Am Dienstagabend soll der GDL-Streik beginnen. Ob Bahnreisende ihre Reisepläne auf das Wochenende verschieben müssen, wird das Hessische LAG aber ebenfalls erst dann klären. Vieles spricht dafür, dass es den Streik für zulässig erklärt.
Die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) hat ab Mitte der Woche zum Streik aufgerufen. Der Personenverkehr soll ab Mittwochmorgen 2 Uhr bis Freitagabend 18 Uhr bestreikt werden. Im Güterverkehr soll der Streik bereits am Dienstagabend um 18 Uhr beginnen. Ob der Bahnstreik zulässig ist, steht dann womöglich noch nicht zweitinstanzlich fest: Auf 17 Uhr bzw. 18:30 Uhr hat das Hessische Landesarbeitsgericht (LAG) die mündlichen Verhandlungen über die Zulässigkeit des GDL-Streiks angesetzt.
Verhandelt werden dort die Berufungen des Arbeitgeberverbandes der Deutsche Bahn-Unternehmen (AGV MOVE) sowie des Eisenbahnunternehmens Transdev. Beide hatten Anfang der Woche im Eilverfahren versucht, den geplanten Streikt zu stoppen – und waren damit am Montagabend vor dem Arbeitsgericht (ArbG) Frankfurt am Main gescheitert.
AGV MOVE beanstandet in seinem Antrag nicht nur die Verhältnismäßigkeit des Streiks, sondern schon dessen Grundlage, also das Streikziel. Der angekündigte Bahnstreik sei "eine Zumutung, die auf Sand gebaut ist", wird Florian Weh, Hauptgeschäftsführer des AGV MOVE, in einer Bahn-Mitteilung nach der Verhandlung am ArbG zitiert. "Denn die GDL hat durch ihre Leiharbeiter-Genossenschaft ihre Tariffähigkeit verloren."
Frage der Tariffähigkeit der GDL im Eilverfahren?
Damit nimmt Weh Bezug auf ein anderes, ebenfalls beim LAG anhängiges Verfahren, in dem die Bahn die Feststellung begehrt, dass der GDL die Befugnis, Tarifverträge abzuschließen (sog. Tariffähigkeit), fehlt. Dieses Verfahren hatte die Bahn in der vergangenen Woche auf Grundlage von § 97 Arbeitsgerichtsgesetz (ArbGG) eingeleitet. Eine Verhandlung in dem Verfahren ist noch nicht terminiert. Zuständig für das Verfahren ist die 5. Kammer am LAG, den Vorsitz wird zum 1. Februar der Pressesprecher des Gerichts, Mustafa Yilmaz, übernehmen. Mit dem neuen Vorsitz ist dann auch mit einer Terminierung des Verfahrens zu rechnen.
AGV MOVE stützt nun aber auch seinen Eilantrag gegen den aktuell angedrohten Bahnstreik unter anderem auf die fehlende Tariffähigkeit der GDL. Denn ein Streik darf nur auf etwas abzielen, das auch tarifvertraglich geregelt werden kann. Wäre die GDL aber gar nicht zum Tarifabschluss befugt, dürfte sie auch nicht zu Arbeitskampfmaßnahmen aufrufen. Doch darf die Frage der Tariffähigkeit überhaupt im Eilverfahren über die Zulässigkeit des Streiks geklärt werden?
Prof. Dr. Matthias Jacobs von der Bucerius Law School verweist insofern auf § 97 Abs. 5 ArbGG. Demnach müssen die Arbeitsgerichte ein Verfahren aussetzen, wenn dieses davon abhängt, "ob eine Vereinigung tariffähig oder ob die Tarifzuständigkeit der Vereinigung gegeben ist". Es ist dann zunächst der Ausgang des Feststellungsverfahrens nach § 97 ArbGG abzuwarten. "Das gilt auch für einstweiligen Rechtsschutz", so der Arbeitsrechtler. "Wenn es ein spezielles Verfahren für die Feststellung der Tariffähigkeit oder -unfähigkeit gibt, kann diese komplexe Frage nicht mal eben so im Eilverfahren über einen bestimmten Streik geklärt werden. Das LAG wird dem AGV MOVE hier daher sicherlich nicht Recht geben, sondern im Zweifel für die Zulässigkeit des Streiks entscheiden."
