Der Bestechungs-Prozess gegen den Formel-1-Chef endete mit einer Einstellung gegen eine Rekordzahlung von 100 Millionen US-Dollar. Zwar ist die Einstellung eines Strafverfahrens gegen eine Geldauflage nicht unüblich, die Summe, die Ecclestone nun zahlen muss, aber ist es. Haben Staatsanwaltschaft und Landgericht hier noch nach den Regeln der StPO agiert oder schon nach den Gesetzen des Basars?
Die Einstellung des Strafverfahrens gegen Ecclestone gegen eine Auflage von 100 Millionen Dollar mag unpopulär sein, eine Privilegierung eines vermögenden Beschuldigten ist sie jedoch nicht. Ein Verfahren abzukürzen, dessen Ausgang in jeder Beziehung ungewiss erschien, ist auch keine Pervertierung der Einstellungsvorschriften, sondern entspricht deren Zweck, meint Michael Kubiciel.
Der Aufschrei ließ nicht lange auf sich warten. Kaum war durchgesickert, dass Staatsanwaltschaft und Landgericht das Strafverfahren gegen Bernie Ecclestone gegen eine Auflage einzustellen beabsichtigen, sprachen Heribert Prantl (Süddeutsche Zeitung) und Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) von einer "Frechheit". Nach dieser "Verzerrung" der schon für sich "fragwürdigen" Regeln stehe "die" Gerechtigkeit "dumm da", meinte Prantl. Er dürfte damit einem in der Bevölkerung weit verbreiteten Gefühl Ausdruck verliehen haben.
Rechtspraktiker wissen hingegen, dass die Gerechtigkeit eine schwer zu handhabende Kategorie ist. Rechtstheoretiker fassen diesen Begriff ohnehin nur mit spitzen Fingern an. Sie gehen mit dem Rechtsphilosophen Gustav Radbruch davon aus, dass Gerechtigkeit waltet, wenn Gerichte und Staatsanwaltschaften lege artis Rechtsregeln anwenden, die das Ziel der Gerechtigkeit im Blick haben, auch wenn es mit ihrer Hilfe nicht in jedem Fall erreicht werden kann. Damit stellen sich zwei Fragen: Haben Staatsanwaltschaften und Gerichte das geltende Recht richtig angewendet? Sind die strafprozessualen Regeln über die Einstellung unter Auflagen und die verfahrensbeendende Absprache gerecht? Die Antwort auf beide Fragen lautet: ja.
Gericht und Staatsanwaltschaften wählten richtigen Weg
Nach den teils widersprüchlichen Aussagen des Hauptbelastungszeugen und dessen nicht unerheblichen Erinnerungslücken stand die Staatsanwaltschaft München vor einer schwierigen Entscheidung: Sollte sie den Prozess mit einer verkleinerten Anklage fortsetzen und damit die Möglichkeit der Verurteilung offen halten? Oder sollte sie der Einstellung des Verfahrens ohne Urteil, aber gegen eine immense Geldauflage zustimmen? Die Staatsanwaltschaft hat sich klugerweise für die zweite Option erschienen.
Offenbar war es nach dem Verlauf der Beweisaufnahme ungewiss geworden, ob sich überhaupt ein Tatvorwurf gerichts- und revisionsfest würde beweisen lassen: Die Aussagen des Hauptbelastungszeugen Gerhard Gribkowsky zur Unrechtsvereinbarung mit Ecclestone, die für die Verurteilung wegen Bestechung notwendig ist, waren dürftig. Zudem hätte Ecclestone zumindest in der Laiensphäre nachvollziehen müssen, dass der Bankmanager Gribkowsky einem Beamten gleichzustellen ist, weil er für ein staatseigenes Kreditinstitut tätig war; Landesbanken gibt es in England nicht. Auch eine Verurteilung wegen Anstiftung zur Untreue erschien nach der bisherigen Beweisaufnahme unwahrscheinlich, zumal ohne die Vermittlung Ecclestones nicht jene Transaktion zustande gekommen wäre, die der BayernLB ein "Traumergebnis" beschert hatte.
Unabhängig davon hätte die Dauer des Verfahrens bei einer Fortführung des Prozesses ein kritisches Ausmaß erreichen können. Denn auf eine Verurteilung Ecclestones wäre mit einiger Sicherheit eine Revision gefolgt. Eine zusätzliche Verfahrensdauer von zwei Jahren oder mehr ist bei einem fast 84-jährigen Angeklagten eine durchaus relevante Größe. Ecclestone mag heute verhandlungsfähig und in der Lage sein, die Geschäfte der "Formula-One-Group" zu führen.
