Ist die Parole "From the river to the sea, Palestine will be free" ein Kennzeichen der Hamas? Das bleibt unter den Gerichten weiter umstritten. Klarheit hätte der BGH schaffen sollen, doch die Betroffene hat die Revision nun zurückgenommen.
Anfang November verurteilte das Landgericht Berlin I eine Frau wegen der umstrittenen Palästina-solidarischen Parole "From the River to the Sea, Palestine will be free". Das Urteil (v. 08.11.2024, Az. 502 KLs 21/24), über das LTO berichtet hatte, ist nun rechtskräftig geworden. Die Betroffene hat ihre noch im November eingelegte Revision zurückgenommen, teilte eine Gerichtssprecherin der dpa mit. Warum die Angeklagte ihre Revision zurückgenommen hat, ist nicht bekannt. Ihr Anwalt ließ eine entsprechende LTO-Anfrage zunächst unbeantwortet.
Damit landet der Fall nicht vor dem Bundesgerichtshof (BGH). Das ist aus juristischer Sicht besonders schade, da so auf absehbare Zeit keine Rechtssicherheit in der Frage herrschen wird, ob es sich bei der Parole um ein Kennzeichen der Terrororganisation Hamas handelt, dessen Äußerung nach § 86a Strafgesetzbuch (StGB) strafbar ist.
Die Staatsschutzkammer des LG Berlin I hatte die Frau mit iranischer Staatsbürgerschaft für die Verbreitung der Parole wegen Verwendens von Kennzeichen terroristischer Organisationen schuldig gesprochen und zu einer Geldstrafe von 130 Tagessätzen zu je 10 Euro verurteilt. Sie hatte zwischen November und Dezember 2023 über ihr öffentlich einsehbares Instagram-Profil in zwei Fällen die Parole "From the River to the Sea, Palestine will be free" gepostet.
Bundesinnenministerium verbietet die Parole 2023
Der Satz drückt die Forderung einer Befreiung Palästinas auf dem Gebiet zwischen dem Fluss Jordan und dem Mittelmeer aus – also dort, wo sich jetzt Israel und die von Israel besetzten palästinensischen Gebiete befinden. Der weitere Bedeutungsgehalt ist umstritten, weil sowohl die Forderung nach einer Befreiung als auch der Begriff Palästina nicht eindeutig bestimmt sind.
Einige sehen in dem Spruch einen Aufruf zur gewaltsamen Vernichtung des Staates Israel (und seiner Bewohner). Andere meinen, damit werde der Wunsch nach einer Befreiung der palästinensischen Gebiete von israelischer Besatzung ausgedrückt. Dies entspräche der Position des Internationalen Gerichtshofs, der in seinem Gutachten vom Juli 2024 von Israel gefordert hat, die seit 1967 andauernde Besatzung umgehend zu beenden, und wäre vereinbar mit der Zweistaatenlösung. Der Spruch wird aber auch mit dem Ruf nach einem gemeinsamen säkularen Staat in Verbindung gebracht, in dem Juden und Palästinenser nebeneinander leben.
Die Debatte, ob der Ausspruch als strafbares Hamas-Kennzeichen einzustufen ist, setzte das Bundesinnenministerium (BMI) als Reaktion auf den 7. Oktober 2023 in Gang. Bei dem Terrorangriff der Hamas im Süden Israels wurden auf israelischer Seite etwa 1.200 Menschen getötet und 250 als Geiseln nach Gaza verschleppt. Anschließend sprach Innenministerin Nancy Faeser (SPD) ein Betätigungsverbot gegen Hamas in Deutschland aus. In der Verbotsverfügung vom 2. November 2023 untersagte das BMI Flaggen und Symbole der Hamas und schließlich auch den Ausspruch "vom Fluss bis zum Meer" in sämtlichen Sprachen. Viele Generalstaatsanwaltschaften entschieden darauf hin, die Parole konsequent zu ahnden.
Ist die Parole ein Hamas-Kennzeichen?
Wenn die Einschätzung des BMI zutrifft, dass es sich bei der Parole um ein Hamas-Kennzeichen handelt, unterfällt die Äußerung dem Verbot der §§ 86, 86a StGB. Danach wird bestraft, wer Kennzeichen von verbotenen, terroristischen oder verfassungswidrigen Vereinigungen verwendet. Praktisch werden danach vor allem Nazi-Symbole, Grußformeln oder Gesten wie das Hakenkreuz oder der Hitlergruß bestraft.
Unter Juristen und Historikern ist jedoch umstritten, ob die Parole eindeutig der Hamas zugeordnet werden kann. Das gilt sowohl für die auf Demonstrationen übliche Langformel "From the River to the Sea, Palestine will be free" als auch für den ersten Satzteil allein. Unter den in der Regel erstinstanzlich zuständigen Amtsgerichten herrscht alles andere als Einigkeit, ebenso unter den Verwaltungs- und Oberverwaltungsgerichten.
