Der RBB will seiner Ex-Intendantin die vereinbarte Betriebsrente wegen Sittenwidrigkeit nicht zahlen. Dabei habe Schlesinger das teure Ruhegeldsystem so vorgefunden, sagte nun das LG Berlin II und riet zu einem ebenfalls teuren Vergleich.
Ein Rechtsstreit um Ruhegelder, sittenwidrige Anstellungsverträge und Pflichtverletzungen im Dienst würde man beim Arbeitsgericht verorten. Dort finden die Prozesse gegen die frühere Justiziarin und einige ehemalige Direktoren des RBB, die im Zuge der Schlesinger-Affäre gehen mussten, auch statt. Anders aber im Fall der Namensgeberin des Medienskandals, der ehemaligen Intendantin Patricia Schlesinger. Sie nahm am Mittwoch auf der Fensterseite des Saals 208/209 des Landgerichts (LG) Berlin II Platz. Der Fall liegt dort bei der 105. Zivilkammer, einer Kammer für Handelssachen (Az. 105 O 6/23).
Die ist neben dem Vorsitzenden mit zwei ehrenamtlichen Richtern besetzt, die eingetragene Kaufleute, Vorstandsmitglieder oder Geschäftsführer einer juristischen Person oder Prokuristen sein müssen. Üblicherweise sind solche Kammern (auf gesonderten Antrag) zuständig für Streitigkeiten zwischen Kaufleuten oder zwischen juristischen Personen des Privatrechts und ihren Organen, hier also auch für den zwischen einem öffentlich-rechtlichen Sender und seiner ehemaligen Intendantin. Nach zweieinhalb anspruchsvollen Stunden Verhandlung war den Zuschauern und Journalisten auch klar, warum: Die zentralen Vorwürfe sind gesellschaftsrechtlicher Art.
Weite Teile des hochkomplexen Streits um Schlesingers üppiges Ruhegeld von monatlich 18.400 Euro und die ihr vom RBB entgegengehaltenen Vorwürfe drehten sich um die gleiche Frage: Sind Rechtsgeschäfte, die ohne die ordnungsgemäße Billigung durch den Verwaltungsrat als Kontrollgremium vorgenommen werden, automatisch eine Pflichtverletzung? Der Vorsitzende Richter Thomas Markfort stellte immer wieder Bezüge zur Aktiengesellschaft her.
Millionen-Bauprojekt statt Massagesessel
Er zeigte dabei deutliche Skepsis gegenüber einem Hauptteil der vom RBB gegen seine Ex-Intendantin erhobenen Vorwürfe und auf die darauf gestützten Gegenforderungen im Umfang von rund neun Millionen Euro, die der Sender per Widerklage geltend macht.
Eine geringe Rolle spielten am Mittwoch die Vorwürfe, die den Skandal im Sommer 2022 ins Rollen gebracht hatten. Dienstwagen mit Massagesitzen, eine begrünte Wand, Eichenparkett und ein Massagesessel im Büro, Essen auf Senderkosten bei Schlesinger zuhause und eine zu Unrecht dienstlich abgerechnete Reisen – alle diese zum Teil fragwürdigen Vorwürfe streiften die Beteiligten nur. Richter Markfort nannte dies die "kleinen Positionen" des Rechtsstreits und legte den RBB-Vertretern gleich zu Beginn nahe, diese "aus dem großen Zusammenhang rauszunehmen". Es war ein früher Versuch des Gerichts, die Voraussetzungen für einen Vergleich zu schaffen.
Eine Randbemerkung zu den vieldiskutierten Abendessen im Hause Schlesinger ließ sich der Richter jedoch nicht nehmen. "Was denken denn die Leute, warum sie da eingeladen sind?" Diese rhetorische Frage richtete sich wohl an Berlins Polizeipräsidentin Barbara Slowik, die auch zu Schlesingers Gästen gehört hatte. Sie hatte sich 2022 "erstaunt" und "irritiert" gezeigt, dass Schlesinger die Catering-Kosten dem RBB in Rechnung gestellt hatte. "Was zulässiges Netzwerken ist und was nicht, da gibt es vielleicht auch eine Einschätzungsprärogative der Intendanz", sagte Markfort.
