Vor dem LG Hamburg klagt ein Opferanwalt seine eigenen Anwaltskosten ein. Seine Mandantin war eine Hauptbelastungszeugin in der umstrittenen Verdachtsberichterstattung der "Zeit" über Dieter Wedel. Sie fühlt sich von der Zeitung übervorteilt.
Am Freitag geht es ab 11 Uhr vor der 8. Zivilkammer des Landgerichts (LG) Hamburg um 30.835,00 Euro. So viel verlangt die Münchner Strafrechtsboutique um den Anwalt Dr. Alexanders Stevens von der Wochenzeitung Die Zeit. Vordergründig geht es um Anwaltskosten, die der Verlag übernehmen soll. Tatsächlich geht es um eine der umstrittensten Investigativ-Geschichten der vergangenen Jahre. Der Streit führt hinter die Kulissen der sog. Wedel-Recherche der Die Zeit.
Der erste Artikel dazu, der Regisseur Dieter Wedel der sexuellen Belästigung und anderer Straftaten erheblichen Ausmaßes beschuldigte, erschien im Januar 2018 in der Wochenzeitung. Die dort mit Klarnamen zitierte Hauptbelastungszeugin ist die Schauspielerin Jany Tempel, die nun die Kosten ihres Anwalts bezahlt haben will. Genauer gesagt klagt nicht Tempel selbst, sondern die Münchner Anwaltskanzlei macht ihre Kosten aus abgetretenem Recht der Schauspielerin geltend.
Tempel fühlt sich von den Journalisten hintergangen. Sie habe nur unter Bedingungen mit Die Zeit zusammengearbeitet und sich als Belastungszeugin zur Verfügung gestellt, so argumentiert die Schauspielerin. Das geht aus zahlreichen Dokumenten und Nachrichten hervor, die LTO einsehen konnte. Der Verlag habe ihr zugesagt, Anwaltskosten zu übernehmen, die ihr durch die Berichterstattung entstehen würden.
Eine klare Vereinbarung?
Jany Tempel hatte schon Monate vor Erscheinen des Artikels mit der Zeit Kontakt aufgenommen, die viel Aufwand in die Recherche zu der heiklen Verdachtsberichterstattung über eine der Ikonen des deutschen Filmgeschäfts steckte. Begleitet wurde Tempel dabei vom renommierten Medienrechtler Prof. Dr. Christian Schertz. Es gab gemeinsame Treffen mit Redakteuren der Zeit, dabei war unter anderem auch der Chefredakteur Giovanni di Lorenzo. Man verstand sich, man ging sensibel miteinander um, den Journalisten war die Belastung ihrer wichtigsten Quelle sehr bewusst. Das zeigen interne Dokumente und E-Mails, die LTO einsehen konnte. Nach einem Treffen in den Räumen der Zeit in Hamburg schrieb Anwalt Schertz: "Lieber Herr Di Lorenzo, sehr gutes Gespräch. Es wäre toll, wenn Sie mir bestätigen, dass die Zeit konkret der Verlag meine Klientin von etwaigen Ansprüchen von Herrn Dr. Dieter Wedel wegen der Berichterstattung freistellt und auch etwaige Anwalts- und Gerichtskosten übernimmt. Die eidesstattliche Versicherung würde ich dann aufsetzen". Di Lorenzo bestätigte "das von Ihnen Geforderte", das sei auch so besprochen u.a. mit dem externen Anwalt Joerg Nabert von der Kanzlei Senfft Kersten Nabert Van Eendenburg, der den Verlag ständig berät.
Eine klare Vereinbarung, so argumentiert Die Zeit. Aus Sicht des Verlags, der sich auf den Wortlaut der Zusicherung beruft, ist das auch alles, was man zugesichert habe. Es sei in den Gesprächen und Vereinbarungen beiden Seiten immer nur darum gegangen, Tempel eine wirtschaftliche Sicherheit zu geben, falls Dieter Wedel Ansprüche gegen sie geltend machen würde. Es sei um die Gerichts- und Anwaltskosten gegangen, die anfallen würden, wenn sie vom beschuldigten Dieter Wedel in Anspruch genommen werden würde.
So hat der Verlag nach eigenen Angaben auch die bei Presse- und Medienrechtler Christian Schertz entstandenen Kosten für die Abwehr eines Unterlassungsanspruchs Wedels übernommen - nicht aber Kosten, die dadurch entstanden sind, dass Schertz einmalig Tempel bei einer Vernehmung als Zeugin im Strafverfahren gegen Wedel begleitete.
Ein folgenschwerer Irrtum: Straftaten nicht verjährt
Die Kosten von Dr. Alexander Stevens aus München aber, die dieser - aus abgetretenem Recht von Jany Tempel - nun einklagt, sind Kosten für die Vertretung der Schauspielerin im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren gegen Dieter Wedel.
Denn es kam anders, als alle an den Gesprächen Beteiligten offenbar erwartet hatten: Entgegen der allgemeinen Annahme stellte sich heraus, dass die Straftaten, die Wedel zur Last gelegt werden, keineswegs verjährt sind. Die Staatsanwaltschaft München hat deshalb nach der Veröffentlichung der Zeit Ermittlungen gegen den Regisseur eingeleitet. Und das bedeutete auch: Tempel musste als Zeugin aussagen, mit allen psychischen Belastungen, die das mit sich bringt. Die Staatsanwaltschaft hat noch keine Entscheidung getroffen, ob sie Anklage gegen Wedel erhebt oder das Verfahren einstellt.