Ob ihm aber in zwei Jahren noch die Vollstreckung einer Freiheitsstrafe zugemutet werden kann, steht auf einem anderen Blatt. Möglicherweise wäre das Verfahren aus Altersgründen eingestellt oder von der Strafvollstreckung abgesehen worden, wenn am Ende kein Freispruch gestanden hätte und der Steuerzahler die Kosten des Verfahrens hätte tragen müssen – ein Resultat, für das die Staatsanwaltschaft Hannover im Wulff-Verfahren unlängst heftig kritisiert worden ist. Angesichts dieser Unwägbarkeiten ist es verfahrenstaktisch verständlich, dass die Staatsanwaltschaft nicht Vabanque gespielt, sondern sich mit dem Erreichbaren begnügt: einer Einstellung unter einer erheblichen Auflage.
Keine "Verzerrung" der Regeln
Das Strafverfahrensrecht ermöglicht diese Lösung ohne die von dem Journalisten Prantl beklagten "Verzerrungen". Dafür bietet das Gesetz mehrere Möglichkeiten: Mittels einer Verständigung nach § 257c Strafprozessordnung (StPO) lässt sich vereinbaren, dass der Angeklagte den geringeren Teil des Anklagevorwurfs gesteht (etwa: Bestechung im geschäftlichen Verkehr) und die Staatsanwaltschaft im Gegenzug den gewichtigeren Teil (etwa: Bestechung und Anstiftung zur Untreue) fallen lässt.
Staatsanwaltschaft und Angeklagter minimieren so ihr jeweiliges Prozessrisiko und erzielen einen zusätzlichen Gewinn: Die Staatsanwaltschaft hat zumindest einen Teil ihrer Anklage halten können, während sich der Angeklagte nur noch mit einem geringeren Schuldvorwurf konfrontiert sieht. Die Verfahrensbeteiligten können aber auch ohne einen solchen Deal zu dem Ergebnis kommen, dass sich nach dem Stand der Hauptverhandlung allenfalls eine Bestechung im geschäftlichen Verkehr, nicht aber eine Bestechung oder Anstiftung zur Untreue beweisen lässt.
Steht die Schwere dieses Schuldvorwurfs einer Einstellung gegen eine Auflage nicht entgegen, kann das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung durch die Wiedergutmachung des Schadens oder mit der Zahlung eines Geldbetrages zugunsten einer gemeinnützigen Einrichtung beseitigt werden, § 153a Abs. 1 Nr. 1 und 2, Abs. 2 StPO.
Keine Privilegierung Vermögender
Auf den ersten Blick mag es widersprüchlich erscheinen, wenn einerseits von einer geringen oder mittleren Schuld des Angeklagten ausgegangen, andererseits aber vereinbart wird, dass Auflagen in einer Gesamthöhe von rund 100 Millionen Dollar das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung beseitigen sollen. Doch spiegelt die Höhe der Geldzahlung nicht den angerichteten Schaden oder gar die Schuld des Angeklagten, sondern richtet sich nach dessen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen.
Einem vermögenden Angeklagten werden daher höhere Zahlungen auferlegt als einem Normalverdiener. Es kann keine Rede davon sein, dass sich Ecclestone aufgrund seines Vermögens freikaufen konnte. Hätte ein motorsportbegeisterter pensionierter Automechaniker den BayernLB-Vorstand Gribkowsky mit einer Flasche Sekt für seine Zwecke gewonnen, wäre auch dieses Verfahren gegen eine – erheblich geringere – Auflage eingestellt worden.
Leutheusser-Schnarrenberger – bis vor einigen Monaten selbst Bundesjustizministerin – forderte mit Blick auf das Verfahren gegen Ecclestone eine rasche Änderung des Strafprozessrechts. Fortan sollten Verfahren schwerer Kriminalität, in denen dem Angeklagten bis zu zehn Jahre Haft drohten, nicht mehr unter Auflagen eingestellt werden dürfen.
