Jugendschutz im Internet durchsetzen? Ein eher aussichtsloses Unterfangen. Dr. Laura Braam von der Medienanstalt NRW versucht es trotzdem. Doch sie appelliert im Interview auch an die Politik, ihr die Arbeit endlich leichter zu machen.
LTO: Frau Dr. Braam, es ist wissenschaftlich erwiesen, dass die Rezeption pornographischer Inhalte die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen schwerwiegend schädigen kann. Trotzdem sind Pornos immer noch mit einem Klick im Internet aufrufbar – ohne Altersverifikation. Wie ist dieses Regulierungsversagen zu erklären?
Dr. Laura Braam: Es ist so, dass wir zunächst den deutschen Markt aufgeräumt haben. Es gibt kaum noch Angebote aus Deutschland, die ohne Überprüfung der Volljährigkeit, also Altersverifikation, Zugang zu Pornografie gewähren. Doch viele Angebote sind ins Ausland abgewandert. Gegen diese sind wir nun verstärkt tätig geworden, vor allem wegen des zunehmend mobilen Abrufs. 40 Prozent der Kinder und 90 Prozent der Jugendlichen in Deutschland haben schon ein eigenes Smartphone. Da ist die ehemals vorhandene Kontrollmöglichkeit durch die Eltern komplett unterbunden und deswegen müssen wir Kinder und Jugendliche besonders schützen. Das ist unsere Aufgabe.
Was tun Sie konkret gegen die Angebote von Youporn, Pornhub, mydirtyhobby und xHamster?
Wir haben die rechtlichen Grundlagen für ein grenzüberschreitendes Vorgehen gegen rechtswidrige Angebote aus Zypern ausgetestet. Drei der betroffenen Plattformen haben sich dagegen gewehrt und vorgebracht, dass sie dem deutschen Recht nicht unterliegen würden, da sie ja in Zypern sitzen. Vor dem Verwaltungsgericht (VG) Düsseldorf haben wir im November Recht bekommen. Die Portale haben nun aber Beschwerde zum Oberverwaltungsgericht eingelegt.
Anders im Fall xHamster: Die Plattform hat nicht auf unsere verwaltungsrechtlichen Schritte reagiert, hier könnte es demnächst zu einer Sperre kommen – 20 Jahre nach der letzten behördlichen Sperrverfügung.
Wann sind Sie denn für die Regulierung im In- und Ausland zuständig?
Wir sind grundsätzlich für alle Seiten zuständig, die aus Nordrhein-Westfalen (NRW) betrieben werden. Im europäischen Ausland gilt erst einmal das Herkunftslandprinzip. Hier sind die jeweiligen Medienaufsichten der Mitgliedstaaten zunächst zuständig. Wir können aber im Bereich des Jugendmedienschutzes handeln, wenn die jeweilige Medienaufsicht am Sitz des Anbieters ein eigenes Tätigwerden verneint und keine Bedenken gegen ein Eingreifen der deutschen Medienaufsicht hat. Voraussetzung ist dabei immer, dass das Angebot auf den deutschen Markt ausgerichtet ist, etwa durch die deutsche Sprache oder die Menüführung.
Ist die deutsche Sprache nicht ein eher irrelevantes Kriterium? Schließlich steht der kommunikative Austausch bei Pornos oder Gewaltdarstellungen nicht gerade im Vordergrund.
Richtig, es ist eher das Bild. Und ja, man kann sich die Frage stellen, ob die Anknüpfung der Zuständigkeit über die Sprache sinnvoll ist. Wir sind allerdings nicht der Gesetzgeber, sondern die ausführende Behörde und wir arbeiten mit den Gesetzen, die wir haben. Daran müssen wir uns halten.
"Der Seitenbetreiber kann sich dazu entscheiden, zunächst nichts zu tun"
Erläutern Sie doch bitte, welches Prozedere Sie durchlaufen müssen, um gegen auf den deutschen Markt gerichtete Angebote aus dem Ausland vorzugehen?
