Vor kurzem fand das große Finale des Candylove-Prozesses statt. Vier Verurteilungen, ein Freispruch und bereits eingelegte Revisionen stehen an dessen Ende. LTO begleitete das gesamte Verfahren – ein Resümee.
"Ein Rechtsstaat hat nicht zu siegen, nicht zu verlieren, er hat zu existieren", leitete der Vorsitzende Richter Rüdiger Harr die Urteilsbegründung ein. Der Vorhang im Candylove-Verfahren ist gefallen. Von 18 angesetzten Verhandlungstagen erging nach 13 Sitzungen am 17. Mai 2023 das Urteil.
Für den als Kinderzimmer-Dealer und durch eine Netflix-Dokumentation berühmt gewordenen Maximilian Schmidt stehen am Ende seines zweiten Gerichtsverfahrens viereinhalb Jahre Freiheitsstrafe, für Friedemann G. knapp sechs Jahre als nachträgliche Gesamtstrafe, die er bereits verbüßt. Jens M. und Julius M. wurden wegen Beihilfe zu einer zehnmonatigen Freiheitsstrafe auf Bewährung bzw. einer Geldstrafe verurteilt. Strafen, die angesichts vorheriger konkreter Ankündigungen des Gerichts nicht für große Verwunderung gesorgt haben sollten. Vom angeklagten bandenmäßigen Handeltreiben mit Betäubungsmitteln gemäß § 30a Betäubungsmittelgesetz (BtMG) blieb am Ende die Verurteilung wegen gewerbsmäßigen Handeltreibens in nicht geringer Menge nach §§ 29, 29a BtMG bzw. der Beihilfe dazu. Rechtsanwalt R. dagegen verließ den Saal als freier Mann, mit einem Entschädigungsanspruch für die bei ihm durchgeführten Durchsuchungsmaßnahmen im Gepäck.
Ein Drehbuch mit kleinen Überraschungen und allerlei Emotionen
Es endet ein Prozess, der einige rechtliche Fragen aufwarf und bis zum Schluss kleine Überraschungen und Besonderheiten bereithielt. Man könnte meinen, dem Verfahren selbst habe ein mehr oder weniger originelles Drehbuch zugrunde gelegen. Beteiligten und Beobachtern wurde einiges geboten: ein dreistündiges Geständnis, die Beschlagnahme des Handys einer Journalistin, Kinofeeling im Gerichtssaal, das bleibende Geheimnis verschlüsselter Datenträger und schließlich ein Staatsanwalt, der in seinem Plädoyer – weil der Sachverhalt nicht ausreichend ermittelt worden sei – entgegen des gewohnten Schemas einfach keine Strafe beantragte, und damit die Verteidigung in Fassungs- und Sprachlosigkeit versetzte.
Auch zwischenmenschlich und stimmungsmäßig liegt ein abwechslungsreicher Weg hinter den Beteiligten. Von Nervosität und Ärger bei Zeugenaussagen, Scham und Belustigung bei Szenen aus der Netflix-Doku, melodramatischen Schilderungen einer Gefängnis-Freundschaft und nicht zuletzt allgemeiner Heiterkeit bei Schmidt und seinem Verteidiger Engel war alles dabei. Letzterer hat den Weg öfter mal etwas breiter ausgetreten als nötig. Abgesehen von seinem halbstündigen Plädoyer mit ausufernden Bemerkungen über die Filmfestspiele in Cannes, der Portoerhöhung der Deutschen Post und der Fachkompetenz des Gesundheitsministers – deren Notwendigkeit für die Verständlichkeit seiner Ausführungen dahinstehen mag – machte Engel gern lautstark mittels Zwischenrufen und Anträgen auf offenbar empfundene Ungerechtigkeiten aufmerksam. In Erinnerung bleiben etwa das beschlagnahmte Handy und der beantragte Ausschluss der Öffentlichkeit. Auch am letzten Verhandlungstag ließ er Kommentare nicht vermissen, diesmal in spürbarer Gereiztheit gegenüber seinen Kollegen Brunzel und Dr. Kilian, die sich – ohne ihn zu informieren – verspäteten. Umso kollegial-inniger wirkte dagegen der Umgang zwischen den drei Angeklagten Schmidt, Friedemann G. und Jens M.