Soweit ersichtlich, hat bislang nur zweimal eine Strafkammer am Landgericht über die Strafbarkeit nach § 86a StGB entschieden – auch hier mit entgegengesetzten Ergebnissen.
Das LG Mannheim bestätigte im Mai 2024 eine Entscheidung des örtlichen Amtsgerichts, welches den Erlass eines Strafbefehls wegen der Parole abgelehnt hatte. Die Mannheimer Richter argumentierten damit, dass einerseits die Langfassung der Parole nicht identisch sei mit der Formulierung in der Hamas-Charta von 2017 und es sich andererseits bei der Kurzfassung ("From the River to the Sea") nur um eine Gebietsbeschreibung, nicht aber um eine Parole im Rechtssinn handele.
BGH: Verbotene Organisation muss sich Kennzeichen zu eigen machen
Anders sah es im November das LG Berlin I im vorliegenden Fall. Zwar erkannte die hier ausnahmsweise erstinstanzlich zuständige große Strafkammer an, dass der Spruch von unterschiedlichen, auch israelischen, Akteuren mit unterschiedlichem Bedeutungsgehalt verwendet werde. Jedoch habe die Hamas die Passage "From the River to the Sea" 2017 in ihre Charta aufgenommen. Es handle sich dabei nicht bloß um eine neutrale Gebietsbeschreibung, sondern um "eine Chiffre für den Kampf der Hamas gegen Israel und für die sprachlich nur angedeutete, aber inhaltlich unverkennbare Bedrohung für die Existenz des Staates Israel".
Die Berliner Richter wiesen auf die Verwendung des Slogans durch die PLO/Fatah in den 1960er-Jahren hin. Zu den von Historikern ins Spiel gebrachten biblischen Ursprüngen der Fluss-Meer-Metapher findet sich in dem Urteil nichts.
Nach der Rechtsprechung des BGH kommt es auf die historische Verwendung aber ebenso wenig an wie darauf, ob auch andere Gruppen den betreffenden Ausspruch verwenden. Entscheidend soll allein sein, ob sich die verbotene Organisation den Spruch durch Widmung oder bestimmte Kommunikationen zu eigen gemacht hat. Diese Rechtsprechung hat sich im Zusammenhang mit Zeichen und Symbolen entwickelt. Inwiefern sie sich auf Sprüche oder Sätze übertragen lässt, die der Interpretation grundsätzlich zugänglich sind, ist noch offen. Welche Rechtsfragen im Einzelnen zu klären sind und welche Gerichte bislang wie entschieden haben, hatte LTO anlässlich der Revision im Berliner Fall zusammengefasst.
Entscheidet das BVerfG zuerst?
Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) jedenfalls verpflichtet die Strafgerichte wegen der Bedeutung der Meinungsfreiheit, bei mehrdeutigen Aussagen, wenn nicht völlig fernliegend, eine straflose Interpretation zugrunde zu legen.
Deshalb erfüllt die Äußerung auch nur ausnahmsweise den Tatbestand der Billigung von Straftaten nach § 140 StGB. Dies kommt insbesondere in engem zeitlichen Zusammenhang zu Gräueltaten der Hamas in Betracht. So wurde im August etwa eine Frau vom Amtsgericht Berlin-Tiergarten nach § 140 StGB verurteilt, die die Parole am 11. Oktober 2023 auf einer Demo in Berlin rief. Denn dies könne vier Tage nach dem Hamas-Angriff nur als Zustimmung zum Terror gewertet werden. Eine Strafbarkeit nach § 130 StGB wegen Volksverhetzung scheidet regelmäßig schon deshalb aus, weil dieser Tatbestand nur inländische Personengruppen vor Hetze und Gewaltaufrufen schützt, die Parole sich aber, wenn überhaupt, gegen Juden in Israel richtet.
Dass der BGH zu § 86a StGB absehbar Klarheit schafft, ist nicht zu erwarten. In aller Regel kommen die betroffenen Fälle gar nicht dort an: Wegen der geringen Straferwartung sind erstinstanzlich meist die Amtsgerichte zuständig, in diesen Fällen endet der Instanzenzug beim Oberlandesgericht (OLG). Im Berliner Fall hatte ein anderes Delikt ausnahmsweise die erstinstanzliche Zuständigkeit einer Staatsschutzkammer am Landgericht begründet, sodass der BGH für die Revision zuständig gewesen wäre.
Nun, da die verurteilte Frau diese zurückgenommen hat, ist nicht unwahrscheinlich, dass sich von den Karlsruher Gerichten zuerst das BVerfG zu der Parole äußern wird. Wenn ein OLG als letzte Instanz entscheidet, ist gegen diese Verurteilung ebenso eine Verfassungsbeschwerde möglich wie gegen ein Urteil des BGH. Bislang ist allerdings noch keine obergerichtliche Entscheidung bekannt geworden.
Mit Material der dpa
Revision zurückgenommen: . In: Legal Tribune Online, 10.03.2025 , https://www.lto.de/persistent/a_id/56764 (abgerufen am: 18.03.2025 )
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