Nach der Klärung mit dem ausländischen Regulierer hören wir den Seitenbetreiber an. Zeitgleich informieren wir die EU-Kommission über diesen grenzüberschreitenden Sachverhalt. Wenn der Plattformbetreiber das Angebot rechtskonform anpasst, ist die Sache erledigt. Andernfalls legen wir den Sachverhalt der Kommission für Jugendmedienschutz (KJM) vor. Die KJM ist das "Entscheidungsorgan" der deutschen Medienaufsicht. Wenn diese grünes Licht gibt, stellt die Landesanstalt für Medien NRW dem Betreiber einen Verwaltungsakt zu, gerichtet auf Untersagung des Angebots in der bisherigen Form – also z. B. auf Untersagung der Verbreitung der Pornoseite ohne Altersverifikationssystem. Allerdings ist die Zustellung im Ausland oft schwierig. Allein das Zustellungsverfahren kann also dauern.
Und wenn der Verwaltungsakt gegen den Seitenbetreiber irgendwann bestandskräftig ist?
Der Seitenbetreiber kann sich dazu entscheiden, und das ist ein bisschen die Krux an der Sache, zunächst nichts zu tun, so wie im Fall xHamster. Da es keine Vollstreckungsvereinbarung zwischen den EU-Ländern in Jugendmedienschutzsachen gibt, bedeutet dies: Der Pornoseitenbetreiber kann das Ganze aussitzen. Wir halten uns aber dann an den Nächsten in der Haftungskette, nämlich den Hostprovider, der die Server beziehungsweise die Speichermöglichkeit für das Angebot zur Verfügung stellt.
Das nimmt dann wieder viel Zeit in Anspruch?
Ja, aber wir sind ja zäh. Bei xHamster haben wir den Host-Provider herausgefunden, einen niederländischen Anbieter. Gegen den mussten wir das gleiche Prozedere durchlaufen: Bei den niederländischen Kollegen anfragen, ob wir handeln dürfen, die EU-Kommission informieren, dann den Verwaltungsakt zustellen. Nachdem das geschafft war, standen wir zunächst wieder vor dem Problem, dass wir im EU-Ausland mangels entsprechender Abkommen nicht vollstrecken dürfen.
Vor Zugriff auf die Seite werden Nutzer bei xHamster nach ihrem Alter gefragt. Anerkannte Altersversifikationssystem sehen indes anders aus.
Medienanstalt kann nicht direkt gegen Internetanbieter vorgehen
Wenn das so kompliziert ist, warum gehen Sie denn nicht direkt gegen Internetanbieter wie etwa die Telekom oder Vodafone vor und verlangen die Sperrung der Seiten?
Das Telemediengesetz sieht eine abgestufte Haftung vor. Wir müssen immer erst an den eigentlichen Anbieter herantreten. Wenn der nicht reagiert und wir diesen Bescheid auch nicht vollstrecken können, müssen wir uns erst an den Host Provider halten. Und nur wenn dieser nicht reagiert, können wir Sperrverfügungen gegenüber Access Providern, also den Internetanbietern, erlassen. Nach nun mehr als zwei Jahren sind wir bei xHamster an diesem Punkt angelangt: Sperrung durch die Internetserviceprovider, solange keine Altersverifikation eingerichtet wird. Die Provider werden gerade angehört.
Wie ist die aktuelle Lage bei der Kinderpornografie, wie agieren die Internetanbieter?
Kinderpornografische Inhalte übermitteln wir an die Staatsanwaltschaft und den Eco-Verband, in dem die großen Internetanbieter organisiert sind. In solchen Fällen werden diese unserer Erfahrung nach schnell tätig und sperren den Zugang zu den Seiten. Dort funktioniert das also.
Angenommen die Internetanbieter sperren nun die xHamster-Seite, was passiert, wenn xHamster dann seine Inhalte auf einer neuen Internetseite spiegelt, etwa auf "2xHamster.com"?
Ja, das kann sein, wird allerdings mittelfristig wenig bringen, weil wir natürlich auch hiergegen vorgehen werden und dabei nicht nur ziemlich zäh sind, sondern nach dem ersten Verfahren deutlich an Geschwindigkeit zulegen werden.
Dann vielleicht nochmal zwei Jahre und danach kann der Seitenbetreiber die Domain wieder unter einem anderen Namen spiegeln – 3xhamster.com?
