LTO exklusiv: LG Berlin untersagt Twittersperre: Zuläs­sige Mei­nungs­äu­ße­rung, nicht Wahl­be­ein­flus­sung

von Pia Lorenz

24.05.2019

Twitter muss einen gesperrten Account der Berliner AfD vorläufig wieder freischalten. Das LG Berlin traf damit die wohl erste gerichtliche Entscheidung zu den umstrittenen Sperren des Netzwerks wegen angeblicher Wahlbeeinflussung. 

Das Landgericht (LG) Berlin hat am Donnerstag* eine einstweilige Verfügung gegen Twitter erlassen. Das soziale Netzwerk darf zwei Tweets des Berliner Landesverbands der AfD nicht löschen und auf diese auch keine Accountsperrung  stützen. Die Tweets seien als Meinungsäußerung und Parteipolitik selbst nach den Twitter-internen Regeln keine Wahlbeeinflussung, so das LG in seiner einstweiligen Verfügung, die LTO vorliegt (Beschl. v. 23.05.2019*, Az. 27 O 282/19). Die aus einem Streitwert von 30.000 Euro bemessenen Kosten für das Verfahren im einstweiligen Rechtsschutz werden Twitter auferlegt. 

So weit bekannt ist es die erste gerichtliche Entscheidung zu den zahlreichen Account-Sperrungen, die das soziale Netzwerk in den vergangenen Wochen vornahm. Betroffene Accounts bleiben für andere Nutzer sichtbar, sind aber für ihren Inhaber nicht mehr zugänglich. Zur Begründung der Sperrungen beruft Twitter sich auf eine interne Richtlinie, mit der Wahlbeeinflussung im Vorfeld der Europawahl am kommenden Sonntag verhindert werden soll.

Das soziale Netzwerk sperrte auch Accounts wegen Äußerungen, die ersichtlich satirisch oder zweifelsohne von der Meinungsfreiheit gedeckt waren. So wurden Accounts der Berliner Staatssekretärin Sawsan Chebli (SPD), der Jüdischen Allgemeinen, des Berliner SPD-Politikers und Juristen Sven Kohlmeier, aber auch von diversen Rechtsanwälten blockiert. Ein Tweet, der Vieltwitterer Rechtsanwalt Thomas Stadler den Zugriff auf seinen Account kostete, war bereits mehrere Jahre alt. 

Ein einfaches Mittel, um politische Gegner auszuschalten? 

Schnell kam unter Nutzern, die die Sperrungen unter dem Hashtag #twittersperrt sammeln, der Verdacht auf, dass die Meldefunktion aus dem gegnerischen politischen Spektrum im politischen Meinungskampf missbraucht werde, um missliebige Meinungen auszuschalten. 

Aber auch die AfD erwischte es. Am 13. Mai wurde der Twitter-Account des Berliner Landesverbands gesperrt, zur Begründung verwies Twitter auf zwei Tweets des Verbands. Der erste lautete "++ Berliner 'Edel' - Italiener will #AfD-Spitze nicht bewirten ++ Die Ausgrenzung nimmt groteske Züge an. Stoppen wird uns das Establishment nicht!". 

Der zweite Tweet nahm auf einen Artikel in der Berliner Zeitung vom 7. Mai Bezug unter der Überschrift "Lehrer warnen Berliner Schüler vor dem Fasten". Die Rechtspopulisten twitterten dazu: "++ #Rahmadan: Lehrer warnen Berliner Schüler vor dem Fasten ++ #Islamisierung ist, wenn fremde Traditionen unseren Alltag verändern. Zeit für die AfD!“ Beigefügt war ein Bild, auf dem ein schlafender Schüler abgebildet ist.

LG Berlin: Meinung und Parteipolitik sind erlaubt, auch bei Twitter 

Nun muss Twitter die Posts wieder herstellen und den Account freischalten. Mit der Sperrung habe das Unternehmen seine vertragliche Pflicht i.V.m. mit § 241 Abs. 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) verletzt, auf die Rechte der AfD, speziell ihre Meinungsfreiheit, Rücksicht zu nehmen, so das LG Berlin. 

Das LG richtet seine Prüfung aus an der Twitter-eigenen "Richtlinie zur Integrität von Wahlen", auf die das Unternehmen die Sperre stützte. Weder die Löschung des Tweets noch die Sperrung des Accounts hätten eine Grundlage in der Richtlinie, heißt es in dem Beschluss. Die Tweets enthielten keine irreführende Information oder Unterdrückung oder Einschüchterung von Wählern, der Account sei auch nicht gefälscht. 

Ob der Vertrag mit der AfD ein Dienstvertrag ist und ob die Richtlinie wirksam einbezogen wurde, lässt das Gericht offen: Die Posts seien schließlich von der Meinungsfreiheit der Antragstellerin umfasste Meinungsäußerungen zu den Artikeln in der B.Z., und als parteiische Standpunkte zu Politik auch durch die Richtlinie selbst ausdrücklich ausgenommen. Dort heißt es, wenn keine anderen Verstöße vorliegen, gelten nicht als Verstoß gegen die Richtlinie "organische Inhalte, die polarisieren, parteiisch oder überparteilich sind oder kontroverse Standpunkte zu Wahlen oder Politik enthalten". 

Twitter-Mitarbeiter aus aller Welt prüfen beanstandete Tweets

Die interne Richtlinie ist Twitters Reaktion auf die in den vergangenen Jahren erhobenen Vorwürfe, die sozialen Netzwerke täten zu wenig gegen dort stattfindende Wahlbeeinflussung. In der daraufhin zur Europawahl eingeführten "Richtlinie zur Integrität von Wahlen" heißt es unter anderem: "Es ist nicht erlaubt, falsche oder irreführende Informationen zur Art und Weise der Teilnahme an einer Wahl oder einer anderen Bürgerabstimmung zu teilen." Zudem dürfen demnach "keine falschen oder irreführenden Informationen mit dem Ziel geteilt werden, Wähler einzuschüchtern oder von der Teilnahme an einer Wahl abzuhalten."

Nutzer können wahlbezogene falsche und irreführende Informationen melden. Das ist an sich nicht neu, Twitterer können auch andere Tweets melden, aber in aller Regel passiert daraufhin zunächst einmal länger nichts. Bei wegen angeblicher Wahlbeeinflussung gemeldeten Tweets hingegen reagiert das Netzwerk offenbar schnell. In einer wegen der Sperrungen in der vergangenen Woche anberaumten, nichtöffentlichen Anhörung vor dem Digitalausschuss im Deutschen Bundestag soll eine Sprecherin des Unternehmens erklärt haben, die monierten Tweets würden nicht von Algorithmen, sondern von Menschen überprüft. Allerdings sollen diese überall auf der Welt sitzen, möglicherweise sind es also weit überwiegend keine deutschen Muttersprachler. 

Wie die Parteien des einstweiligen Verfügungsverfahrens mit der Entscheidung umgehen werden, ob Twitter Widerspruch einlegen oder jemand die Angelegenheit ins Hauptsacheverfahren treiben wird, war bis zur Veröffentlichung dieses Artikels nicht zu ermitteln. 
 

*Anm. d. Red.: Geändert am Tag der Veröffentlichung um 21:52 Uhr. Hier stand fälschlich, der Beschluss sei von Freitag, tatsächlich erging er am Donnerstag, den 23. Mai. 

Zitiervorschlag

LTO exklusiv: LG Berlin untersagt Twittersperre: Zulässige Meinungsäußerung, nicht Wahlbeeinflussung . In: Legal Tribune Online, 24.05.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/35601/ (abgerufen am: 28.03.2024 )

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