Der verbotene Baum in der Urteilsbegründung
Maßgeblich für den Freispruch des Anwalts R. war, dass das Gericht schlussendlich die Unverwertbarkeit der abgehörten Gespräche zwischen ihm und seinem damaligen Mandaten G. annahm. Damit sind die Gespräche selbst, aber auch alle daraus resultierenden Erkenntnisse nicht verwertbar. "Es geht hier gerade nicht um die Früchte des Baumes, sondern um den verbotenen Baum selbst", kommentierte Harr die gegensätzliche Position der Staatsanwaltschaft. Sie führte zuvor an, dass die "fruit of the poisonous tree"-Doktrin, wonach fehlerhaft erhobene Beweise und darauf basierende Erkenntnisse nicht weiter verwertet werden dürfen, gerade nicht im deutschen Recht gelte.
Das Gericht betonte, dass es sich um ein absolutes Beweiserhebungs- und Beweisverwertungsverbot gem. § 160a i.V.m. § 153 StPO (Strafprozessordnung) handele. Der erforderliche Tatverdacht für ausnahmsweise zulässige Ermittlungsmaßnahmen gegen Rechtsanwälte gem. § 160a Abs. 4 StPO müsse zum Entscheidungszeitpunkt der Maßnahme vorliegen und dürfe nicht erst durch die Auswertung der dadurch gewonnenen Erkenntnisse erlangt werden. Dieser erforderliche Verdacht gegen R. habe seinerzeit nicht bestanden, was sich aus der Zeugenaussage am siebten Prozesstag deutlich ergeben habe. Diese schien der entscheidende Wendepunkt für die Kammer gewesen zu sein, ging sie noch am sechsten Verhandlungstag nach vorläufiger Bewertung nicht von einer vollständigen Unverwertbarkeit aus. Ab dem achten Tag zeichnete sich dagegen die letztlich vertretene Position und der Freispruch für R. ab.
"Es ist freizusprechen, ohne Wenn und Aber"
Der Verteidiger des R., Andrej Klein, betonte zuvor, dass dies kein Freispruch zweiter Klasse sei. R. sei gerade nicht von der Schippe gesprungen, weil man ihm die Vorwürfe nicht nachweisen könne. Das Gericht rüffelte indes, dass es keine Freispruch-Klassen gäbe. "Es ist freizusprechen, ohne Wenn und Aber", so Harr. Ob letztlich doch ein Fünkchen oder gar Feuerchen Wahrheit in den Vorwürfen gegen R. steckt, ist damit nicht geklärt. Gerade die am zehnten Prozesstag vorgelesene hitzige Unterhaltung zwischen G. und R., wonach R. "keine Lust hatte, sich in die Nesseln zu setzen", deutet auf eine Beteiligung hin. Doch verwendet werden darf die Passage nicht.
Ohne Anwalt R. als Mittäter lag mangels dreier Täter auch keine Bande vor. Auch insoweit keine Überraschung, diesen Ausgang ließ das Gericht ebenfalls seit dem sechsten Verhandlungstag durchblicken. Der Versuch der Staatsanwaltschaft, die beiden Gehilfen mit ins Banden-Boot zu ziehen, ging ins Leere. Laut Gericht sind diese nicht in eine bandenmäßige Organisation eingegliedert gewesen und hatten keinen mitbestimmenden Einfluss. Die Tatsache, dass sie ein Gehalt erhielten, reiche nicht aus.
Im Ergebnis ging das Gericht davon aus, dass Schmidt und G. die Drahtzieher waren. Der ursprüngliche Antrieb sei von G. gekommen, später hätten die beiden arbeitsteilig zusammengewirkt. Damit scheint das Gericht den in diesen wesentlichen Punkten übereinstimmenden, von Freundschaft getragenen Einlassungen von G. und Schmidt Glauben zu schenken. Zudem zog es zur Begründung als Beweis die Anweisung Schmidts an die Gehilfen heran, präzise beim Abwiegen der Drogen zu sein, da nichts zu verschenken sei.
