Vor dem LG München I hat Claudia Pechstein verloren – ebenso wie zuvor vor dem CAS und dem Bundesgericht in der Schweiz. Ihre wenig überraschende Niederlage verkauften die Prozessvertreter jedoch als halben Sieg, weil das LG die Schiedsvereinbarung als unwirksam eingestuft und damit das gesamte System der Sportgerichtsbarkeit in Frage gestellt habe. Eine merkwürdige Vorstellung von dem, was einen Sieg ausmacht, findet Jens Adolphsen.
Keine Frage, das Urteil des Landgerichts (LG) München I ist in der Sache eine Niederlage für Pechstein: Von den geforderten 3,9 Millionen erhält sie nicht einen Cent und muss obendrein die Verfahrenskosten tragen, wenn sie nicht die Berufung riskiert. Zu ihrer Entscheidung ist die Münchener Kammer jedoch mit einer bemerkenswerten Begründung gelangt. Denn einerseits sieht sie sich durch ein Urteil des Sportschiedsgerichts CAS gebunden, welches die Klage Pechsteins bereits abgewiesen hatte. Andererseits sei aber die Schiedsvereinbarung, auf Grund derer das CAS tätig wurde, nichtig. Als Folge dieser Nichtigkeit hat sich das LG denn überhaupt für zuständig befunden, selbst ein Urteil zu fällen (v. 26.02.2014, Az. 37 O 28331/12).
Das scheint nur auf den ersten Blick widersprüchlich. Denn zu dem Zeitpunkt, als die Vereinbarung geschlossen wurde, habe ein strukturelles Ungleichgewicht zwischen Pechstein als einzelner Athletin und dem ungleich mächtigeren Eislauf-Weltverband ISU bestanden. Letzterer habe die Unterzeichnung praktisch erzwingen können. Als es jedoch später zum Streit und letztlich zum Verfahren vor dem Sportschiedsgericht CAS gekommen sei, hätte die anwaltlich beratene Pechstein die Wirksamkeit der Schiedsklausel mit genau dieser Argumentation bestreiten können – habe sie aber nicht. Die Schiedsklausel erst im Nachhinein, nachdem der Schiedsspruch zu ihren Ungunsten ausfiel, wegen eines strukturellen Ungleichgewichts bei ihrer Unterzeichnung anzugreifen, sei indes unzulässig, obwohl der Angriff als solcher treffend geführt sei.
Ein sorgfältig begründetes und hochbrisantes Urteil
Das Urteil des LG ist sorgfältig begründet. Um zu den vorstehenden Schlüssen zu gelangen, hatte das Gericht eine Fülle von komplexen Rechtsfragen zu entscheiden, angefangen bei dem auf die verschiedenen Schiedsvereinbarungen anwendbaren Recht bis hin zur Anerkennung des Schiedsspruchs des CAS in Deutschland. Der sicherlich brisanteste Teil ist aber die Einschätzung, dass die Schiedsvereinbarung zwischen Pechstein und dem ISU nichtig sei. Denn solche oder ähnliche Vereinbarungen gibt es in nahezu allen Bereichen des Sports, und der einzelne Athlet ist immer in einer schwächeren Verhandlungsposition als der Verband, bei dem er unterzeichnet. Wenn die Ansicht des LG sich also durchsetzen sollte, würde damit ein Aus für die gesamte Sportschiedsgerichtsbarkeit drohen.
Dabei wäre es durchaus möglich gewesen, auch in eine andere Richtung zu entscheiden. Dass Pechstein die Schiedsvereinbarung zunächst hinnahm, nun aber ihre Gültigkeit bestreitet, hätte das Gericht als widersprüchliches Verhalten werten und die Klage aus diesem Grunde abweisen können. Immerhin hat Pechstein weder vor dem CAS, noch im Aufhebungs- und Revisionsverfahren vor dem Schweizerischen Bundesgericht die Unwirksamkeit der Schiedsvereinbarung geltend gemacht. Es liegt nicht fern, darin die Schaffung eines Vertrauenstatbestands zu erblicken.
2/2: Die Vereinbarung mit dem DESG: nichtig nach § 138 BGB
Problematischer sind indes die Begründungen, mit denen das Gericht die Schiedseinrede zurückweist und seine Zuständigkeit annimmt. Die Schiedsvereinbarung mit der Deutschen Eisschnelllauf-Gemeinschaft (DESG) beurteilt das Gericht zutreffend am deutschen, die mit der ISU am Schweizer Recht. Die deutsche Schiedsvereinbarung sei gem. § 138 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) nichtig, weil eine strukturelle Unterlegenheit Pechsteins beim Abschluss vorgelegen habe. Dabei hat das Gericht zwar erkannt, letztlich aber nicht berücksichtigt, dass derartige Schiedsvereinbarungen für die Einheitlichkeit der Anwendung der sportlichen Regelwerke notwendig sind. Wörtlich führt das Urteil aus: "Die Kammer verkennt nicht, dass der Sportbetrieb von einer einheitlichen Sportgerichtsbarkeit profitieren mag."
