Am Mittwoch sollen Innenminister de Maizière und Verfassungsschutz-Chef Maaßen im Rechtsausschuss aussagen. Thema: die noch immer nicht aufgeklärte Netzpolik-Affäre. Dazu neun Hypothesen von Christian Rath.
"Gespräch mit dem Bundesminister des Innern, Dr. Thomas de Maizière, und dem Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Dr. Hans-Georg Maaßen, zu den Ermittlungen gegen Journalisten von netzpolitik.org". Das ist TOP 1 der Rechtsausschuss-Sitzung am Mittwoch im Bundestag. Bei einem ersten Versuch Mitte August hatten die beiden Herren keine Zeit. Nach derzeitigem Stand der Dinge wird Maaßen dieses Mal vor dem Ausschuss erscheinen, de Maizière lässt sich durch seinen Parlamentarischen Staatssekretär Günter Krings vertreten.
Der Ausschuss hat die Hoffnung nicht aufgegeben, die Affäre noch aufklären zu können. Vermutlich ist das aber illusorisch. Vieles spielte sich im Arkanbereich von Behörden und Justiz ab. Teilweise steht Aussage gegen Aussage.
Hier deshalb der Versuch, auf einige offene Fragen zumindest mit Hypothesen zu antworten, mit Vermutungen also, die nach längeren Recherchen plausibel erscheinen.
Warum musste sich der GBA mit den Veröffentlichungen von Netzpolitik beschäftigen?
Für die Verletzung von Dienstgeheimnissen (§ 353b StGB) ist die Bundesanwaltschaft gar nicht zuständig, sondern eine Landes-Staatsanwaltschaft, etwa in Berlin. Die Bundesanwaltschaft ist als Ermittlungsbehörde aber zuständig, wenn es um die Veröffentlichung von Staatsgeheimnisse geht. Denn Landesverrat und ähnliche Straftaten (§§ 93 ff StGB) sind Staatsschutzdelikte.
Aus Sicht des Bundesamts für Verfassungsschutz (BfV) könnte die Befassung des Generalbundesanwalts (GBA) attraktiv gewesen sein, weil sich bei einer bloßen Verletzung von Dienstgeheimnissen seit einer Gesetzesänderung 2012 die Journalisten, die die Inhalte veröffentlichen, nicht mehr wegen Beihilfe strafbar machen. Um Medienvertretern zu zeigen, dass sie nicht tun können, was sie wollen, hätte also wegen Landesverrats und ähnlicher Delikte ermittelt werden müssen, denn hier gibt es bisher keine Klausel zum Schutz der Pressefreiheit.
Die beiden Strafanzeigen, die BfV-Präsident Maaßen im Februar und April 2015 nach Veröffentlichungen von Netzpolitik beim Landeskriminalamt (LKA) Berlin stellte, waren aber eher harmlos. Weder war von Landesverrat noch von Staatsgeheimnissen die Rede. Es wäre also nach der üblichen Zuständigkeit zu erwarten gewesen, dass das LKA die Strafanzeigen an die Staatsanwaltschaft Berlin weitergibt.
Trotzdem hat das LKA beim BfV angefragt, ob es hier vielleicht um Staatsgeheimnisse gehen könnte. Und das BfV hat dies in einem kurzen Gutachten bejaht. Das war die Weichenstellung, weshalb der Fall bei Generalbundesanwalt Range in Karlsruhe landete.
Die Annahme, dass das LKA von sich aus auf die Idee kam, das BfV nach dem Vorliegen von Staatsgeheimnissen zu fragen, ist ziemlich unrealistisch. Viel wahrscheinlicher ist es, dass es eine Anregung des BfV hierzu gab. So konnte sich das BfV hinter seiner harmlosen Strafanzeige verstecken und am Ende landete das Verfahren doch in Karlsruhe.
Möglicherweise wurde auf diesem Weg sogar das Innenministerium ausgetrickst. Innen-Staatssekretärin Emily Haber wusste zwar vorab von der Strafanzeige – von dem weichenstellenden BfV-Gutachten erfuhr das Innenministerium aber erst im Nachhinein.
Christian Rath, Rekonstruktion der Netzpolitik-Affäre: . In: Legal Tribune Online, 22.09.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/16968 (abgerufen am: 01.12.2024 )
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