Darf ein Mann, der mit seiner Freundin eine künstliche Befruchtung begonnen hat, es sich zwischendrin anders überlegen? Ab wann entscheidet nur noch die Frau? Ein Verfahren am LG Bonn hat das Zeug zum Präzedenzfall. Vielleicht.
Das Landgericht (LG) Bonn könnte es sich einfach machen am Mittwoch. Die Kammer könnte die Klage der Frau abweisen, die sich ein Kind wünscht. Um es zu bekommen, verklagt sie ihren ehemaligen Lebensgefährten. Er soll der Weiterkultivierung und dem Transfer ihrer Eizellen zustimmen. Die liegen, schon mit seinen Spermien befruchtet, in einer Kinderwunschklinik in Düsseldorf. Würden sie aufgetaut und eingepflanzt, würde die Frau mit hoher Wahrscheinlichkeit schwanger.
Ihr ehemaliger Lebensgefährte aber, der mit ihr die Behandlung zur künstlichen Befruchtung begonnen hatte, will mittlerweile kein gemeinsames Kind mehr. Er hat ihr das nicht selbst gesagt. Stattdessen teilte die Kinderwunschklinik in Düsseldorf der 42-Jährigen mit, dass es Unregelmäßigkeiten gebe; man könne die bereits begonnene Behandlung nicht fortsetzen. Die Frau war in New York, als sie erfuhr, dass ihr Lebensgefährte nur Stunden nach ihrem Abflug seine Einwilligung zur Einpflanzung der Eizellen widerrufen hat. Noch tags zuvor sei man sich einig gewesen, auf diesem Wege ein gemeinsames Kind zeugen zu wollen, behauptet die Frau.
Ein notarieller Vertrag erlaubt dem Mann allerdings, genau das zu tun. Es ist ein Standardvertrag, ohne den die Düsseldorfer Ärzte die Kinderwunschbehandlung nicht durchführen. Nach seinem Wortlaut darf der Mann bis zum Transfer der Eizellen, also bis diese der Frau wieder eingepflanzt werden, seine Einwilligung widerrufen. Es wäre einfach, auf der Grundlage des Wortlauts dieses Vertrags die Klage der 42-Jährigen abzuweisen. Allerdings lebt sie zwar in Deutschland, ist aber nicht deutschsprachig. In ihrer Muttersprache Englisch hat sie den Vertrag aber nie gesehen. Ihr Lebensgefährte habe die relevante Passage nie für sie übersetzt, behauptet sie. Und ihr stets versprochen "The embryos are yours".
Beide wollten eine Schwangerschaft
Das ist unjuristisch gesprochen. Ein Embryo sind die Eizellen, die sie transferieren lassen will, unstreitig noch nicht. Über dessen Transfer könnte die Klägerin als Frau allein entscheiden. Das ergibt sich aus der Strafnorm des § 4 Embryonenschutzgesetz (ESchG). Nr. 2 der Regelung stellt den Transfer eines Embryos ohne Einwilligung - nur - der Frau unter Strafe. Nach Abs. 1 Nr. 1 der Vorschrift macht sich hingegen strafbar, wer eine Eizelle künstlich befruchtet, ohne dass die Frau und der Mann eingewilligt haben.
Die Zellen der Klägerin sind quasi dazwischen. Sie sind schon - in vitro - mit den Spermien ihres Ex-Freundes zusammengeführt worden. Der Mann hatte zugestimmt, dass alle seiner Freundin entnommenen Eizellen mit seinem Sperma befruchtet und weiterkultiviert werden sollten, um anschließend die befruchteten Eizellen auf sie zurück zu übertragen, bis sie schwanger ist.
Beim ersten Versuch klappte das nicht. Aber weitere, in Stickstoff eingefrorene, bereits mit den Spermien zusammengeführte Eizellen, sog. Zygoten, waren schon vorhanden und mussten der Klägerin nur eingesetzt werden. Um ihrem Körper etwas Zeit zu geben, sich zu erholen, beschloss sie gemeinsam mit ihrem Lebensgefährten und den behandelnden Ärzten, den nächsten Versuch erst im Anschluss an eine Reise nach New York zu unternehmen.
