Libyen und die Einrichtung einer Such-und Rettungszone: Die (Un-)Frei­heit der hohen See

von Dr. Suzette V. Suarez (LL.M.)

12.10.2017

Libyen hat einseitig eine Such- und Rettungszone vor der eigenen Küste ausgerufen. Der Wissenschaftliche Dienst sieht darin Verstöße gegen das Völkerrecht. Dabei hat er nicht einmal alle Probleme aufgeführt, erklärt Suzette Suarez.

Im August 2017 verkündete die libysche Marine die Ausweisung einer „Such- und Rettungszone“ von rund 74 Seemeilen, das sind gut 140 Kilometer, vor der Küste des nordafrikanischen Landes. Hintergrund dieser Maßnahme war der anhaltende Streit um den Einsatz von Rettungsschiffen von Nichtregierungsorganisationen (non governmental organisation, NGO) vor der libyschen Küste. Mit der Ausweisung der Such und Rettungszone (Search and Rescue, SAR Zone) erklärte sich Libyen für allein zuständig in Bezug auf die Rettung und Bergung von Schiffbrüchigen in diesem Gebiet.

Die Rechtmäßigkeit dieser einseitigen Erklärung haben Kommentatoren mit Blick auf das Seevölkerrecht bereits angezweifelt. Unter anderem hat der wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestags ein Sachstandsgutachten angefertigt, das eine Reihe von Konfliktpunkten auflistet. Doch die libysche Erklärung ist – auch vor dem Hintergrund der dramatischen humanitären Notfallsituation - juristisch noch deutlich komplexer.

Einseitige Einrichtung einer SAR-Zone

Grundsätzlich kann die libysche Regierung eine SAR-Zone ausweisen. Das ist rechtlich möglich aufgrund der International Convention on Maritime Search and Rescue Convention (SAR-Konvention), die 1979 in Hamburg verabschiedet wurde. Libyen trat dem Abkommen im Jahr 2016 bei. Nach dem Abkommen muss das Land sogar eine effiziente Seenotrettung in seinen Gewässern gewährleisten.

Allerdings verpflichtet die SAR-Konvention seine Mitglieder auch, die Rettungsaktivitäten und Planungen mit den Nachbarstaaten abzustimmen und zu koordinieren, um grenzübergreifende Effizienz und eine lückenlose Abdeckung sicherzustellen. Die einseitige Einrichtung einer SAR-Zone, wie es Libyen offenbar gemacht hat, lässt jedoch Zweifel aufkommen, dass das Land die Plicht zur nachbarschaftlichen SAR Kooperation eingehalten hat.

SAR-Zone und Meereszonen

Innerhalb der SAR-Zonen gelten neben den Regeln der SAR-Konvention auch die Regeln des Seerechtsübereinkommens (SRÜ) der Vereinten Nationen. Danach sind die Meere in verschiedene Zonen aufgeteilt: das Küstenmeer (Territorialgewässer, bis max. 12 Seemeilen), die Anschlusszone (bis max. 24 Seemeilen) und die ausschließliche Wirtschaftszone (bis 200 Seemeilen). Die von Libyen auf 74 Seemeilen festgelegte SAR-Zone erschreckt sich also auf alle drei Meereszonen mit unterschiedlichen Befugnissen der Länder.

So hängt etwa das Recht, die Navigationsfreiheit von Schiffen – und damit auch von Seenotrettungsschiffen von Organisationen wie z.B. "Jugend rettet" oder "Ärzte ohne Grenzen" – einzuschränken, in erster Linie von der Position des Schiffes ab.

Rettung bei friedlicher Durchfahrt

Befindet sich das Schiff im Küstenmeer, so hat es grundsätzlich das im SRÜ festgelegte Recht zur friedlichen Durchfahrt. Dies gilt auch für eine Unterbrechung der Fahrt zur Hilfeleistung für in Seenot geratenen Personen. Umstritten ist allerdings, ob das Recht zur friedlichen Durchfahrt genutzt werden kann, um im Küstenmeer zu patrouillieren.

Das Bundestaggutachten hat jedoch nicht darauf hingewiesen, dass Libyen als Küstenstaat das Recht zusteht, die Ladung und Entladung von der Flüchtlingen im Küstenmeer zwischen Hilfsschiffen und Schleppern als illegale Einreise zu charakterisieren. Dies wäre dann eine Durchfahrt, die nicht friedlich nach Artikel 19, Absatz 2.g SRÜ ist. Wenn eine Durchfahrt nicht friedlich ist, darf ein Küstenstaat erforderlichen Maßnahmen ergreifen. Was diese erforderlichen Maßnahmen konkret sind, ist im SRÜ nicht spezifiziert. In der der Fachliteratur wird die Verwendung oder Androhung der Anwendung von Gewalt gegen fremde Schiffe jedoch als unverhältnismäßig angesehen.

Ein konkreter Seenotfall ändert jedoch diese generelle Rechtslage, denn es besteht eine Pflicht zur Seenotrettung. Diese Pflicht berechtigt Schiffe auch, zum Zweck der Seenotrettung spontane in das Küstenmeer einzufahren. Einfahrende Schiffe müssten zwar grundsätzlich der libyschen Küstenwache ein entsprechendes Ersuchen übermitteln. Bei Gefahr im Verzug darf das einfahrende Rettungsschiff eine fehlende Zustimmung der Küstenwache jedoch übergehen. Umgekehrt darf in diesem Fall die Küstenwache die Einfahrt eines ausländischen Schiffes ins Küstenmeer nicht mit Waffengewalt verhindern.

Zitiervorschlag

Dr. Suzette V. Suarez (LL.M.), Libyen und die Einrichtung einer Such-und Rettungszone: Die (Un-)Freiheit der hohen See . In: Legal Tribune Online, 12.10.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/24975/ (abgerufen am: 28.03.2024 )

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