Das Unternehmen Lafarge zahlte Geld an den IS, um in Syrien weiter produzieren zu können. Florian Jeßberger und Luca Hauffe über einen Prozess in Paris, der die Verantwortlichkeit von Unternehmen für Völkerrechtsverstöße in den Fokus rückt.
Sind Geldzahlungen ("Steuern", "Zölle", "Abgaben") eines Unternehmens an eine Organisation, die als terroristische Vereinigung "gelistet" ist und Kriegs- und Menschlichkeitsverbrechen begeht, strafbar, wenn sie allein dem Ziel dienen, weiter ungestört der Geschäftstätigkeit nachgehen zu können? Ein Völkerrechtsverbrechen gar? Wo verläuft die Trennlinie zwischen legalem grenzüberschreitendem unternehmerischem Handeln und der strafbaren Komplizenschaft in schwerste Menschenrechtsverletzungen?
Am 4. November beginnt in Paris ein Strafprozess, der sich daran macht, Antworten auf diese Fragen zu geben. Der Prozessauftakt im "Fall Lafarge" markiert einen weiteren Höhepunkt im jahrelangen juristischen Ringen im Schnittfeld von Terrorismusstrafrecht, Wirtschaftsvölkerstrafrecht, Unternehmensstrafrecht, transnationalem ne bis in idem, und komplexen Zurechnungsfragen. Der Fall ist zu einem weit über Frankreich hinaus beachteten Prüfstein geworden für die Leistungsfähigkeit und Integrität eines internationalen Strafrechtssystems, das sich bislang schwer damit tut, Wirtschaftsakteuren des Globalen Nordens Verantwortung für die Verstrickung in Menschenrechts- und Völkerrechtsverbrechen zuzuschreiben.
Worum es geht: Geschäftstätigkeit im syrischen Bürgerkrieg
Das Verfahren steht im Zusammenhang mit der Geschäftstätigkeit des französischen Unternehmens während des syrischen Bürgerkriegs. Lafarge bzw. die Lafarge-Tochter Lafarge Cement Syria betrieb über den Beginn des bewaffneten Konflikts in Syrien im Jahre 2011 hinaus ein Zementwerk in Nordsyrien. Während Lafarge ausländische Arbeiter aufgrund der Auseinandersetzungen evakuierte, verblieben die syrischen Arbeitskräfte vor Ort. Vorgeworfen werden Lafarge nun Geschehnisse aus den Jahren 2013 und 2014. Im Fokus stehen hierbei vorwiegend Zahlungen an den Islamischen Staat (IS) und andere Terrororganisationen in Millionenhöhe, u. a. für Dokumente, die es Arbeitern der Zementfabrik ermöglichen sollten, diverse Checkpoints in der Region passieren zu können. Dass IS-Kämpfer im syrischen Bürgerkrieg Völkerrechtsverbrechen begangen haben, hat nicht zuletzt die deutsche Justiz festgestellt.
Seit dem Jahr 2016 beschäftigt der Fall die französische Justiz. Ausgangspunkt war eine von den Nichtregierungsorganisationen Sherpa und European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) sowie elf ehemaligen Beschäftigten von Lafarge eingereichte Strafanzeige. Bereits 2018 formalisierten die zuständigen Untersuchungsrichter:innen die Ermittlungen (mise en examen), sowohl in Bezug auf ehemalige Führungskräfte als auch gegen das Zementunternehmen selbst.
Worum es (noch) nicht geht: Beihilfe zu Menschlichkeitsverbrechen
Vor Gericht verantworten müssen sich Lafarge sowie ehemalige Mitglieder der Führungsriege zunächst nur wegen Terrorismusfinanzierung (Art. 421-2-2 Code Pénal, französisches Strafgesetzbuch) und Verstößen gegen Sanktionen (strafbar über Art. 459 Code des Douanes, französisches Zollgesetzbuch).
Im Hinblick auf den Vorwurf der Beihilfe zu Verbrechen gegen die Menschlichkeit (Art. 121-7 Code Pénal in Verbindung mit Art. 212-1 Code Pénal) dauern die Untersuchungen noch an. Wann hier mit einem Prozessbeginn zu rechnen ist, ist unklar. Dass es dazu kommen wird, ist aber nicht unwahrscheinlich. 2022 hatte das Pariser Berufungsgericht entschieden, die Ermittlungen wieder aufzunehmen. Zuvor hatte das höchste französische Gericht, der Kassationsgerichtsgerichtshof, die Justiz angewiesen, den zunächst verworfenen Vorwurf erneut in den Blick zu nehmen – ein wichtiger Etappensieg für die das Verfahren maßgeblich betreibenden Nichtregierungsorganisationen.