Doch das ist schon heute geltendes Recht: Denn wenn vom Anklagevorwurf nur noch ein geringer Teil (im Münchener Fall etwa: eine Bestechung im geschäftlichen Verkehr) übrig bleibt, ist Gegenstand des Verfahrens nur noch ein Fall mittlerer Kriminalität. Auf diesen kann § 153a StPO nach dem Willen des Gesetzgebers angewendet werden. Dahinter steckt die Überlegung, dass die Dichotomie von "echter Strafe und glattem Freispruch" (Joachim Jahn in der FAZ) der Komplexität vieler Strafverfahren, keineswegs nur aus dem White-Collar-Bereich, nicht gerecht wird. Es ist daher grundsätzlich richtig, dass Vorschriften wie § 153a StPO mit Hilfe eines diversifizierten Sanktionenprogramms einen Ausgleich zwischen Justizökonomie und Gerechtigkeit erlauben, wenn sich die Suche nach "der" materiellen Wahrheit im prozessualen Grau verliert.
Sport und Compliance
Kriminalpolitisch lehrt der Formel-Eins-Fall etwas anderes: Das Strafrecht ist zwar kein Allheilmittel zur Bekämpfung der Korruption. Insbesondere in dem besonders korruptionsaffinen Bereich sportlicher Großereignisse entfaltet das Strafrecht bislang zu wenig Wirkung. Das hat nicht in erster Linie mit Nachweisschwierigkeiten zu tun. Vor allem fehlt vielen Sportfunktionären jenes Gespür für die Bedeutung von Rechtstreue und Compliance, das in großen und mittleren Unternehmen inzwischen gewachsen ist.
Sportvereine und -verbände, die sich in wirtschaftlicher Hinsicht gerne mit Unternehmen vergleichen, sollten von den Antikorruptionsmaßnahmen der Wirtschaft lernen. Siemens, Daimler, Audi und andere Unternehmen zeigen jedenfalls, dass wirtschaftlicher Erfolg und Compliance miteinander vereinbar werden kann. Weshalb dies für die Formel Eins, die Fifa und große Fußballvereine nicht gelten soll, ist unerfindlich.
Der Autor Professor Dr. Michael Kubiciel ist Geschäftsführender Direktor des Instituts für Strafrecht und Strafprozessrecht der Universität zu Köln und Inhaber des Lehrstuhls für Strafrecht, Strafrechtstheorie und Strafrechtsvergleichung. Er forscht u.a. zu Fragen des (internationalen) Wirtschaftsstrafrechts, insbesondere zur grenzüberschreitenden Korruption.
Die Strafjustiz scheint beim Einsatz arbeitssparender Erledigungsformen kaum noch Grenzen zu kennen. In der Einstellung des Ecclestone-Verfahrens liegt eine bedauerliche Abwendung von einer gesetzmäßig vorgehenden Strafjustiz, die absehbare Freisprüche klar ausspricht und nicht primär auf den Staatshaushalt schaut, meint Karsten Gaede.
Eine gerechte Strafjustiz bemüht sich, alle Angeklagten nach gleichen Maßstäben zu behandeln. Ohne Ansehung der Person prüft in unserem Rechtsstaat zunächst die Staatsanwaltschaft, ob der Vorwurf einer Straftat berechtigt ist. Hat der Vorwurf Hand und Fuß, muss das Gericht in einer öffentlichen Hauptverhandlung alle Beweise wägen und über Schuld und Strafe verbindlich entscheiden.
Da der Staat nicht mit Kanonen auf Spatzen schießen darf, muss seine Strafjustiz verhältnismäßig agieren. Sie muss vor allem bei weniger schweren Vorwürfen bedenken, dass schon die oft langen und entbehrungsreichen Verfahren den Angeklagten belasten. Für weniger gewichtige Vorwürfe muss es deshalb einzelfallgerechte Lösungen geben. Auch die Masse der zu prüfenden Verdachtsfälle hält die Justiz dazu an, Strafverfahren gerade bei Bagatellen nicht stets bis zum Ende durchzuführen, um Ressourcen zu sparen.
Erledigung gegen Auflagen
Deshalb sieht die Strafprozessordnung in § 153a vor, dass das Gericht auch bereits angeklagte Fälle ohne ein abschließendes Urteil zu den Akten legen darf. Mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft und des Angeklagten kann das Gericht das Verfahren einstellen und dem Angeklagten statt einer förmlichen Strafe Auflagen und Weisungen erteilen.