Streik wohl verhältnismäßig
AGV MOVE beanstandet den Streik im Übrigen – wie stets in solchen Verfahren – als unverhältnismäßig. Regelmäßig scheitern die Bahn-Unternehmen allerdings mit diesem Argument. Denn das Streikrecht, das das Bundesverfassungsgericht in Art. 9 Grundgesetz verankert, ist ein hohes Gut. Zwar darf der Streik nur das äußerste Mittel (ultima ratio) im Arbeitskampf sein. Wenn am Verhandlungstisch aber keine Einigung erzielt wird, ist der Streik zulässig.
Die Bahn hält den Streik deshalb für unverhältnismäßig, weil sie der GDL erst am Freitag ein neues Angebot unterbreitet habe. Damit sei sie der GDL "bei ihrer Kernforderung zur Arbeitszeit einen großen Schritt entgegengekommen", wird Bahn-Personalvorstand Martin Seiler in einer Mitteilung zitiert. "Die DB ist bereit zu Kompromissen. Es ist jetzt an der Zeit, wieder zu verhandeln."
Die Frage, ob die GDL weiter verhandeln muss oder wirklich gestreikt wird, liegt nun beim LAG in Frankfurt. Arbeitsrechtler Jacobs geht davon aus, dass das LAG ebenso entscheiden wird wie das ArbG. "Ein dreitätiger Streik für bessere Tarifkonditionen – das ist nach der Rechtsprechung verhältnismäßig. Das ist eben der Preis, den unsere Gesellschaft für eine funktionierende Tarifautonomie bezahlen muss."
Auch vorm ArbG Hannover kein Erfolg
In Frankfurt ließ sich die Bahn, konkret der AGV MOVE, von Allen & Overy Partner Thomas Ubber vertreten. Der Arbeitsrechtler, der seit vielen Jahren bei Streiks für die Bahn tätig ist, hatte im vergangenen Jahr noch einen mehrtätigen Streik abwenden können. Dieses Mal klappt das vermutlich auch in der zweiten Instanz im einstweiligen Verfügungsverfahren nicht. Für das Eisenbahnunternehmen Transdev ist die Arbeitsrechtsboutique Pusch Wahlig Workplace Law (PWWL) tätig. In Frankfurt trat Partner Thomas Wahlig auf, für die GdL waren dort Dr. Jan Moritz Schilling von MOOG aus Darmstadt sowie Christof Kleinmann von Graf von Westphalen mit der Abwehr der Anträge beauftragt. Auch in Hannover ging die Transdev im einstweiligen Verfügungsverfahren gegen die GDL – dort vertreten von Franziska Langer von Moog aus Darmstadt sowie Dr. Arne Lordt und Dr. Holger Kühl von Graf von Westphalen aus Frankfurt – vor. Auch dort war für Transdev PWWL tätig, hier in Person von Partnerin Meike Rehner und Dr. Friedrun Domke.*
Das ArbG Hannover hat den Antrag auf Unterlassung des Streiks jedoch noch an diesem Dienstag zurückgewiesen (Urt. v. 09.01.2024, Az. 9 GA 1/24). Die Argumentationsschiene sei die vom ArbG Frankfurt, teilte der Präsident des ArbG, Kilian Wucherpfennig, auf LTO-Anfrage mit. Die 9. Kammer unter Vorsitz von Richterin Corinna Thomas entschied, dass das Argument der Gefährdung der wirtschaftlichen Existenz nicht nachvollziehbar sei. Auch sei nicht ersichtlich, dass der Streik auf die Existenzvernichtung gerichtet sei. Dass es wirtschaftliche Einbußen gebe, sei einem Streik immanent. Zu den wie auch in Frankfurt vorgebrachten Zweifeln an der Tariffähigkeit der GDL machte die Kammer keine inhaltlichen Ausführungen. Der Gesetzgeber habe für diese Frage ein Verfahren bei den Landesarbeitsgerichten vorgesehen. Die Kammer werde der GDL daher nicht in einem einstweiligen Verführungsverfahren in erster Instanz die Tariffähigkeit absprechen.
* Namen ergänzt am 10.01.2024
LAG entscheidet am Dienstagabend: . In: Legal Tribune Online, 09.01.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/53589 (abgerufen am: 02.12.2024 )
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