Die Äußerung "Drecks Fotze" soll sich noch haarscharf an der Grenze des Hinnehmbaren bewegen, so die Berliner Richter. Sie entschieden, dass 22 gerügte Beschimpfungen gegen Renate Künast auf Facebook keine Beleidigungen seien.
Die Äußerungen reichen von "Stück Scheisse" über "Drecks Fotze" bis zu "Sondermüll". Zu insgesamt 22 Kommentaren auf Facebook, die sich gegen die Grünen-Bundestagsabgeordnete Renate Künast richten, musste das Landgericht (LG) Berlin entscheiden. Der 14-seitige Beschluss vom 9. September 2019, Az. 27 AR 17/19, liegt LTO vor. Das Ergebnis der Richter: "keine Diffamierungen der Person" und "damit keine Beleidigungen". Alle Kommentare wiesen einen Sachbezug auf, so die Richter.
Künasts Anwalt sieht das völlig anders. "Die Aussagen sind klare Formalbeleidigung. Es ging den Personen ausschließlich darum, unsere Mandantin zu diskreditieren", so der Frankfurter Anwalt Dr. Severin Riemenschneider gegenüber LTO. "Es ist für mich unerträglich, dass eine für das Äußerungsrecht so bedeutende Kammer des LG Berlin diesen Straftätern mit ihrem Beschluss Rückendeckung gibt."
Hintergrund ist ein Zwischenruf von Künast aus dem Jahr 1986 im Berliner Abgeordnetenhaus im Zusammenhang mit der damaligen Pädophilie-Debatte bei den Grünen. Ihr war damals unterstellt worden, sich hinter Forderungen nach Straffreiheit für Sex mit Kindern zu stellen. Dies hatte sie zurückgewiesen.
Neuer Anlass für die Kommentare war ein Artikel auf Welt.de unter der Überschrift "Grünen-Politikerin Künast gerät in Erklärungsnot" aus 2015. "Klingt das nicht, als wäre Sex mit Kindern ohne Gewalt okay?", fragt der Autor in dem Artikel. Ein Facebook-Post hatte diese Aussage mit einem Foto von Künast und einer ihr in den Mund gelegten Aussage zur Zulässigkeit von Sex mit Kindern verwendet: "Komma, wenn keine Gewalt im Spiel ist, ist Sex mit Kindern doch ganz ok. Ist mal gut jetzt". Die Kommentare, um die es vor dem LG Berlin ging, sind allesamt Reaktionen auf diesen Post.
LG: Polemik, Sexismus aber keine Beleidigung
Die Politikerin wollte erreichen, dass Facebook die personenbezogenen Daten von 22 Nutzern herausgeben darf, die diesen Post weiterverbreitet bzw. kommentiert haben. Sie wollte damit zivilrechtlich gegen die Personen vorgehen.
Nach § 14 Abs. 3 Telemediengesetz (TMG) darf ein Diensteanbieter wie Facebook Auskunft über die bei ihm vorhandenen Bestandsdaten erteilen, soweit sie zur Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche erforderlich sind, die aus Verstößen gegen § 1 Abs. 3 Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) herrühren. Die Vorschrift verweist für die Rechtswidrigkeit von Inhalten u.a. auf die Beleidigungstatbestände des Strafgesetzbuchs in den §§ 185 ff. StGB.
Der Beschluss stellt dazu fest: "Diese Voraussetzungen liegen nicht vor". Alle angeführten Äußerungen stellten sich als Meinungsäußerungen dar. Auch wenn sie, wie das Gericht einräumt, "zwar teilweise sehr polemisch und überspitzt und zudem sexistisch" seien. Den Bezugspunkt für die Rechtfertigung der Beiträge als sachthemenbezogene Meinungsäußerungen soll die Politikerin aus Sicht der Kammer selbst geschaffen haben – durch ihren Zwischenruf im Abgeordnetenhaus 1986.