So kann dem Angeklagten aufgegeben werden, den Schaden wiedergutzumachen und einen Geldbetrag zugunsten der Staatskasse zu zahlen. Eingestellt werden darf allerdings nur, wenn damit das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung beseitigt werden kann und die Schwere der Schuld nicht entgegensteht. Es darf deshalb nur um mittelschwere Tatvorwürfe gehen.
Diese Erledigungsform erspart der Justiz viel Arbeit. Sie steht aber seit langem in der Kritik: Durch eine immer weiter ausgedehnte Praxis bleibe die Aufklärung bedeutsamer Fälle auf der Strecke. Vor allem Täter und Teilnehmer von Wirtschaftsstraftaten kämen über § 153a "unangemessen gut davon".
Der Fall Ecclestone
Bernard Charles "Bernie" Ecclestone wurden besonders schwere Fälle der Bestechung und der Anstiftung zur Untreue vorgeworfen. Es ging primär um eine Bestechungszahlung an den früheren Vorstand der BayernLB Gerhard Gribkowsky in Höhe von etwa 44 Millionen US-Dollar. Der Bank soll durch eine überflüssige Provisionszahlung an Ecclestone in Höhe von mehr als 40 Millionen US-Dollar ein Schaden entstanden sein.
Ob diese Vorwürfe auf beweisbaren Tatsachen beruhen oder ob Ecclestone vielleicht auch freizusprechen war, wird das Landgericht (LG) München I nun nicht feststellen. Es hat sich vielmehr für eine Einstellung des Verfahrens nach § 153a StPO entschieden. Ecclestone hatte zunächst 25 Millionen Euro als Wiedergutmachung angeboten. Nach Verhandlungen mit der Staatsanwaltschaft will er nun 100 Millionen US-Dollar (rund 75 Millionen Euro) an die Staatskasse zahlen. Eine Million geht an eine Kinderhospizstiftung. Gericht und Staatsanwaltschaft nehmen an, dass damit das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung beseitigt ist und dass die Schwere von Ecclestones möglicherweise gegebener Schuld einer Einstellung nicht entgegensteht.
Ablasshandel für wohlhabende Manager?
Kauft sich hier ein schuldbeladener, sehr wohlhabender Manager vor einem deutschen Gericht frei?
Ganz so einfach ist es nicht. Zunächst hatte das Gericht Schwierigkeiten, Teile der Tatvorwürfe gegen Ecclestone zu beweisen. Stehen aber erhebliche Zweifel an den Tatvorwürfen im Raum, ist Ecclestone wie jeder andere vor dem Gesetz unschuldig. Auch ein Unschuldiger kann sich unter dem Druck des Strafverfahrens auf einen solchen Deal einlassen, damit er endlich vor der Strafjustiz Ruhe hat. Und leider enden Verfahren, in denen sich nach und nach zeigt, dass eine Verurteilung nahezu sicher nicht möglich sein wird, nicht zwingend mit einem Freispruch: Um nicht mit leeren Händen dazustehen, fordert so manche Staatsanwaltschaft weiter mit Erfolg Auflagenzahlungen.
Aber auch dann, wenn die Münchener Justiz nach der Beweisaufnahme weiter Grund zu der Annahme hat, dass sich Ecclestone schuldig gemacht haben könnte, steht hinter der Zahlung nicht zwingend nur ein Ablasshandel. Die hohen Bestechungs- und Schadenssummen sprechen zwar klar dafür, dass es hier um besonders schwere Fälle der Bestechung und der Untreue geht. Sollte die Strafjustiz aber etwa glauben, dass Ecclestone lediglich gehandelt hat, weil ihn Gribkowsky intensiv zur Tat gedrängt hat, wäre seine persönliche Schuld deutlich geringer. Offenbar sind Tatvorwürfe teilweise entfallen. Ecclestone könnte insgesamt nur eine mittelschwere Schuld vorzuwerfen sein, die auch im Hinblick auf sein hohes Alter eine verhältnismäßig milde Reaktion gestattet.
Überdehnung des Gesetzes
Was aber verlangt unsere Justiz nun von Ecclestone? Sie will neben der Schadenswiedergutmachung rund 75 Millionen Euro einnehmen. Spätestens hier versagt die Suche nach Argumenten, die diese Erledigung des Falls noch als gesetzmäßig und gerecht ausweisen könnten. Wenn wir davon ausgehen, dass die Schuld Ecclestones nicht allzu schwer ist, darf der auf Verhältnismäßigkeit verpflichtete deutsche Staat auch nur mit maximal mittelschweren Rechtsfolgen reagieren.