Eine Entscheidung, die sie bitter bereuen sollte. Ihr Freund, der ihr quasi noch am Flughafen versprochen haben soll, dass sie nach ihrer Rückkehr weiter machen würden wie geplant, widerrief seine Einwilligung, noch während sie im Flieger saß. Die Ärzte weigern sich nun, ihre Eizellen wieder einzusetzen.
Gutachten von prominenter Stelle
Rechtlich gesehen aber konnte er nicht mehr zurück, argumentiert der Anwalt der Frau, Johannes Daunderer. Über den Transfer der Eizellen und die damit verbundenen ärztlichen Handlungen könne in diesem sog. Vorkernstadium, also wenn die Zellen bereits mit den Spermien des Mannes zusammengeführt wurden, nur noch die Frau entscheiden. Nur sie allein habe zu diesem Zeitpunkt noch das Recht, über diesen Eingriff in ihren Körper zu disponieren.
Schließlich könne auch bei einer natürlichen Zeugung der Mann, der mit dem Geschlechtsverkehr einverstanden gewesen sei, es sich nicht im Nachhinein anders überlegen und die Frau dazu zwingen, die Pille danach zu nehmen oder eine Abtreibung vorzunehmen. Dann entschieden nur noch die Frau und die Natur darüber, ob sie schwanger wird.
Der Medizin- und Strafrechtler von der Medizinrechtskanzlei Ratajczak & Partner in München ist selbst Experte auf dem Gebiet des Rechts der Fortpflanzungsmedizin. Zudem, hat er sich Unterstützung von prominenter Seite geholt. In einem Gutachten vertritt Prof. Dr. Monika Frommel die Auffassung, dass es, wenn Mann und Frau zu Beginn in eine Kinderwunschbehandlung eingewilligt haben, im Zeitraum zwischen der Befruchtung der Eizelle und dem Transfer in den Körper der Frau keine Rolle mehr spielt, ob der Mann (immer noch) einverstanden ist.
Die ehemalige Direktorin des Institus für Sanktionenrecht und Kriminologie an der Universität Kiel war auch in dem Verfahren als Gutachterin tätigt, an dessen Ende der Bundesgerichtshof im Jahr 2010 die Präimplantationsdiagnostik zur Entdeckung schwerer genetischer Schäden erlaubte.
Auch der notarielle Vertrag ändere an der Rechtslage nichts, heißt es in Frommels Gutachten. Die Widerrufsklausel erlaube es dem Ex-Freund der Klägerin nicht mehr, sein zuvor in der Fruchtbarkeitsklinik erklärtes schriftliches Einverständnis in die Behandlung zum Zweck einer Schwangerschaft zu widerrufen. Die Regelung sei vielmehr so auszulegen, dass ein Widerruf nur bis zur Befruchtung der Eizelle der Frau möglich wäre. Jede andere Auslegung, so ihre Argumentation, würde gegen die Wertungen des Embryonenschutzgesetzes (EschG) verstoßen und wäre daher nach § 134 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) nichtig. Der Anwalt des Mannes wollte sich gegenüber LTO nicht zu dem Verfahren äußern.
2/2: Vermutlich die letzte Chance
Der 42-jährigen Klägerin bleibt vermutlich nicht mehr viel Zeit, wenn sie ein Kind haben möchte. Ab dem 40. Lebensjahr nimmt die Möglichkeit, schwanger zu werden, rapide ab. "Es ist vermutlich ihre letzte Chance", fasst Klägervertreter Daunderer zusammen.
Beim Inkrafttreten des ESchG im Jahr 1991 dachte noch niemand an die Fragen, die sich heute stellen. Das liegt nicht nur daran, dass es gestreckte Verfahren wie das von der Frau und ihrem deutschen Ex-Freund gewählte damals noch gar nicht gab. Das Erfordernis einer guten und damit in der Regel langen Ausbildung hat ein Bedürfnis geschaffen, mit dem die weibliche Biologie nicht immer mithalten kann.
