Schmerzensgeld für Mutter des getöteten Sohnes: Fahr­zeug­halter haftet für Raser­mord mit gestoh­lenem Taxi

von Pauline Dietrich, LL.M.

23.01.2025

Ein junger Mann wurde Opfer einer Raserfahrt mit einem gestohlenen Taxi. Doch nicht nur der Täter haftet – auch der Halter des Taxis und dessen Versicherung. Der Grund: Das Taxi war nicht genug vor Diebstahl gesichert, so das LG Hamburg.

Zwei junge Barkeeper nehmen sich nach Feierabend ein Taxi nach Hause. Es fährt gerade an, da rast ein anderes Taxi mitten in der Innenstadt Hamburgs mit 145 Stundenkilometern heran – auf der Flucht vor der Polizei, denn das Taxi war gestohlen. Der Fahrer verliert die Kontrolle, es kommt zum Crash. Einer der beiden jungen Männer stirbt noch am Unfallort. Seine Mutter erkrankt psychisch schwer aufgrund des Geschehens. Nun bekommt sie ein hohes Schmerzensgeld zugesprochen – und zwar nicht nur vom inzwischen verurteilten Mörder ihres Sohnes, sondern auch vom Halter des Taxis und dessen Haftpflichtversicherung als Gesamtschuldner. Das hat das Landgericht (LG) Hamburg entschieden (Urt. v. 28.11.2024, Az. 323 O 330/20). Das Urteil ist laut Pressestelle des Gerichts noch nicht rechtskräftig.

Die Raserfahrt fand am 4. Mai 2017 statt. Der Täter hatte zuvor Zugang zu dem Taxi mittels eines Fahrzeugersatzschlüssels bekommen, der sich in der unverschlossenen Mittelkonsole befand. Der Unfall geschah, als der Täter auf der Flucht vor der Polizei war und währenddessen die Kontrolle über das Fahrzeug verlor. Der 22-jährige Sohn der klagenden Mutter war gerade erst in ein anderes Taxi gestiegen und noch nicht angeschnallt, als dieses losfuhr. Der Täter ist inzwischen rechtskräftig zu lebenslanger Freiheitsstrafe wegen Mordes verurteilt.

Die Mutter des Opfers leidet seit der Mitteilung über den Tod ihres Sohnes unter einer anhaltenden Trauerreaktion und Anpassungsstörung nach ICD F 32.2 bzw. 43.2, also Depression, die bis heute weitgehend unvermindert und auf unabsehbare Zeit besteht. Sie befindet sich permanent in psychiatrisch-therapeutischer Behandlung, zweimal war sie in stationärer Behandlung. Es ist eine Dauermedikation erforderlich. Außerdem ist sie wegen der ungewöhnlich innigen Beziehung zu ihrem Sohn und der daraus resultierenden Trauerreaktion erwerbsunfähig. 

Aufgrund dessen stellte das LG nun fest: Alle drei Beklagten – also Täter, Halter des Taxis und dessen Haftpflichtversicherung – trifft die volle Haftung für die Schäden der Frau, die ihr aufgrund der aus dem Unfalltod ihres Sohnes resultierenden Erkrankung entstanden sind. Darin enthalten sind 40.000 Euro Schmerzensgeld.

Halter sicherte Fahrzeug nicht gegen Entwendung

Dazu, dass der Täter haftet, verliert das LG in seinem Urteil wenig überraschend nicht viele Worte. Aufgrund seiner Schwarzfahrt hafte er wie ein Halter, da er das Fahrzeug im Rahmen eines Diebstahls erlangt und genutzt habe (§§7, 18 StVG sowie § 823 Abs. 2 und Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 223, 229 StGB).

Doch auf die Haftung des Halters geht das LG ausführlich ein. Er hafte, da er die Benutzung des Fahrzeugs durch den Täter schuldhaft ermöglicht habe (§ 7 Abs. 1 und Abs. 3 S. 1 2. HS StVG sowie § 823 Abs. 1, Abs. 2 BGB i.V.m. § 14 Abs. 2 S. 2 StVO). Der Halter habe gegen die sich aus § 14 Abs. 2 S. 2 StVO ergebende Pflicht verstoßen, das von ihm gehaltene Fahrzeug gegen eine unbefugte Nutzung zu sichern. Der Fahrzeughalter müsse "bis zur Grenze des unabwendbaren Zufalls alles zu tun, was ihm billigerweise zur Verhinderung von Schwarzfahrten zugemutet werden kann". Schließlich bringe die Benutzung von Fahrzeugen durch nicht geeignete oder unbefugte Personen erfahrungsgemäß erhebliche Gefahren für den Straßenverkehr mit sich.

Das LG ist nun der Ansicht, dass zu den zumutbaren Sicherungsmaßnahmen insbesondere gehört, keine Fahrzeugschlüssel ohne hinreichende Sicherung im Fahrzeug aufzubewahren, "da andernfalls eine Entwendung jedenfalls erheblich erweitert wird und weitere Sicherungseinrichtungen zwecklos sind". Genau das habe der Halter nicht getan.