Finanziell schwerer wiegt der Vorwurf des Senders, Schlesinger habe Führungskräften variable Vergütungen gewährt, ohne dass ordnungsgemäß das Einverständnis des Verwaltungsrats eingeholt worden sei. Zusammen mit den "kleinen Positionen" belaufen sich die bezifferten Forderungen des RBB laut Gericht auf 1,78 Millionen Euro. Den größten Schadensposten, den der RBB geltend macht, bildet aber das "Digitale Medienhaus", ein unter Schlesinger initiiertes, nach dem Skandal vom Sender eingestampftes Bauprojekt. Die Forderung ist in der Widerklage bislang nicht konkret beziffert, wird aber wohl mit rund sieben Millionen Euro veranschlagt.
Millionenschwere Ruhegeldforderung
Ein Bündel aus verschiedenen Vorwürfen – das war es auch, was der RBB Ende August 2022 zur Begründung der fristlosen Kündigung von Schlesingers Anstellungsvertrag herangezogen hatte. Zuvor hatte man sie bereits als Intendantin abberufen. Die außerordentlichen Kündigungsgründe, so die Argumentation des Senders, führten nun auch dazu, dass Schlesinger ihren Anspruch auf ein monatliches sogenanntes Ruhegeld verliere. Das wäre laut Vertrag seit Januar 2023 fällig, der RBB verweigert jedoch die Zahlung.
Beim Ruhegeld handelt es sich um eine pauschale Geldleistung, die der Dienstherr dem Bediensteten nach dessen Ausscheiden zahlt und deren Höhe sich am letzten Gehalt orientiert. Damit erfüllt die Leistung je nach Zeitraum zwei unterschiedliche Funktionen: Bis zum Renteneintritt – im Fall der 63-Jährigen wäre das Anfang 2028 – wirkt das Ruhegeld wie ein Vergütungsersatz oder eine Abfindung, man spricht von Übergangsgeld. Nach Renteneintritt handelt es sich um eine betriebliche Altersvorsorge, also eine Betriebsrente. Für Top-Vorstände in der Privatwirtschaft waren solche Verträge laut Markfort früher üblich, hätten sich dann jedoch als für die Unternehmen unangemessen teuer erwiesen.
In Schlesingers Fall sind 60 Prozent des letzten Basisgehalts als Ruhegeld vereinbart. Das ergibt einen üppigen Betrag von knapp 18.400 Euro pro Monat – zu zahlen wohlgemerkt von Januar 2023 bis zum Lebensende. Formal klagt Schlesinger bislang nur die erste Monatsrate ein, um das Prozesskostenrisiko im Rahmen zu halten. Dass es beim LG Berlin II um die grundsätzlichen Zahlungspflichten beider Seiten geht, ist jedoch klar. "Dieses Verfahren soll Rechtsfrieden bringen", betonte Richter Markfort mehrmals.
Streit um Sittenwidrigkeit: "Sie sind so moralisch"
Würde das Gericht die Zahlungspflicht des RBB anerkennen, müsste der Sender eine Summe im mittleren siebenstelligen Bereich zurücklegen. Um dieser Belastung zu entgehen, beruft sich der RBB darauf, die Ruhegeld-Abrede sei sittenwidrig. Eine schon bekannte Strategie mit bislang durchwachsenem Erfolg: Sowohl bei Ex-Justiziarin Susann Lange als auch bei Ex-Verwaltungsdirektor Hagen Brandstädter hielt zwar das Arbeitsgericht (ArbG) Berlin die Ruhegeldabreden 2023 für sittenwidrig.
