In fast jedem Bundesland gibt es Bildungsurlaub, er wird aber eher selten in Anspruch genommen. Anlässlich eines aktuellen LAG-Urteils klärt Christian Oberwetter die Frage, wann dieser politisch geprägt ist – und damit freie Tage beschert.
Bildungsurlaub ist in Deutschland nicht bundesweit geregelt, obgleich die Bundesrepublik hierzu im Jahre 1976 ein Übereinkommen der Internationalen Arbeitsorganisation zum bezahlten Bildungsurlaub ratifiziert hat. Immerhin bestehen mittlerweile in fast allen Bundesländern landesgesetzliche Regelungen zum Bildungsurlaub - mit unterschiedlichen Bezeichnungen vom Bildungsurlaub über die Bildungsfreistellung bis hin zur Bildungszeit. Allein die Bayern und die Sachsen schauen in die Röhre.
Bildungsurlaub bedeutet die bezahlte Freistellung von der Arbeit für bestimmte Bildungszwecke. Nahezu ausnahmslos werden hierfür in den Ländern fünf freie Tage pro Jahr gewährt. Unterschiede gibt es jedoch darin, zu welchen Zwecken der Urlaub in Anspruch genommen werden kann. Ausnahmslos dürfen Bildungsmaßnahmen zu beruflichen oder politischen Zwecken in Anspruch genommen werden. Einige Länder erkennen darüber hinaus auch Qualifizierungen für eine ehrenamtliche Tätigkeit beziehungsweise Zwecke der allgemeinen oder kulturellen Bildung an.
Damit ist klar: Bildungsurlaub muss nicht zwingend der beruflichen Fortbildung eines Beschäftigten dienen. Auf der anderen Seite wird "Töpfern in der Toskana" nicht in jedem Bundesland zwingend als Bildungsurlaub anerkannt werden - ganz abgesehen davon, dass auch mancher Chef bei solchen Inhalten kurz stutzen dürfte.
"Politische Weiterbildung" wird kontrovers diskutiert
Der Anspruch auf Bildungsurlaub ist gegenüber dem Arbeitgeber frühzeitig geltend zu machen, die Landesgesetze sehen hierzu Fristen von vier bis acht Wochen vor der Antragstellung vor. Der Arbeitgeber kann den Bildungsurlaub nur versagen, wenn dringende betriebliche Gründe entgegenstehen oder wenn die Bildungsmaßnahme nicht den gesetzlich vorgesehenen Zweck erfüllt.
In diesem Zusammenhang wird häufig über den Begriff der "politischen Weiterbildung" gestritten. Das Landesarbeitsgericht (LAG Baden-Württemberg) hat hierzu in diesem Monat entschieden, dass die "politische Weiterbildung" im Bildungszeitgesetz Baden-Württemberg weit zu verstehen ist (Urt. v. 09.08.2017, Az. 2 Sa 4/17).
Im entschiedenen Fall hatte ein Verfahrensmechaniker, der in der Automobilbranche beschäftigt ist, einen Anspruch auf Bildungszeit für fünf Tage für die seitens des Bildungszentrums der IG Metall veranstaltete Bildungsmaßnahme "Arbeitnehmer(innen) in Betrieb, Wirtschaft und Gesellschaft" gegenüber seinem Arbeitgeber geltend gemacht. Das Unternehmen lehnte den Anspruch ab, weil es sich nach seiner Auffassung nicht um eine politische Weiterbildung handelte.
Die Richter am LAG gaben dem bildungshungrigen Arbeitnehmer jedoch Recht: Die Anforderungen des Gesetzes an eine politische Weiterbildung seien bereits dann erfüllt, wenn Informationen über politische Zusammenhänge und deren Mitwirkungsmöglichkeiten im politischen Leben vermittelt würden. Eine weite Auslegung der "politischen Weiterbildung" folge aus einer an Wortlaut sowie am Sinn und Zweck orientierten und einer völkerrechts- und verfassungskonformen Auslegung.
2/2: Bezug zum eigenen Gemeinwesen erforderlich
Die Stuttgarter Richter waren nicht die ersten, die sich mit der Auslegung dieses unbestimmten Rechtsbegriffs auseinander setzen mussten. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat sich bereits mehrfach damit beschäftigen müssen und verkannte nicht, dass der Begriff des Politischen ein wandelbarer ist.
So hielt es dazu fest, dass aufgrund des stetigen Wandels politischer Verhältnisse und Anschauungen ein allgemeiner Katalog geeigneter oder nicht geeigneter Themen zur politischen Weiterbildung nicht aufgestellt werden könne. Unter politische Weiterbildung fielen in jedem Fall aber nicht nur Themen der Staats- und Bürgerrechtskunde, sondern auch andere Fragen, die Aufgabe oder Ziel von Politik seien oder zur politischen Diskussion gestellt werden sollten (BAG, Urt. v. 16.3.1999, Az. 9 AZR 166/98).
Ein kleines Regulativ bauten die höchsten Arbeitsrichter allerdings ein, indem sie im Urteil festhielten, dass nicht jedes Thema ausreiche, für das in politischer Hinsicht ein Interesse geltend gemacht werden könnte. Im betreffenden Fall ging es um eine Fortbildungsveranstaltung auf Kuba unter karibischer Sonne mit dem Namen "Zur aktuellen politischen und sozialen Situation auf Cuba". Das BAG verneinte den Anspruch auf Bildungsurlaub, denn der politischen Weiterbildung dienten regelmäßig nur Bildungsveranstaltungen, die sich mit den politischen und sozialen Verhältnissen in der Bundesrepublik Deutschland und der Europäischen Union befassten.
Politische Weiterbildung – ein weites Feld
Das BAG präzisierte seine Rechtsprechung in einer späteren Entscheidung, indem es festhielt, dass im Einzelfall anhand des didaktischen Konzepts des Veranstalters und des durchgeführten Programms zu prüfen sei, ob die Teilnehmer in einem organisierten Lernprozess zu mehr Mitsprache und Mitverantwortung im eigenen Gemeinwesen angeleitet würden (BAG, Urt. v. 16.5.2000, Az. 9 AZR 241/99).
Unter Berücksichtigung dieser Rechtsprechung wird man davon ausgehen können, dass eine politische Weiterbildung immer dann vorliegt, wenn ein Bezug zu dem eigenen Lebensbereich eines Beschäftigten gezogen werden kann. Dieser Bezug muss nicht konkret sein, sondern ist abstrakt zu bestimmen, sodass regelmäßig eine weite Auslegung anzunehmen ist.
In Zeiten, in denen in Politik und Medien immer wieder Politikmüdigkeit beklagt wird, sollten die Gerichte das Ideal vom mündigen Bürger stärken, der sich aktiv an der politischen Willensbildung in seinem Umfeld beteiligt. Dann gibt es vielleicht in Zukunft auch wieder mehr Minister, die neben ihrer Ausbildung in den Kaderschmieden der Parteien auch etwas Ordentliches gelernt haben.
Der Autor Christian Oberwetter, Rechtsanwalt und Maître en droit, ist Fachanwalt für Arbeitsrecht und IT-Recht in Berlin und Hamburg.
Christian Oberwetter, Weiterbildung vor dem LAG Baden-Württemberg: Urlaub gegen die Politikverdrossenheit . In: Legal Tribune Online, 21.08.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/24055/ (abgerufen am: 24.04.2024 )
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