"Könnte der Mann darüber entscheiden, dass die Frau die gemeinsamen Vorkernstadien vernichten lassen muss, indem er nun den Transfer verweigert, würde das seine Interessen nur unwesentlich beeinträchtigen", erklärt der Münchner Anwalt. Männer können sich schließlich fortpflanzen bis ins hohe Alter. "Für die Frau um die 40 hingegen bedeutet die Vernichtung der behandelten Vorkernstadien oder Embryonen, dass sie keine Chance mehr hat auf ein genetisch eigenes Kind."
Das wäre seines Erachtens, da eine Frau nicht ausweichen könne auf die in Deutschland verbotene Eizellenspende, "eine unerträgliche Einschränkung der Reproduktionsfreiheit und daher verfassungswidrig".
Zeug zum Präzedenzfall?
Daunderer will am Mittwoch nicht nur für seine Mandantin kämpfen, die ebenso wie ihr ehemaliger Lebensgefährte persönlich zum ersten Termin vor das LG Bonn geladen ist. Er will einen Präzedenzfall schaffen. "Entwicklungen im Recht der Fortpflanzungsmedizin entstehen fast immer nur aus solchen Einzelverfahren heraus", so der Münchner Anwalt gegenüber LTO.
Er ist sich bewusst, dass auch der vom Oberlandesgericht Rostock entschiedene Fall aus dem Jahr 2010, auf den er seine Argumentation u.a. stützt (Urt. v. 07.05.2010, Az. 7 U 67/09), einer dieser Einzelfälle ist. Die Eizellen, um die es dort ging, waren zwar ebenso befruchtet wie die der nun vor dem LG Bonn klagenden Frau. Der Mann in dem dortigen Verfahren war aber verstorben, die behandelnden Ärzte hatten Angst vor einem Verstoß gegen das ESchG, wenn sie nach seinem Tod seiner Witwe die Eizellen einsetzten. Die Richter in der Hansestadt haben damals genau jene Differenzierung zwischen befruchteten und unbefruchteten Eizellen vorgenommen, die auch Daunderer und seine Mandantin vertreten, und der klagenden Witwe einen Herausgabeanspruch zuerkannt. Aber kann man die Situation vergleichen, wenn der potenzielle Vater nicht tot ist, sondern seine Meinung geändert hat?
An rechtlich etwas abenteuerliche Argumentationsstrukturen ist Medizinstrafrechtler Daunderer gewöhnt. Ihm ist bewusst, dass das Gericht sich auf den Wortlaut des Vertrags stützen kann, um seine Argumentation zu stürzen. Für wahrscheinlich hält er das nicht, "wenn die Kammer bereit ist, sich mit den Hintergründen des Falles auseinander zu setzen". Die grundrechtlichen Implikationen sind aus seiner Sicht nicht zu ignorieren.
Ob er den Anspruch seiner Mandantin auf Zustimmung zur Weiterkultivierung und Transfer auf deren Eigentum an ihren Eizellen, auf die "gebotene Auslegung des ESchG", auf Treu und Glauben oder eine sittenwidrige Schädigung aus § 826 BGB stützt, ist ihm dagegen am Ende herzlich gleichgültig, wenn das Ergebnis stimmt.
Das sollte im besten Fall die Fortsetzung der Kinderwunschbehandlung in der Düsseldorfer Klinik sein. Wenn die dortigen Ärzte dazu wegen der zwischenzeitlichen Trennung des Paares nicht mehr bereit sein sollten, fordert seine Mandantin die Herausgabe ihrer Eizellen, damit sie sich diese in einer anderen Praxis einsetzen lassen kann. Nur hilfsweise will sie von ihrem Ex-Freund die Kosten der Behandlung zurück. Diese nutzlosen Aufwendungen dürften dann allerdings ihr kleinstes Problem sein.
Pia Lorenz, 42-Jährige verklagt Ex-Freund: Wem gehören befruchtete Eizellen? . In: Legal Tribune Online, 07.09.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/20498/ (abgerufen am: 23.04.2024 )
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