Diese sinnlose Auseinandersetzung muss man sich auf Dauer erstmal leisten wollen.
"Müsste nicht Regulierung im Netz viel schneller funktionieren?"
Ich halte fest. Das sind sehr lange Verfahren und am Ende kann der Seitenbetreiber das Verbot einfach umgehen. Kinder und Jugendliche werden währenddessen geschädigt. Müsste es nicht umgekehrt so sein, dass Verbote sofort vollzogen werden und der Seitenbetreiber dann Rechtsschutz suchen kann?
Das wäre eine Möglichkeit. Und so ist es dem Grunde nach per Gesetz auch vorgeschrieben. Also unsere Bescheide sind sofort vollziehbar. Wenn uns aber umgekehrt die Vollstreckungsmöglichkeiten bei grenzüberschreitenden Sachverhalten fehlen, hilft dies wenig. Die Beschlüsse des VG Düsseldorf haben uns darin bestätigt, dass wir richtig vorgegangen sind.
Aber während dieser Zeit hätten Sie handeln können.
Dann wären wir womöglich in einem Haftungsprozess gelandet. Wie dargestellt, existieren auch die entsprechenden Vollstreckungsabkommen nicht, sodass ein einfaches Handeln, also vollstrecken, nicht möglich gewesen ist. Und unmittelbar auf Host- und Access-Provider zuzugehen, obwohl ein Gericht unser bisheriges Handeln auf erster Stufe noch nicht bestätigt hat, schießt etwas über das Ziel hinaus. Bei so massiven Eingriffen in die Zugänglichkeit eines Medienangebotes ist es doch erstmal wichtig, zur Not auch ein ausführlicheres Gerichtsverfahren zuzulassen.
Was würden Sie sich wünschen? Wie könnte man den Jugendschutz besser regulatorisch lösen?
Wir müssen dem Gesetzgeber aufzeigen, dass so eine Regulierung des Internets nur eingeschränkt funktioniert. Wir müssen ihm sagen: "Lieber Gesetzgeber, wir haben alles gemacht, was in unserer Macht steht. Bist du sicher, dass das so die nächsten zehn Jahre noch funktionieren kann? Müsste nicht Regulierung im Netz bei diesen Fällen illegaler Inhalte, wie etwa Volksverhetzung und Holocaustleugnung, viel schneller funktionieren? Müssten Zugriffsrechte nicht viel zügiger vorhanden sein? Müssten wir bei offensichtlich rechtswidrigen Inhalten nicht deutlich früher auf Access-Provider zugehen können, wenn der originäre Anbieter bewusst nicht reagiert?“ Der entscheidende Punkt ist die Haftungskaskade nach dem TMG. Dort muss klarer geregelt werden, wann die Verantwortung welcher Stufe in der Verbreitung adressiert werden kann und es müssten Vollstreckungsabkommen zwischen den Mitgliedstaaten geschlossen werden.
Woran liegt es, dass der Gesetzgeber da so wenig Ehrgeiz zeigt?
Eine politische Frage. Die Debatte rund um die Sperrverfügung der Bezirksregierung Düsseldorf aus dem Jahre 2001 und später die Debatte zum Thema "Zensursula" gingen in die Richtung: "Das Internet ist frei. Vermeintlich anonym." Und das Internet ist auch in Teilen durch Pornografie groß geworden. Aber inzwischen wird mehr und mehr gesehen, dass wir insbesondere Kinder und Jugendliche aufgrund ihrer mobilen Nutzung des Internets effektiv schützen müssen. Ich glaube, dass das so langsam im politischen Diskurs ankommt. Denn letztlich kann die Freiheit im Netz nur funktionieren, wenn wir ein paar – sehr einfache – Regeln einhalten.
Dr. Laura Braam ist promovierte Juristin und seit 2019 Teamleiterin Aufsicht, Abteilung Recht & Aufsicht, bei der Landesanstalt für Medien NRW.
Medienanstalt NRW will xHamster sperren lassen: . In: Legal Tribune Online, 25.01.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/47317 (abgerufen am: 03.11.2024 )
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