Tempel argumentiert, eine zweite Bedingung, sich auf die Zusammenarbeit mit der Zeit überhaupt einzulassen, sei die Zusage des Verlags gewesen, dass es kein Strafverfahren gegen Dieter Wedel geben würde. Es sei ihr immer sehr wichtig gewesen, dass sie nicht mehr als Zeugin aussagen und das Erlebte dabei noch einmal durchleben müsste.
Diese Frage der Verjährung wurde tatsächlich geprüft und von allen Beteiligten falsch eingeschätzt. Ob und wer von den beteiligten Juristen neben dem vom Verlag extra für die heikle Verdachtsberichterstattung hinzugezogene Strafrechtler Johann Schwenn die Verjährungsfrage explizit geprüft hat, ist streitig*. Im Ergebnis gingen alle davon aus, dass es keine Strafverfolgung gegen Dieter Wedel mehr geben werde, weil die in Betracht kommenden Straftaten verjährt seien. Aus Sicht der Zeit aber wurde über diese Verjährung zwar, auch im Kreise der mit der Recherche befassten Redakteure und mit Tempel, gesprochen, aber eher am Rande. In den Augen der Wochenzeitung war die Verjährungsfrage für Jany Tempel keineswegs eine Bedingung für die Zusammenarbeit.* Vor allem: Eine Verpflichtung des Verlags, die Frage der Verjährung für Tempel zu klären, habe es nicht gegeben, keiner der beteiligten Anwälte sei mit dieser Prüfung für sie beauftragt worden.
Auslegungsfragen vor Gericht
Vor dem LG Hamburg dürfte es ab Freitag um die Auslegung der Vereinbarung gehen, deren Wortlaut sich auf potenzielle Ansprüche von Wedel gegen Tempel beschränkt. Zu einem anderen Ergebnis könnte man kommen, wenn es Tempel gelänge, nachzuweisen, dass niemand eine weitergehende Vereinbarung für nötig hielt. Ihres Erachtens gingen schließlich alle Beteiligten davon aus, dass nur mögliche zivilrechtliche Ansprüche einer Regelung bedürften, weil es kein Strafverfahren gegen Wedel* gegeben werde, da sämtliche mutmaßlichen Taten verjährt seien.
Tempel selbst will sich im Nachgang zu der ursprünglich getroffenen Vereinbarung schriftlich für den "Rechtsschutz für mich/uns" bei Chefredakteur di Lorenzo bedankt haben. Die Zeit dagegen argumentiert, Tempel habe immer gewusst, dass Anwaltskosten im Strafverfahren nicht übernommen würden, darüber gibt es Korrespondenz mit einer Redakteurin. Kosten, die im Rahmen eines Strafverfahrens entstehen, übernehme der Verlag nie, heißt es.
Hinter den Kulissen
Im Februar 2018, nachdem das Strafverfahren eröffnet worden ist, gab es eine Art Krisentreffen zwischen den Redakteuren, dem Chefredakteur und Tempel sowie Schertz, in dem es auch um die Beauftragung eines Strafrechtsanwalts ging. Die Schauspielerin hatte bereits Alexander Stevens vorgeschlagen, eine Redakteurin sprach sich für einen anderen Anwalt aus, zu dessen Beauftragung es aber am Ende nicht kam*.
Di Lorenzo erklärte danach in einer Mail an Tempel, er wäre auch nicht darauf gekommen, dass drei Anwälte hätten übersehen können, dass der Fall noch nicht verjährt ist. Daraus erwachse eine besondere Verantwortung für Die Zeit. "Wir hatten in der Zwischenzeit angefangen, uns nach einer guten anwaltlichen Beratung zu erkundigen", über die Redakteurin habe er erfahren, dass Tempel sich schon selbst einen Anwalt besorgt habe. Er sprach sich dafür aus, sich weiterhin eng abzustimmen. Wenn Tempel einverstanden sei, werde die Zeit während Tempels anstehendem Urlaub Kontakt mit dem Anwalt aufnehmen und sich dann wieder treffen, wenn sie zurück sei. Dazu kam es nicht mehr, der Kontakt versandete in der Folgezeit offenbar.
Abzuwarten bleibt, ob es am Freitag in Hamburg tatsächlich nur um die Auslegung einer Vereinbarung, die Höhe und Angemessenheit angesetzter Anwaltskosten und möglicherweise auch die sowohl vertraglichen als auch schadensersatzrechtlichen Anspruchsgrundlagen gestritten werden wird, auf die die Münchner Kanzlei um Alexander Stevens ihre Klage stützt. Gut möglich ist, dass schmutzigere Wäsche gewaschen werden wird. Den Rahmen bietet eine umstrittenen Verdachtsberichterstattung, für die es nach diversen Auszeichnungen nun überraschend keinen Henri-Nannen-Preis gab. Und der Kläger, der recht medienaffine Anwalt Alexander Stevens. Der hatte, bevor er Tempel als Zeugenbeistand vertrat, öffentlich gegen die Verdachtsberichterstattung der Zeit und zur Verteidigung von Dieter Wedel argumentiert. Material für eine Schlammschlacht gäbe es genug.
Hinweis: Der Co-Autor und LTO-Redakteur Dr. Markus Sehl ist auch als freier Autor für Die Zeit tätig. An der Recherche in dem Komplex um Wedel war er zu keiner Zeit beteiligt.
*Anm. d. Red.: Mehrere Präzisierungen eingefügt, auf welche Die Zeit Wert legte; 30.05.019, 13:28 Uhr sowie 31.05.2019, 11:08(pl)
Opfer-Anwalt verklagt "Die Zeit": . In: Legal Tribune Online, 29.05.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/35685 (abgerufen am: 08.12.2024 )
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