Klärt eine nächste Staffel namens "Revision" offen gebliebene Fragen?
Am Ende werden die "Zuschauer" dennoch mit einigen offenen Fragen zurückgelassen. Warum wurden die bereits seit Jahren herumliegenden Datenträger nicht schon eher an externe Sachverständige übergeben und so Zeit gespart? Hat Schmidt nun eigentlich, wie von seinem Verteidiger Engel beantragt, eine Kopie davon erhalten – und dadurch wieder die Möglichkeit, an verbliebene Bitcoins zu gelangen? Warum hat das Gericht nicht schon früher – vor Eröffnung des Hauptverfahrens – Klarheit hinsichtlich des Verwertungsverbotes geschaffen und damit insbesondere R. den Prozess und weitere Zeugenaussagen ersparen können? Worum ging es wirklich in den hitzigen Gesprächen zwischen R. und G.? Und was sind nun eigentlich "Autosachen"?
Wahrscheinlich werden einige dieser Fragezeichen in einer weiteren Staffel mit dem Titel "Revision" aufgelöst. Wie bereits in ihrem Plädoyer angekündigt und vom Pressesprecher des LG gegenüber LTO bestätigt, hat die Staatsanwaltschaft nunmehr Revision eingelegt. Auch Schmidt und G. hätten von diesem Recht Gebrauch gemacht. Das LG Leipzig muss nun innerhalb der nächsten elf Wochen das Urteil niederschreiben. Werden die Revisionen danach aufrechterhalten, wird sich der Bundesgerichtshof mit dem bisherigen Drehbuch befassen müssen.
Nun heißt es also "Auf Wiedersehen". Wenn nicht bald in einem Revisionsverfahren, dann vielleicht in einer Netflix-Doku- oder Serienfortsetzung – oder je nach tatsächlichem Läuterungslevel, erneuter Risikobereitschaft oder schlichter Gefängnis-Langeweile Schmidts in einem erneuten Drogen-Prozess vor Gericht.
Übersicht über das gesamte Candylove-Verfahren:
Tag 1: Verhandlungsbeginn vor dem Landgericht Leipzig – Shiny Flakes erneut vor Gericht
Tag 2: Zweiter Verhandlungstag im Shiny-Flakes-Prozess – Informant half Ermittlern beim "Amazon for Drugs"
Tag 3: Dritter Verhandlungstag im Candylove-Prozess – Zwei Angeklagte geben Geständnisse ab
Tag 4: sehr kurzer Formalismus-Termin ohne berichtenswerte Vorkommnisse
Tag 5: Candylove: Kinderzimmer-Dealer gesteht Beteiligung – "Ich bin heute bisschen weiter als damals"
Tag 6: Klärendes Rechtsgespräch im Candylove-Prozess – Nur das Gericht spricht Klartext
Tag 7: Tag 7 bringt weiteres Geständnis im Candylove-Prozess – "Mein lieber Max hat etwas übertrieben"
Tag 8: 8. Verhandlungstag im Candylove-Prozess – Ohne Anwalt keine Bande
Tag 9: Gericht teilt Strafvorstellung im Candylove-Prozess mit – Wohl unter fünf Jahre Haft für Schmidt
Tag 10: Netflix-Doku als Beweismittel im Candylove-Prozess – Vorhang auf im Gerichtssaal
Tag 11: Elfter Candylove-Verhandlungstag bleibt ruhig – Bunkerwohnungs-Vermieter soll als Zeuge aussagen
Tag 12: Zwölfter Verhandlungstag im Candylove-Prozess – Sind wir schon bald fertig?
Tag 13: Urteil im Candylove-Prozess – "Shiny Flakes" muss erneut ins Gefängnis
Resümee zum Candylove-Verfahren: . In: Legal Tribune Online, 01.06.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/51894 (abgerufen am: 16.10.2024 )
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