In Langes Fall jedoch entschied die 7. Kammer des Landesarbeitsgerichts (LAG) Berlin-Brandenburg im Juli 2024 gegenteilig (Az. 7 Sa 1125/23). Die Ruhegeld-Abrede sei nicht sittenwidrig, der Anspruch auf Betriebsrente bleibe bestehen. Brandstädters Fall liegt derzeit bei der 23. Kammer des LAG (Az. 23 Sa 767/24). Die Verfahren sind noch nicht rechtskräftig abgeschlossen. Im Fall des ehemaligen Produktions- und Betriebsdirektors Christoph Augenstein hatte schon das ArbG in der ersten Instanz gegen den RBB entschieden und die Sittenwidrigkeit der Ruhegeld-Abrede verneint (Az. 60 Ca 1631/23). Wie diese Prozesse ausgehen, ist ungewiss. "Die Tendenz ist so, dass das Prozess-Risiko aufseiten der Beklagten ist", sagte Markfort in diesem Zusammenhang.
Nach intensivem Streit zwischen Markfort und RBB-Anwalt Dr. René Weißflog (LOH Rechtsanwälte) meldete sich dessen Kollege Ansgar Baumgarten zu Wort. Er wollte die Frage der Sittenwidrigkeit noch einmal Schritt für Schritt durchprüfen und nutzte dabei die Lehrbuch-Definition des Reichsgerichts: Sittenwidrig ist, was dem Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden widerspricht. "Ist es anständig, dass man ab Tag 1 der Dienstaufnahme Anspruch auf 60 Prozent Ruhegeld erhält?", fragte Baumgarten konsequent.
"Sie sind so moralisch", erwiderte Markfort, der offenbar für eine modernere Handhabe des Sittenwidrigkeitsbegriffs plädiert. Im Fall von Vertragsabreden gehe es da vor allem um Marktüblichkeit. Markfort wies darauf hin, dass das Ruhegeld-System lange in der Privatwirtschaft etabliert gewesen sei. Nur weil sich die Üblichkeiten dort geändert hätten, mache das die gleichen Abreden bei Intendanten nicht sittenwidrig, wenn diese im Öffentlich-Rechtlichen Rundfunk (ÖRR) noch verbreitet sind. Baumgarten legte daraufhin den Finger in die Wunde: Solange anderen ÖRR-Intendanten das Gleiche gezahlt wird, könnten Vergütungs- und Ruhegeld-Abreden noch so hoch sein, ohne dass das den Anstellungsvertrag sittenwidrig machte. Zugespitzt lautet das Argument des RBB-Anwalts: Das defekte System legitimiert sich selbst.
Vorbei am Verwaltungsrat?
Eine direkte Erwiderung darauf kam von der Richterbank nicht. Markfort wies aber darauf hin, dass es an einer anderen Voraussetzung der Sittenwidrigkeit fehle: Schlesinger habe dem Sender das Ruhegeld-System weder aufgezwungen noch eine Schwächeposition ausgenutzt. Vielmehr habe sie das System so vorgefunden. Da diese Argumente in den Schriftsätzen schon ausgetauscht worden seien, wollte der Richter den Komplex nicht länger erörtern. "Ich weiß, ich habe lange geredet. Das muss den Eindruck erweckt haben, dass andere auch so lange reden dürfen."
Skepsis ließ er auch in Bezug auf die Gegenforderungen des RBB durchscheinen. Per Widerklage stellt der Sender Schlesinger variable Vergütungen in Rechnung, die die Intendantin abgesegnet hatte. Er argumentiert, dass diese Vergütungsbestandteile vom Verwaltungsrat hätten gebilligt werden müssen, was nicht geschehen sei. So habe Schlesinger pflichtwidrig gehandelt. Schlesinger hält dem entgegen, dass das alles mit Billigung des Verwaltungsrats und seines damaligen Vorsitzenden Wolf-Dieter Wolf erfolgt sei. Er und Schlesinger sitzen in diesem Teil des Skandals im selben Boot, Wolf tritt in dem Rechtsstreit aufseiten von Schlesinger als Nebenintervenient auf, seine Anwälte blieben am Mittwoch aber passiv. Gegen beide und weitere Personen ermittelt die Berliner Staatsanwaltschaft seit August 2022 zudem wegen Verdachts auf Untreue und Betrug. "Art und Zeitpunkt einer Abschlussverfügung sind noch nicht absehbar", sagte Sprecher Sebastian Büchner dazu am Mittwoch auf LTO-Anfrage.
