Ein Frauenfitnessstudio verwehrt einer trans Frau den Zutritt. NiUS und sein Chefredakteur bestehen darauf, sie als Mann zu bezeichnen. Julian Reichelt wurde das nun untersagt – in den Texten darf das falsche Geschlecht aber stehen bleiben.
Julian Reichelt hat kein Problem damit, trans Frauen als Männer zu bezeichnen. In einigen Fällen beharrt er sogar darauf. Während der Chefredakteur des rechten Nachrichtenportals NiUS meint, damit das "wahre", sog. biologische Geschlecht zu benennen, spricht man in der Sozialforschung von Misgendern oder misgendering. Auch Gerichte haben sich dieser Auffassung angeschlossen: Mehrfach hat das Landgericht (LG) Frankfurt am Main Reichelt-Medien schon untersagt, trans Frauen als Männer zu bezeichnen. Im Fall der trans Aktivistin Janka Kluge, die auf dem Reichelt-Blog "pleiteticker.de" – heute NiUS – als "(biologischer) Mann" bezeichnet worden war, bestätigte das Frankfurter Oberlandesgericht (OLG) die Entscheidung später.
Wie LTO nun erfuhr, kassierte Reichelt persönlich im Dezember eine gerichtliche Niederlage in Frankfurt wegen Misgenderns. Mit Eilbeschluss (v. 16.12.2024, Az. 2-03 O 432/24), der LTO vorliegt, untersagte das LG Frankfurt ihm per einstweiliger Verfügung Teile eines Tweets vom 15. November letzten Jahres. Reichelt hatte zulasten einer trans Frau geschrieben: "Wir dürfen [...] den Mann, der in die Damen-Umkleide wollte, wieder und weiter als das bezeichnen, was er ist: als Mann! Die Einstweilige Verfügung ist AUFGEHOBEN!"
Obwohl dieser Tweet eine korrekte Tatsachenaussage über ein anderes Gerichtsverfahren trifft, musste Reichelt ihn nun löschen. Das Gericht beanstandete neben dem Misgendern die Angabe des Vor- und Nachnamens der Betroffenen sowie das Posten eines unverpixelten Fotos. Der Beschluss enthält keine nähere Begründung, dafür aber die Anspruchsgrundlage für die Unterlassungsverfügung: §§ 823, 1004 Bürgerliches Gesetzbuch i.V.m. Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 Grundgesetz; hinsichtlich der Bildnisveröffentlichung sind §§ 22, 23 Kunsturhebergesetz zitiert. Die in der Normkette genannten Grundgesetz-Artikel lassen nur den Schluss zu, dass die 3. Zivilkammer das Misgendern als Verletzung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts erachtet. Damit bleibt sie ihrer Rechtsauffassung zum Misgendern treu. Die einzige Entscheidung der Pressekammer, die materiell-rechtlich nicht in die Reihe passt, ist vielmehr die, auf die Reichelt mit seinem Tweet Bezug nahm.
Frauen-Fitnessstudio als Ausgangspunkt
Den Ausgangspunkt beider Gerichtsverfahren bildet ein Fall, über den LTO und andere Medien im Mai 2024 berichtet hatten: Einer trans Frau, die ihren Geschlechtseintrag schon vor Jahren – lange vor dem umstrittenen Selbstbestimmungsgesetz der Ampel – von "männlich" auf "weiblich" geändert hatte, verwehrte ein Frauenfitnessstudio in Erlangen die Mitgliedschaft. Zuerst hatte NiUS über den Fall berichtet, dem Erstbericht folgten viele weitere. In der Berichterstattung wurde die Betroffene durchweg als Mann bezeichnet und männliche Pronomen verwendet. Daneben veröffentlichte NiUS in einigen Artikeln den Klarnamen sowie (verpixelte) Fotos der Frau, die wohl ihre Männlichkeit belegen sollen.
Die Betroffene ließ sich das nicht gefallen und ging mit ihrer Anwältin Dr. Katrin Giere (Dunkel Rechtsanwältinnen) vor dem LG Frankfurt gegen insgesamt sieben Artikel der Hetzkampagne vor (Az. 2-03 O 275/24). Die Pressekammer erließ in der Folge zwei sich inhaltlich widersprechende Eilentscheidungen, die LTO im Volltext vorliegen.
Im Juli fuhr die Betroffene zunächst einen Erfolg ein: Das Gericht erließ die beantragte Unterlassungsverfügung und untersagte NiUS alle drei Elemente – Misgendern, Foto- und Namensveröffentlichung. Anstatt die Artikel anzupassen, entschloss sich das Nachrichtenportal dazu, die Verfügung mit Unterstützung der Rechtsanwaltskanzlei von Joachim Steinhöfel anzufechten – und siegte damit seinerseits: Im Oktober hob die Kammer ihre eigene Verfügung wieder auf. Auf dieses Urteil nahm Reichelt Bezug mit seinem Tweet, den er nun löschen musste.
