2/2: Bezug zum eigenen Gemeinwesen erforderlich
Die Stuttgarter Richter waren nicht die ersten, die sich mit der Auslegung dieses unbestimmten Rechtsbegriffs auseinander setzen mussten. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat sich bereits mehrfach damit beschäftigen müssen und verkannte nicht, dass der Begriff des Politischen ein wandelbarer ist.
So hielt es dazu fest, dass aufgrund des stetigen Wandels politischer Verhältnisse und Anschauungen ein allgemeiner Katalog geeigneter oder nicht geeigneter Themen zur politischen Weiterbildung nicht aufgestellt werden könne. Unter politische Weiterbildung fielen in jedem Fall aber nicht nur Themen der Staats- und Bürgerrechtskunde, sondern auch andere Fragen, die Aufgabe oder Ziel von Politik seien oder zur politischen Diskussion gestellt werden sollten (BAG, Urt. v. 16.3.1999, Az. 9 AZR 166/98).
Ein kleines Regulativ bauten die höchsten Arbeitsrichter allerdings ein, indem sie im Urteil festhielten, dass nicht jedes Thema ausreiche, für das in politischer Hinsicht ein Interesse geltend gemacht werden könnte. Im betreffenden Fall ging es um eine Fortbildungsveranstaltung auf Kuba unter karibischer Sonne mit dem Namen "Zur aktuellen politischen und sozialen Situation auf Cuba". Das BAG verneinte den Anspruch auf Bildungsurlaub, denn der politischen Weiterbildung dienten regelmäßig nur Bildungsveranstaltungen, die sich mit den politischen und sozialen Verhältnissen in der Bundesrepublik Deutschland und der Europäischen Union befassten.
Politische Weiterbildung – ein weites Feld
Das BAG präzisierte seine Rechtsprechung in einer späteren Entscheidung, indem es festhielt, dass im Einzelfall anhand des didaktischen Konzepts des Veranstalters und des durchgeführten Programms zu prüfen sei, ob die Teilnehmer in einem organisierten Lernprozess zu mehr Mitsprache und Mitverantwortung im eigenen Gemeinwesen angeleitet würden (BAG, Urt. v. 16.5.2000, Az. 9 AZR 241/99).
Unter Berücksichtigung dieser Rechtsprechung wird man davon ausgehen können, dass eine politische Weiterbildung immer dann vorliegt, wenn ein Bezug zu dem eigenen Lebensbereich eines Beschäftigten gezogen werden kann. Dieser Bezug muss nicht konkret sein, sondern ist abstrakt zu bestimmen, sodass regelmäßig eine weite Auslegung anzunehmen ist.
In Zeiten, in denen in Politik und Medien immer wieder Politikmüdigkeit beklagt wird, sollten die Gerichte das Ideal vom mündigen Bürger stärken, der sich aktiv an der politischen Willensbildung in seinem Umfeld beteiligt. Dann gibt es vielleicht in Zukunft auch wieder mehr Minister, die neben ihrer Ausbildung in den Kaderschmieden der Parteien auch etwas Ordentliches gelernt haben.
Der Autor Christian Oberwetter, Rechtsanwalt und Maître en droit, ist Fachanwalt für Arbeitsrecht und IT-Recht in Berlin und Hamburg.
Christian Oberwetter, Weiterbildung vor dem LAG Baden-Württemberg: . In: Legal Tribune Online, 21.08.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/24055 (abgerufen am: 09.10.2024 )
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