Das anlasslose Filmen von Fußballfans in Stadien durch Polizeibeamte ist rechtswidrig, so das LG Köln. Der Beschluss könnte die Praxis polizeilicher Überwachungsmaßnahmen in Sportstätten nachhaltig verändern.
Polizeikameras, die auf Fußballfans in ihren Blöcken gerichtet sind, sind in deutschen Stadien keine Seltenheit. Zum einen dienen sie der Einschüchterung und sollen Fans von Regelverstößen wie dem Abbrennen von Pyrotechnik abhalten, zum anderen sollen sie für den Fall, dass aus den Rängen heraus Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten verübt werden, für Beweismaterial sorgen.
In einem Fall, der im August 2016 am Rande der Regionalligapartie 1.FC Köln II gegen Rot-Weiß Oberhausen passierte, ging dieser Videoeinsatz aus Sicht der Ordnungshüter jedoch gründlich schief – und dürfte auch für die künftige Polizeipraxis in Stadien nicht folgenlos bleiben: Denn laut Beschluss des Landgerichts (LG) Köln stellen anlasslose polizeiliche Videoaufnahmen in Fußballstadien einen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 2 i .V. m. Art. 1 Grundgesetz) dar, das als besondere Ausprägung u.a. das Recht am eigenen Wort, das Recht am eigenen Bild und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung umfasst (Beschl. v. 01.04.21, Az. 157 Ns 8/20).
Fans des 1.FC Köln hatten im Kölner Franz-Cremer-Stadion am 26. August 2016 lautstark Schmähgesänge in Richtung der sie filmenden Polizist:innen angestimmt und sich damit ein Strafverfahren wegen Beleidigung eingehandelt. Vom Amtsgericht Köln wurden sie indes freigesprochen, u.a. auch nachdem das Gericht zu der Einschätzung gelangt war, dass die von den FC-Fans skandierte Parole "All Cops are Bastards" (ACAB) unter bestimmten Voraussetzungen von der Meinungsfreiheit gedeckt ist (Urt. v. 27.09.2019, Az. 539 Ds 28/18).
Zur Erinnerung: Das Bundesverfassungsgericht hatte im Mai 2016 in zwei wegweisenden Entscheidungen klargestellt, dass die Kundgabe des Slogans "ACAB" bei einem Fußballbeispiel dann keine Beleidigung der dort anwesenden Bereitschaftspolizisten darstellt, wenn nicht ersichtlich ist, dass mit diesem allgemeinen Werturteil (jedenfalls auch) gerade diese Polizeibeamt:innen gemeint gewesen seien (Beschl. v. 17.05.16, Az. 1 BvR 257/14 und 2150/14).
LG: "Schwabbelige, grölende Männer" haben keine Straftaten begangen
Im darauf folgenden Berufungsverfahren vor der 7. Kleinen Strafkammer des LG Köln ging das Bemühen der Staatsanwaltschaft, die drei Fußball-Anhänger doch noch bestrafen zu lassen, komplett nach hinten los. Denn das das LG entschied, dass die Verwertung der polizeilichen Videoaufzeichnungen, die die angeblichen Beleidigungen der FC-Fans beweisen sollten, einem Beweisverwertungsverbot unterliegen und das Strafverfolgungsinteresse des Staates gegenüber dem Grundrechtsschutz der Fußballanhänger zurückzutreten hätte.
So hatten die Beamt:innen immer wieder, in kurzen Abständen und teilweise bis zu sechs Minuten am Stück ihre Kamera auf die Fans gerichtet und diese gefilmt. Das Gericht schaute sich die Aufnahmen an und bemerkte dazu: "Auf den Aufnahmen sieht bzw. hört man eine große Gruppe meist halb nackter, teilweise etwas schwabbeliger junger Männer die trommeln, brüllen und grölen. Das sind, je nach persönlicher Sichtweise, Geschmacklosigkeiten oder Besonderheiten gemeinsamer Freizeitgestaltung, in keinem Fall aber Straftaten."
Anlassloses Filmen verstößt gegen Polizeigesetz
Den filmenden Polizeibeamt:innen attestierte die Berufungskammer unter Vorsitz von Richter Thomas Beenken deshalb einen "vorsätzlichen, jedenfalls aber grob fahrlässigen" Verstoß gegen das Polizeirecht, namentlich gegen § 15 Polizeigesetz NRW (PolG NRW). Dieser erlaubt den Einsatz von Bild- und Tonaufzeichnungen nur dann, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass dabei Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten begangen werden. Diese Voraussetzungen sah das Gericht im Fall der drei jungen Männer als nicht gegeben haben.
Eine Polizeibeamtin hatte zwar erklärt, aus der Fangruppe sei beim aktuellen Spiel wie auch bei früheren Spielen schon Pyrotechnik gezündet worden. Was den konkreten Zeitpunkt während des Spiels am 26. August anbelangte, hatte sie sich aber komplett in Widerspräche verwickelt, sodass ihr das Gericht letztlich eine "nicht hinreichend belastbare Aussage" bescheinigte. Und dass es bei früheren Spielen Vorfälle mit pyrotechnischem Material gegeben habe, reichte der Kammer für die Anwendung von § 15 PolG NRW nicht aus: "Das geht über die Grundlage nicht hinreichender Vermutungen bevorstehender Straftaten schon der Sache nach nicht hinaus."
"Insultationen grobschlächtiger Leute"
Was die möglichen Beleidigungen der Polizeibeamt:innen durch die Fans mit ihren ACAB-Sprechchören betrifft, so äußerte das Gericht auch verständnisvolle Worte für die Einsatzkräfte: Es gebe ein legitimes Interesse des Staates und auch der Polizei und ihrer Amtsträger, die Beamten im täglichen Dienst nicht schutzlos den "Insultationen grobschlächtiger Leute" auszuliefern.
Andererseits, so das Gericht weiter, könne im konkreten Fall jedoch auch nicht ausgeschlossen werden, dass das Filmen über längere Zeit, ohne dass es irgendwelches strafbares Verhalten gegeben habe, dazu geführt habe, dass sich die Gruppe irgendwann provoziert gefühlt und sich im Wesentlichen aus diesem Grunde entschlossen habe, die Gesänge anzustimmen.
Der Beschluss des LG Köln, der LTO vorliegt, dürfte für die polizeiliche Praxis in Fußballstadien auch über den Einzelfall hinaus Bedeutung haben: Der Kölner Strafverteidiger Tobias Nikolas Westkamp, der einen der drei Fußballfans anwaltlich vertritt, hofft, dass eine "durchaus übliche Praxis der Polizei in Fußballstadien" nun ein Ende findet: "Die anlasslose Videoüberwachung von Fußballfans ist rechtswidrig und muss gestoppt werden."
Für seinen Mandanten und die beiden anderen FC-Fans bleibt es übrigens beim Freispruch erster Instanz. Denn unmittelbar nachdem das LG der Verwertung der Videoaufzeichnungen eine Absage erteilt hatte, nahm die Ermittlungsbehörde ihre Berufung gegen die drei FC-Anhänger zurück.
LG Köln verbietet anlasslose Videoüberwachung: . In: Legal Tribune Online, 17.08.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/45754 (abgerufen am: 09.10.2024 )
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