Julian Reichelt wird nun also das untersagt, was seinem Portal – in den sieben angegriffenen Artikeln – erlaubt bleibt: Hetze durch Misgendern, Foto- und Namensveröffentlichung.
LG Frankfurt bleibt sich treu – trotz widersprüchlicher Entscheidungen
Dass sich diese drei Gerichtsentscheidungen in ihrem Tenor widersprechen, ist offensichtlich. Doch anhand der Entscheidungsgründe löst sich der Widerspruch auf. Sie zeigen: Es liegt weder ein Versehen der 3. Zivilkammer vor noch ist diese wankelmütig. Im Gegenteil: Die Kammer bleibt ihrer schon im Fall von Janka Kluge formulierten Rechtsauffassung weiter treu: Die konsequente Bezeichnung einer trans Frau als Mann sei in den Artikeln von "pleiteticker.de" und NiUS nicht als Tatsachenbehauptung gemeint, sondern als diffamierende Wertung. Die Reichelt-Medien leisteten damit keinen schützenswerten Beitrag zu einer öffentlichen Debatte, sondern sie setzten sich schlicht über die geschlechtliche Selbstbestimmung der betroffenen Personen hinweg.
Auf Linie dieser Auffassung liegt sowohl der einstweilige Verfügungsbeschluss gegen NiUS vom Juli 2024 als auch der jetzige Verfügungsbeschluss gegen Reichelt. Aus der Reihe tanzt allein das Urteil vom Oktober, mit dem die Verfügung vom Juli aufgehoben worden ist – und dies hatte allein prozessuale Gründe.
Hier stellte die Kammer schon eingangs klar, dass sie "an ihrer materiell-rechtlichen Bewertung nach erneuter Abwägung und Sach- und Rechtslage festhält". Der Grund für die Aufhebung der einstweiligen Verfügung bestand in einem Fehler der Anwaltskanzlei der Betroffenen: Sie hatte die Verfügung nicht, wozu sie verpflichtet gewesen wäre, ordnungs- und fristgemäß an NiUS zugestellt. Nach §§ 936, 929 Abs. 3 S. 2, Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) muss die Person, die eine einstweilige Verfügung erwirkt, diese innerhalb eines Monats ab der gerichtlichen Zustellung an sich selbst auch dem Gegner zustellen. Der Gegner ist hier NiUS. An das Portal hatte die Kanzlei der Betroffenen die Zustellung auch fristgerecht erwirkt. Jedoch hatte Rechtsanwalt Reinhard Höbelt von der Kanzlei Steinhöfel inzwischen signalisiert, NiUS in dem Verfahren zu vertreten. Damit hätte die Zustellung nach § 172 ZPO an ihn erfolgen müssen.
Urteilt Karlsruhe über die NiUS-Artikel?
Dieser Zustellungsmangel war folgenschwer: Weil die Frist versäumt ist, lässt sich die Verfügung nach §§ 936, 929 Abs. 2, 3 S. 2 ZPO nicht mehr vollziehen. Und die Unvollziehbarkeit begründet neue Umstände, die eine Aufhebung der Verfügung nach § 927 ZPO rechtfertigen. Eine Berufung gegen das Urteil hätte keine Aussicht auf Erfolg. Damit ist das Eilverfahren gegen NiUS wegen der sieben angegriffenen Artikel beendet.
Möglich bleibt das Hauptsacheverfahren. Das will die Betroffene auch betreiben, wie die Kanzlei Dunkel gegenüber LTO inzwischen bestätigt hat. Allerdings dürfte das Jahre in Anspruch nehmen – und die Artikel bleiben so lange in der Welt. Das liegt auch daran, dass zu erwarten ist, dass NiUS die – aufgrund der bekannten Rechtsauffassungen der dortigen Presserichter:innen – zu erwartenden Niederlagen vor dem LG und OLG in Karlsruhe anfechten würde. Zuerst wäre der Bundesgerichtshof dran, danach könnte Reichelt Verfassungsbeschwerde erheben.
Um grundsätzliche Klärung in der Frage zu erreichen, ob Misgendern rechtswidrig ist, bietet sich das hiesige Verfahren für Reichelt nicht an. Denn hierbei handelt es sich nur um ein Eilverfahren, das vor dem OLG endet. Und das hatte seine Rechtsauffassung im Fall von Janka Kluge bereits klargemacht. Die Anfrage von LTO, ob Reichelt Widerspruch einlegen will, ließ die Kanzlei Steinhöfel bis zum Erscheinen des Artikels unbeantwortet. Seinen Sieges-Tweet vom 15. November hat der NiUS-Chef inzwischen jedenfalls schon gelöscht.
Hinweis: Die Information, dass die Betroffene im Hauptsacheverfahren gegen die NiUS-Artikel vorgehen will, hat LTO erst nachträglich erreicht. Sie wurde am 19.02.2025, 13:19 Uhr ergänzt (mk).
LG Frankfurt zum Misgendern: . In: Legal Tribune Online, 07.02.2025 , https://www.lto.de/persistent/a_id/56545 (abgerufen am: 17.03.2025 )
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