Diese Erwägungen könnten aber mangels gesetzlicher Grundlage nicht als Rechtfertigung für die Verletzung des Justizgewährungsanspruchs des konkret betroffenen Sportlers herangezogen werden. Diese Prämisse ist nicht überzeugend. Zwar ist es sicher nicht in erster Linie Sache nationaler staatlicher Gerichte, den weltweit geltenden sportlichen Gleichheitsgrundsatz zu wahren. Gleichwohl ist es staatlichen Gerichten keineswegs fremd, die internationale Bedeutung eigener Urteile zu berücksichtigen. Dass sich die Bundesrepublik Deutschland völkervertraglich durch das UNESCO-Übereinkommen gegen Doping verpflichtet hat, den WADA Code zu effektuieren, der den Gang vor Schiedsgerichte zwingend vorschreibt, bleibt dabei unerwähnt.
Die Vereinbarung mit der ISU: LG glaubt, Schweizer Recht besser zu kennen als höchstes Gericht der Schweiz
Fragwürdiger ist aber die Nichtanerkennung der Schiedsvereinbarung mit der ISU, die nicht deutschem, sondern schweizerischem Recht unterliegt. Hier muss das Gericht das schweizerische Recht so anwenden, wie es ein Schweizer Gericht täte. Das Schweizer Bundesgericht hält aber derartige unfreiwillige Schiedsvereinbarung in ständiger Rechtsprechung für rechtmäßig und fordert nur, dass ein Rechtsmittel in Form der Aufhebungsklage bestehen bleiben muss.
Das sieht das LG zwar auch, meint aber, dass vor dem Hintergrund der Verfahrensgarantien der Europäischen Menschenrechts Konvention (EMRK), die die Schweiz ratifiziert hätte, diese Ansicht nicht haltbar sei. Damit schiebt ein erstinstanzliches deutsches Gericht, das Schweizer Recht anwendet, die Rechtsprechung des für dieses Recht primär zuständigen höchsten Gerichts einfach beiseite. Das ist gelinde gesagt mutig. Die Überlegungen zur EMRK tragen dann aber die Folgerungen der Unwirksamkeit nicht – die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) zu dieser Frage ist hier doch komplexer.
Sportschiedsgerichtsbarkeit: Sinnvoll, trotz gegenwärtiger Unsicherheit
Unmittelbare rechtliche Folgen hat das Urteil nicht. Auch wenn es rechtskräftig wird, ist die Zuständigkeitsentscheidung und damit die Beurteilung der Schiedsvereinbarungen schon im Verhältnis von Pechstein zu den Verbänden nicht von der Rechtskraft erfasst. Damit bleiben alle Schiedsvereinbarungen anderer Sportler bestehen. Sollte das Oberlandesgericht (OLG) München angerufen werden, kann dieses zu einer anderen Beurteilung der Schiedsvereinbarungen kommen – vorausgesetzt, Pechstein legt Berufung ein. Der durch das Urteil betroffene Gesamtsport muss zuschauen.
Auch wenn man das Urteil nicht für richtig hält, zeigt das Verfahren doch, dass in Deutschland enorme Unsicherheit besteht, wie man die sinnvolle Schiedsgerichtsbarkeit im Sport etablieren kann. Es besteht offenbar ein erhebliches Informationsdefizit bei den Sportlern, welche Vorteile die Schiedsgerichtsbarkeit für den einzelnen Sportler und den Gesamtsport hat. Pechstein und die Gewerkschaft der Polizei haben während des Verfahrens durch ihre Erklärungen, die zum Großteil juristisch unzutreffend und verquer waren, zu einer massiven Verunsicherung beigetragen. Die Verbände müssen die Sportler in Zukunft aufklären und, wenn irgend möglich, das System auf eine freiwillige Grundlage stellen, denn mit den Worten des LG München I: "Der Sportbetrieb profitiert von einer einheitlichen Sportgerichtsbarkeit."
Der Autor Prof. Dr. Jens Adolphsen ist Inhaber des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht, Nationales und Internationales Zivilverfahrensrecht und Sportrecht an der Justus-Liebig-Universität Gießen.
Prof. Dr. Jens Adolphsen, LG München I zu Claudia Pechstein: Das Aus für die Sportschiedsgerichtsbarkeit? . In: Legal Tribune Online, 28.02.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/11197/ (abgerufen am: 03.10.2023 )
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