Das Gericht äußerte angesichts der grundsätzlichen Billigung Wolfs Zweifel an einer möglichen Pflichtverletzung und einem darauf beruhenden Schaden. Hätte der Verwaltungsrat anders entschieden, wenn er ordnungsgemäß befasst worden wäre? "Das können sie nicht so einfach abbügeln. Da gibt es Rechtsprechung zu", erwiderte RBB-Anwalt Weißflog aufgebracht. Hier sei ein zentrales Formerfordernis des Rundfunkstaatsvertrags missachtet worden. "Das rechtfertigt dann erst mal einen Schadensersatz."
Die Regressforderungen wegen des später vom RBB abgebrochenen Baus des Digitalen Medienhauses hat der Sender bislang nicht beziffert. Insofern ist die Widerklage auf Feststellung der Zahlungsschuld gerichtet. Auch insofern wirft der RBB Schlesinger vor, ohne den nötigen Verwaltungsratsbeschluss gehandelt zu haben. Die Klage hält das Gericht jedoch schon für unzulässig. Es sei nicht ersichtlich, welche Pflichtverletzung zu welchem Schaden geführt haben soll. Weißflog reagierte verärgert: Das sei schriftsätzlich alles detailliert ausgeführt worden. Auch hierzu folgte ein schroffer Konter von der Richterbank: “Wir schauen uns das alles an. Gibt es sonst noch was?”
RBB entdeckt sein Kontrollgremium wieder
Damit leitete Markfort den Schlussakt ein, der am Mittwoch ohne Finale endete. Man solle sich vergleichen. Dem RBB schlug er vor, Schlesinger ihre Betriebsrente, also das Ruhegeld ab 2028, zu belassen und die Widerklageforderungen fallen zu lassen. In Schlesingers Richtung fragte er, was man dafür zu geben bereit sei. Hätte Schlesinger aktuell Einkünfte, müssten diese bis zum Renteneintritt auf das Übergangsgeld angerechnet werden. Dann hätte Schlesinger bis 2028 auf das Ruhegeld verzichten können. Doch die schüttelte lächelnd den Kopf: leider keine aktuellen Einkünfte da. Sie sei auf das Ruhegeld auch jetzt schon angewiesen, betonte Anwalt Thomas Wahlig (Pusch Wahlig Workplace Law), der auch darauf hinwies, dass seine Mandantin nun schon seit zwei Jahren kein Geld vom Sender erhalte.
Nachdem sich beide Parteien getrennt voneinander beraten hatten, bot Wahlig an: Schlesinger verzichtet auf 18 Monate ihres Übergangsgeldes, sodass der RBB erst ab Juli 2024 Ruhegeld zahlen muss. Nach Abzug von 25.000 Euro für Einkünfte aus 2023 würde Schlesinger damit auf 306.000 Euro verzichten. Das sei deshalb fair, so Wahlig, da dies den Wert der Widerklageforderungen sogar übersteige – mit Ausnahme der großen Posten im Zusammenhang mit den variablen Vergütungen und dem Medienhaus.
Ob sich der RBB darauf einlässt, ist ungewiss. Die zwei anwesenden Verwaltungsratsmitglieder und Anwalt Weißflog machten deutlich: Der Sender kann hier keine Zahlen nennen – auch keine ungefähren. Auch zu Markforts Frage, ob man eine richterliche Mediation für die Gespräche wünsche, könne man kein Statement abgeben. Der Grund: Bei alldem muss der Verwaltungsrat durch formellen Beschluss zustimmen. Für die Gespräche und die Abstimmung bat Weißflog um Zeit bis Ende Mai, die ihm das Gericht auch gewährte. Diesmal will man beim RBB alles richtig machen.
Gericht stärkt Patricia Schlesinger: . In: Legal Tribune Online, 16.01.2025 , https://www.lto.de/persistent/a_id/56344 (abgerufen am: 24.05.2025 )
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