Doch auch die Haftpflichtversicherung des Halters nimmt das LG in die Pflicht (§ 7 Abs. 1 und Abs. 3 S. 1 2. HS StVG sowie § 823 Abs. 1, Abs. 2 BGB i.V.m. § 14 Abs. 2 S. 2 StVO i.V.m. § 115 Abs. 1 VVG). Sie könne sich nicht auf den Risikoausschluss nach § 103 VVG berufen, da die Halterhaftung eben nicht durch Vorsatz des Versicherungsnehmers entfallen sei. Nur der Täter habe in diesem Fall den Schaden vorsätzlich und rechtswidrig verursacht, aber gerade nicht der Halter als Versicherungsnehmer.

Verstoß gegen Anschnallpflicht in keinem Verhältnis zum Rasermord

Dass die Gesundheitsschädigungen der Mutter auch auf den Unfall zurückzuführen sind, zweifelt das LG ebenfalls nicht an. Es verweist dazu auf die Rechtsprechung zu Schockschäden. Demnach sind psychische Beeinträchtigungen infolge des Todes eines nahen Angehörigen nur dann als Gesundheitsverletzung zu bewerten, wenn sie pathologisch fassbar sind und deutlich über die gesundheitlichen Beeinträchtigungen hinausgehen, denen Familienangehörige bei dem Miterleben oder der Benachrichtigung von einem solchen Ereignis erfahrungsgemäß ausgesetzt sind. 

Das habe der Sachverständige in seinem Gutachten überzeugend ausgeführt. Es gebe auch keine Hinweise auf eine vorangehende seelische Gesundheitsstörung. Die langanhaltende Anpassungsstörung kann dem Gutachter zufolge plausibel darauf zurückgeführt werden, dass zwischen der Alleinerziehenden und ihrem Sohn eine sehr enge Beziehung bestand. 

Letztlich klärte das LG noch die Frage eines Mitverschuldens des Sohnes, schließlich war er nicht angeschnallt. Hier formuliert das LG jedoch eindeutig, dass der Verstoß gegen die Anschnallpflicht in keinem Verhältnis zu der Ursache des Geschehenen steht, nämlich der Raserfahrt. Dass der Sohn kurz nach dem Anfahren des erst auf 20 Stundenkilometern beschleunigten Taxis den Sicherheitsgurt noch nicht angelegt hatte, trete in jedem Fall vollständig hinter den Verursachungsbeitrag des Täters zurück. Eine Vermeidbarkeit müsse deshalb erst gar nicht geklärt werden, schließlich habe der Täter sogar mit Tötungsvorsatz gehandelt.

Auch Halter und Haftpflichtversicherung können sich laut Gericht nicht auf ein Mitverschulden berufen. Die Betriebsgefahr des Fahrzeugs sei im Rahmen einer Haftungseinheit für (Schwarz-)Fahrer, Halter und Haftpflichtversicherer einheitlich zu bestimmen, soweit für die jeweiligen Beteiligten ein anspruchsbegründender Tatbestand gegeben ist. Das sei hier der Fall ist.

Schmerzensgeld weit über Durchschnittsbetrag des Hinterbliebenengeldes

Der Mutter stehen nun 40.000 Euro Schmerzensgeld zu (§ 253 BGB). Das geht weit über den vom Gesetzgeber angedachten "Durchschnittbetrag" des Hinterbliebenengeldes i.S.d. § 844 Abs. 3 BGB von 10.000 Euro hinaus. Das LG begründet dies mit dem nachvollziehbar unermesslichen seelischen Leid, das der Frau zugefügt worden sei. Sie habe ihr einziges Kind verloren, das aufgrund der vollständigen Abwesenheit des Vaters allein bei ihr aufwuchs. Allein das rechtfertigte schon ein hohes Schmerzensgeld. Noch hinzu komme, dass die Mutter auch sechs Jahre nach dem Todesfall noch beeinträchtigt ist. 

Das Ausmaß an Unrecht und Schuld der Raserfahrt hebe die Tat von anderen, auch schwersten Verkehrsunfällen, deutlich ab, so das LG,  schließlich war es Mord. Der durch eine vorsätzliche Tötung verursachte Verlust eines Kindes, der zu einer psychischen Erkrankung eines Elternteils mit einer jahrelangen Behandlungsbedürftigkeit und darüber hinaus anhaltenden Beeinträchtigungen führt, rechtfertige ein Schmerzensgeld in dieser Größenordnung. Außerdem komme erhöhend hinzu, dass die Versicherung noch nicht einmal eine Abschlagszahlung an die Frau leistete, nachdem der Fahrer rechtskräftig verurteilt wurde und der Frau fachärztlich eine Anpassungsstörung bestätigt wurde*.

Zusätzlich zum Schmerzensgeld steht der Mutter nach der Entscheidung noch die Erstattung eines Verdienstausfallschadens in Höhe von knapp 40.000 Euro zu.  Sie war infolge der durch die Todesmittelung ausgelösten psychischen Erkrankung nicht mehr in der Lage, ihrer beruflichen Tätigkeit nachzugehen. Der Sachverständige sei nachvollziehbar zu dem Ergebnis gelangt, dass die traumabedingten Einschränkungen im Alltag der Bewältigung eines Arbeitstages entgegenstanden. 

Die Klägerin wurde vertreten von Rechtsanwalt Gregor Maihöfer aus Friedrichsfehn.

*Satz ergänzt am 24.01.2025

Zitiervorschlag

Schmerzensgeld für Mutter des getöteten Sohnes: . In: Legal Tribune Online, 23.01.2025 , https://www.lto.de/persistent/a_id/56412 (abgerufen am: 12.02.2025 )

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