Wann sind neutrale Handlungen strafbar?
Der nun beginnende Prozess rückt ein strafrechtliches Dauerbrenner-Thema in den Fokus – und zwar sowohl im Kontext der Menschlichkeitsverbrechen als auch im Zusammenhang mit dem Vorwurf der Terrorismusfinanzierung: Das im deutschen Strafrecht bereits vielfach beleuchtete Problem der "neutralen Handlung" ist auch für das Völkerstrafrecht ebenso wie für das Terrorismusstrafrecht eine Herausforderung.
Mit dieser Frage hat sich der französische Kassationsgerichtshof bereits im Jahr 2021 in Bezug auf die im Raum stehenden Zahlungen von Lafarge an verschiedene Terrororganisationen beschäftigt. Dabei hat er festgestellt, eine Beihilfe zu Menschlichkeitsverbrechen durch das französische Unternehmen setzte objektiv voraus, dass dessen Unterstützung die Vorbereitung oder Durchführung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit erleichtere.
In subjektiver Hinsicht genüge dabei die Kenntnis, dass der oder die Haupttäter solche Verbrechen begehen oder begehen werden. Konkrete Vorstellungen von der Haupttat seien nicht erforderlich. Nach Ansicht des Gerichts reiche im vorliegenden Fall die Zahlung einer Summe von mehreren Millionen Dollar an eine Organisation, deren Zweck ausschließlich krimineller Natur ist, aus, um eine strafbare Beihilfe zu begründen. Der Umstand, dass Lafarge im Hinblick auf die Ausübung einer gewerblichen Tätigkeit handele, sei unerheblich. Denn Motiv und Vorsatz seien strikt zu unterscheiden. Der Gerichtshof sah sich insoweit explizit in der Tradition früherer Rechtsprechung zum Statut des Internationalen Militärgerichtshofs in Nürnberg.
Im Völkerstrafrecht ist die Frage des Umgangs mit "neutralen Handlungen" noch nicht geklärt. Ein abschließendes Urteil im gegenständlichen Verfahren könnte hier einen weiteren wichtigen Referenzpunkt schaffen – sowohl im Hinblick auf die das Völkergewohnheitsrecht formende Staatenpraxis als auch für die Debatte auf internationaler Ebene. Die Rechtsprechung in Deutschland weist durchaus Parallelen zur Auffassung des Kassationsgerichtshofes auf. Diesseits des Rheins werden Verfahren wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit auf Grundlage des Völkerstrafgesetzbuchs geführt. Für die Teilnahme maßgeblich ist hier wie im allgemeinen deutschen Strafrecht § 27 Strafgesetzbuch. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs entfällt der neutrale Charakter einer möglichen Beihilfehandlung, wenn das Handeln ausschließlich darauf abzielt, eine strafbare Handlung zu begehen und der Hilfeleistende dies weiß.
Terrorismusstrafrecht als "Türöffner"
Die juristische Aufarbeitung des Sachverhalts durch die französische Justiz operiert an der Schnittstelle von Terrorismusstrafrecht einerseits und Völkerstrafrecht andererseits. Das ist in den – inzwischen zahlreichen – Fällen, in denen Staatsanwaltschaften und Gerichte Straftaten nicht-staatlicher Akteure verfolgen, nicht selten der Fall. Terrorismus als solcher stellt gegenwärtig kein Völkerrechtsverbrechen dar, dient der Justiz – nicht zuletzt in Deutschland – aufgrund regelmäßig leichterer Nachweisbarkeit aber oft als "Türöffner" für umfassendere Verfahren, in denen dann auch wegen Völkerrechtsverbrechen ermittelt (und bestraft) wird.
Die Verknüpfung des Vorwurfs der Beihilfe zu Verbrechen gegen die Menschlichkeit mit dem Vorwurf der Terrorismusfinanzierung mag strategisch klug und aus Beweisgründen zielführend sein. Sie birgt aber die Gefahr, dass der Kern des verwirklichten Unrechts nicht vollständig abgebildet wird; insbesondere in jenen Fällen, in denen eine etwaige Verurteilung dann doch nur auf dem Terrorismusstrafrecht gründet. Denn während die Tatbestände des Völkerstrafrechts die Interessen der Völkergemeinschaft sowie individuelle und kollektive Menschenrechte schützen, zielt das Terrorismusstrafrecht in erster Linie auf den Schutz staatlicher Interessen ab. Es bleibt abzuwarten, wie es in dem Verfahren gegen Lafarge et al. mit Blick auf den Vorwurf der Beihilfe zu Verbrechen gegen die Menschlichkeit weitergeht.
