.

Zitiervorschlag

Missbrauch des Selbstbestimmungsgesetzes?: . In: Legal Tribune Online, 27.01.2025 , https://www.lto.de/persistent/a_id/56442 (abgerufen am: 17.03.2025 )

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