LG: "Dass die Äußerung sexualisiert ist, ist das Spiegelbild der Sexualisiertheit des Themas"
Damit hat sie quasi ein Sachthemenfeld eröffnet, an das sich die Kommentare bei Facebook anhängen konnten. Und zwar soll es nach Auffassung der 27. Zivilkammer dafür offenbar ausreichen, dass heftige Äußerungen zur Person Künast mit dem Post verknüpft werden, der sie beschuldigt, Sex mit Kindern gutzuheißen. Soll heißen: Wer seine hasserfüllten Aussagen mit einem irgendwie sachbezogenen Facebook-Post verknüpft, kann einen Sachbezug aufweisen.
Wenn dieser Post auch noch einen Bezug zum Thema Sexualität aufweist, dürfen die hasserfüllten Äußerungen darüber hinaus nach Ansicht des LG Berlin auch sexuell aufgeladen sein. So heißt es in dem Beschluss: "Die Äußerung 'Wurde diese "Dame" vielleicht als Kind ein wenig viel gef… und hat dabei etwas von ihren Verstand eingebüßt. …' stellt wiederum eine polemische und überspitze, aber nicht unzulässige Kritik dar. Denn wie sich aus dem nachfolgenden Satz ergibt, geht es um eine auf die Äußerung der Antragstellerin bezogene Kritik." Und: "Dass die Äußerung sexualisiert ist, ist das Spiegelbild der Sexualisiertheit des Themas."
Was müssen sich Politiker gefallen lassen?
Die Richter weisen in dem Beschluss außerdem darauf hin, dass Künast als Politikerin zudem in stärkerem Maße Kritik hinnehmen müsse. Das entspricht einer ständigen Rechtsprechung." Anders als man denken könnte, entfaltet das Strafrecht für Politiker keinen besonderen Schutz, sondern mutet ihnen eine besondere Duldungspflicht zu", erläuterte der Augsburger Strafrechtsprofessor Michael Kubiciel kürzlich bei LTO die Rechtslage. "Sie sollen sogar persönlich diffamierende Äußerungen hinnehmen, wenn diese einen Bezug zur Politik aufweisen." Den Hintergrund bildet eine ganze Reihe von Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG), die der Meinungsfreiheit im Bereich der strafrechtlichen Beleidigung ein großes Gewicht beigemessen hatten.
Das BVerfG hatte angemahnt, dass eine Aussage nicht vorschnell als Schmähkritik bewertet werden dürfe, bei der dann keine Abwägung mehr stattfinde - eine aus grundrechtlicher Sicht einschneidende Folge. Solange ein Bezug zu einer Sachauseinandersetzung bestehe und sich die Äußerungen nicht auf bloße persönliche Herabsetzung beschränkten, seien sie auch nicht als Schmähung einzustufen. Sie könnten dann nur nach einer umfassenden Abwägung mit der Meinungsfreiheit als Beleidigung bestraft werden, so das BVerfG erst im Sommer 2019. "Auch für die verbale Auseinandersetzung mit Politikern muss es Grenzen geben", sagt Künasts Anwalt Riemenschneider. "Die Meinungsfreiheit endet, wo wie hier ohne Sachbezug nur noch die Person angegriffen wird."
Für jeden der 22 Kommentare hat das LG Berlin einige wenige Sätze zur Einordnung verfasst, etwa: "Die […] Äußerung 'Knatter sie doch mal einer so richtig durch, bis sie wieder normal wird!" ist eine sicherlich geschmacklose Kritik, die mit dem Stilmittel der Polemik sachliche Kritik übt. Es geht dem Äußernden erkennbar nicht darum, die Antragstellerin als Person zu diffamieren, sondern an der von ihr getätigten Äußerung Kritik zu üben."
Künast kündigte an, gegen den Berliner Beschluss vorzugehen. "Der Beschluss des Landgerichts sendet ein katastrophales Zeichen, insbesondere an alle Frauen im Netz, welchen Umgang Frauen sich dort gefallen lassen sollen", sagte sie der dpa. Anwalt Riemenschneider sagte LTO, dass die Beschwerde gegen den Beschluss derzeit vorbereitet werde.
LG Berlin zu Verbalattacken auf Renate Künast: . In: Legal Tribune Online, 19.09.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/37733 (abgerufen am: 13.12.2024 )
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