Deal mit der US-Justiz und Unternehmensverantwortung
Und auch ein weiterer Aspekt des Verfahrens verspricht Spannung: Bereits 2022 verständigten sich Lafarge und die Lafarge-Tochter Lafarge Cement Syria mit der US-Justiz darauf, 778 Millionen Dollar an Geldstrafen und Einziehungen wegen Verschwörung zur materiellen Unterstützung von Terrorismus zu zahlen. Der Sachverhalt, der dieser Einigung zugrunde lag und der den Gegenstand des guilty pleas des Unternehmens bildete, weist mindestens Schnittmengen zum Fall in Frankreich auf. Der Grundsatz ne bis in dem findet, so jedenfalls die bisherige Auffassung der französischen Justiz, hier jedoch keine Anwendung.
Denn die französische Gerichtsbarkeit finde ihre Grundlage im Territorialitätsprinzip und das Verbot der Doppelbestrafung greife nur in Konstellationen, in denen sich die Zuständigkeit Frankreichs anderweitig ergäbe. Die besondere Konstellation auf der Anklagebank, auf der neben natürlichen Personen auch eine juristische "sitzt" (und nur diese war Partei des Deals in den USA), führt für die verfolgten Manager nun zu einer Situation, die die Verteidigung erschweren könnte. So wird sich zeigen müssen, ob möglicherweise Fakten, die das US-Verfahren ohne unmittelbare Beteiligung jener geschaffen hat, auch im französischen Prozess Wirkung entfalten.
Letztlich ergibt sich diese Kollisionsfrage erst vor dem Hintergrund einer Unternehmensstrafbarkeit, wie sie in Frankreich und den USA anerkannt ist. Demgegenüber sieht bekanntlich das deutsche Strafrecht nach wie vor keine Verbandsstrafe vor. Die Möglichkeit von Strafverfahren gegen Unternehmen ergibt sich im französischen Strafrecht aus Art. 121-2 Code Pénal. Die primäre Sanktionsmöglichkeit ist hierbei die Verurteilung zu einer Geldstrafe (Art. 131-37 Code Pénal). Im Falle der erwiesenen Beihilfe zu einem Verbrechen gegen die Menschlichkeit sähe das Gesetz eine Strafe von 1.000.000 Millionen Euro vor (Art. 131-38 Code Pénal in Verbindung mit Art. 212-1 Code Pénal). Neben der Geldstrafe kommt grundsätzlich u. a. auch die Auflösung des Unternehmens oder ein Tätigkeitsverbot in Betracht (Art. 131-39 Code Pénal). Auf internationaler Ebene kam das Thema der Unternehmensstrafbarkeit zwar in den Verhandlungen zum Statut des Internationalen Strafgerichtshofs zur Sprache, fand im Statut selbst aber keinen Niederschlag.
Ein Präzedenzfall
Nun sind also die Richter:innen am Zug. Man darf gespannt sein, welche Antworten das Gericht gibt – und wann der Vorwurf der Beihilfe zu Verbrechen gegen die Menschlichkeit zur Verhandlung kommt. Hier erwartet uns vielleicht die weitreichendste Bedeutung des Falles: Die weitere Konturierung der völkerstrafrechtlichen Bindungen (und Risiken!) wirtschaftlichen Handelns im transnationalen Kontext, auch im Zusammenhang mit Kriegen und Konflikten. Der Kassationsgerichtshof hat hier bereits erste Pflöcke eingeschlagen.
Damit hat er auch an die Ursprünge eines "Wirtschaftsvölkerstrafrechts" angeknüpft, die in den sog. Nürnberger Nachfolgeprozessen nach Ende des Zweiten Weltkrieges geschaffen wurden. Damals hat nicht zuletzt der seinerzeit gegen das Management der I.G. Farben geführte Prozess verdeutlicht, dass eine gerichtliche Aufarbeitung der Verstrickung wirtschaftlicher Akteure in Völkerrechtsverbrechen funktionieren kann – und es einer Verbandsstrafe (die es auch in Nürnberg nicht gab) nicht zwingend bedarf.

Luca Hauffe ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Strafrecht, Strafprozessrecht, Internationales Strafrecht und Juristische Zeitgeschichte an der Humboldt-Universität zu Berlin. Florian Jeßberger ist Inhaber dieses Lehrstuhls sowie Mitglied des Advisory Board des European Center of Constitutional and Human Rights; an der Strafanzeige des ECCHR in der Sache Lafarge war er nicht beteiligt.
Beginn der Hauptverhandlung im "Fall Lafarge": . In: Legal Tribune Online, 03.11.2025 , https://www.lto.de/persistent/a_id/58521 (abgerufen am: 13.11.2025 )
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