§ 153a StPO soll höchstens mittelschwere Kriminalität erfassen. Dann dürfen die belastenden Rechtsfolgen, die diese Vorschrift ermöglicht, auch nicht das Maß dessen übersteigen, was bei einer allenfalls mittleren Schuld nach einem Strafurteil als Sanktion zulässig gewesen wäre. Zum Vergleich: Ein Gericht hätte auch den wohlhabenden Ecclestone nach einem umfassenden Nachweis mehrerer Taten in der Hauptverhandlung höchstens zu 21,6 Millionen Euro Geldstrafe verurteilen dürfen. Auch wenn wir ebenso die Freiheitsstrafe kennen, zeigt schon dies, dass 75 Millionen Euro zu einer maximal mittelschweren Schuld außer Verhältnis stehen. Geht die Justiz aber von einer Schuld aus, die 75 Millionen Euro rechtfertigt, hätte sie sich dem "Deal nach § 153a" verweigern müssen.
Anderes gilt nicht deshalb, weil sich das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung nur durch die Zahlung von 75 Millionen Euro beseitigen ließ. Das öffentliche Interesse an einer Verfolgung dürfte hier zwar in der Tat beträchtlich sein, weil es um sehr hohe Summen und um eine Landesbank geht. Wenn aber tatsächlich nur ein so hoher Betrag nötig ist, wird abermals deutlich, dass sich die Justiz geradezu in der Oktave vergreift. Bei diesen Summen muss es sich um einen gravierenden Kriminalfall mit einem exorbitanten Präventionsbedarf handeln.
Fiskalisierung als Verlust von Rechtskultur
Warum sieht die Münchner Justiz das anders? Diese Frage lässt den aufmerksamen Betrachter etwas ratlos zurück. Bei der Ausdehnung des § 153a scheint nun jedes Maß verloren. Damit wird der Ruf nach einer Abschaffung dieser grundsätzlich akzeptablen Vorschrift wieder lauter werden. Es entsteht der Eindruck, Staatsanwaltschaften würden vor allem versuchen, ein möglichst vorzeigbares Ergebnis zu erzielen, das Einnahmen in die Staatskasse spült. Das kommt einer Fiskalisierung des Strafverfahrens gleich. Schuld oder Unschuld sind uns dagegen nicht mehr so wichtig.
Die Rekordzahlung stellt alles vorher Dagewesene in den Schatten. Sie eröffnet ganz neue Möglichkeiten. Dazu passt es, dass eine deutsche Staatsanwaltschaft im großen Gerichtshowdown "Staat gegen Ecclestone" gegenüber einem Briten auch noch gezielt die US-Währung vorzieht, um den optisch größeren Erfolg einer dreistelligen Millionensumme vermelden zu können.
Diese Praxis mag angloamerikanische Strafverfahren prägen. Für unser Recht stellen solche Prozesse einen Verlust an Rechtskultur dar. Einmal mehr bleibt ein gewichtiger Fall der Wirtschaftskriminalität unaufgeklärt. Möglicherweise konnte sich Ecclestone tatsächlich von einer Schuld freikaufen. Die vielleicht gerade in seinem vollständigen Freispruch liegende Tataufklärung bleibt aus.
Setzt sich die Münchner Praxis als neues Leitbeispiel durch, müssten Angeklagte in Zukunft vermehrt Staatsanwaltschaften und Gerichte fürchten, die nach den Gesetzen des Basars agieren. Die Zahlungsauflagen würden nicht mehr durch die Schwere der Schuld begrenzt. Sie würden auch nicht mehr nach dem öffentlichen Interesse an der Strafverfolgung bemessen, das tatsächlich auf eine Tataufklärung gedrängt hätte. Maßgeblich wäre, auf welchem Wege bei dem Angeklagten für den Staat mehr zu holen ist.
Der Autor Prof. Dr. Karsten Gaede ist habilitierter Juniorprofessor an der Bucerius Law School in Hamburg für deutsches und europäisches Straf- und Strafprozessrecht. Er ist Autor zahlreicher Fachpublikationen zum Strafverfahrensrecht und zum Wirtschaftsstrafrecht.
Prof. Dr. jur. Michael Kubiciel, Pro & Contra Einstellung des Ecclestone-Prozesses: Klug oder frech? . In: Legal Tribune Online, 05.08.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/12799/ (abgerufen am: 28.03.2024 )
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